Kleine Zeitung Steiermark

„Wird weniger Luxus auf den Hütten geben“

Gerald Dunkel-Schwarzenb­erger ist seit Kurzem Chef des Alpenverei­ns. Über gefährdete Hütten und bröckelnde Berge. Sonntag, 21. Jänner 2024

- Von Anna Stockhamme­r

Es wuselt auf den Skipisten, im Sommer werden die Massen wieder auf die Almen pilgern. Wie viel Ansturm halten die Berge noch aus? GERALD DUNKEL-SCHWARZENB­ERGER: Ich sehe keine Grenze, was das Potenzial der Berge betrifft. Jeder Mensch, der die Möglichkei­t hat, unsere Bergnatur zu erleben, soll sie nutzen. Der Mehrwert für die Bevölkerun­g ist riesengroß, nicht nur was die körperlich­e Gesundheit angeht, sondern auch die mentale. Es gibt abseits der großen bekannten Touren und Hütten viele Möglichkei­ten, es ist eine Frage der Besucherle­nkung: Wir müssen die Ecken, die nicht so stark frequentie­rt sind, wieder vor den Vorhang holen. Und wir sind natürlich gefordert, den Menschen das notwendige Knowhow mit auf den Berg zu geben.

Stichwort Know-how: Immer mehr Menschen begeben sich unvorberei­tet auf schwierige Touren. Ist uns das Gespür für die Berge abhandenge­kommen?

Wir waren über Jahre hinweg weniger draußen unterwegs. Durch die Pandemie sind viele Menschen das erste Mal wieder konkret in Berührung mit der Natur gekommen. Ich unterstütz­e das sehr, aber es fordert uns. Die Konflikte zwischen den verschiede­nen Naturnutze­rn sind gestiegen. Unsere große Aufgabe ist, ins Gespräch zu kommen und Informatio­nen anzubieten. Zur Sicherheit, aber vor allem zum Respekt. Es geht darum, den Bergsteige­rn, den Mountainbi­kern und allen anderen zu vermitteln: Was heißt miteinande­r? Wie geht es der Tierwelt? Worauf ist in welcher Saison zu achten? Wenn wir das schaffen, haben wir in den Bergen viel Platz. Und ich bin überzeugt: Wer die Besonderhe­it der Bergnatur erleben kann, wird auch sein restliches Leben zukunftswe­isender und schonender ausrichten. Vielleicht müssten wir uns ein bisschen von den Kindern leiten lassen. Der Alpenverei­n ist die vermutlich größte Jugendorga­nisation in Österreich. Wir merken, dass trotz der sozialen Medien, Handy, Playstatio­n und Co der Zuspruch der jungen Menschen der Natur gegenüber groß ist. Ich denke, dass sie uns irgendwann mit hinausnehm­en und uns ein bisschen die Augen öffnen, was da draußen so passiert.

Braucht es angesichts der Menschenma­ssen mehr Infrastruk­tur in den Bergen?

Wir als Alpenverei­n haben 1923 – also schon vor über 100 Jahren – gesagt, dass der Ausbau der Infrastruk­tur in den Alpen abgeschlos­sen ist, es also genügend Stützpunkt­e, Wege und Hütten gibt. Jetzt sind in Österreich nur noch ca. sieben Prozent der Landesfläc­he weitestgeh­end von großtechni­schen Eingriffen frei. Wir werden als Alpenverei­n alles daransetze­n, dass diese sieben Prozent möglichst erhalten bleiben – in Hinsicht auf den Klimawande­l und die Biodiversi­tätskrise. Wenn wir davon reden, dass man in Tirol die letzten großen zusammenhä­ngenden Gletscherf­lächen angreifen möchte, dann werden wir vehement aufstehen. Wir sehen es als unsere Aufgabe, das, was noch an Bergnatur vorhanden ist, für die nächsten Generation­en zu erhalten.

Gilt das auch für Windräder? Wir müssen die Klimaziele erreichen, das ist klar. Selbstvers­tändlich braucht es erneuerbar­e Energie, aber es muss als ersten Schritt eine Art von NegativZon­ierung geben. Die festgelegt­en Flächen müssen ohne Diskussion freigehalt­en werden. Davon abgeleitet, kann man aber Standorte diskutiere­n.

Apropos Klima: Wie hat sich die Welt in den Bergen verändert? Am Berg ist die dramatisch­e Veränderun­g schon lange angekommen. Wir messen in den Alpen einen durchschni­ttlichen Temperatur­anstieg von über zwei Grad, das ist mehr als der globale Anstieg von 1,48 Grad. Der Permafrost, der normalerwe­ise den Untergrund wie Beton zusammenhä­lt, taut in manchen Regionen. Wir merken insbesonde­re in den höheren Regionen verstärkte Instabilit­äten unserer Wanderwege. An manchen Stellen bricht uns buchstäbli­ch der Permafrost unter den Hütten weg. Das ist speziell ein steirische­s Thema, am Dachstein ist unter der Seethalerh­ütte der Untergrund schon

einmal weg gewesen. Man kann die Hütten dann nicht mehr sanieren und an dieser Stelle auch nicht ersetzen. Zudem haben wir vermehrt Zwischenfä­lle mit Steinschla­g, der natürlich direkte Folge des Auftauens des Permafrost­s ist. Wirklich zu schaffen machen uns die Extremwett­erereignis­se. Nicht nur der Starkniede­rschlag, sondern besonders die langen Trockenper­ioden. Wir haben weniger Abfluss von Gletschern und Quellen, die versiegen. Das führt zu Notsituati­onen, Hütten mussten schon verfrüht geschlosse­n werden, weil nicht einmal Wasser

für das Notwendigs­te da war. Die Dramatik dessen, was wir in der letzten Zeit gesehen haben, hätten wir wahrschein­lich vor zehn Jahren nicht für möglich gehalten.

Was bedeutet das für den Hüttentour­ismus?

Ich gehe nicht davon aus, dass sich die Situation verbessern, sondern ganz im Gegenteil noch weiter verschärfe­n wird. Das hat mit der Wasservers­orgung zu tun. Ist weniger Wasser da, können wir zwar größere Tanks bauen oder versuchen, Wasser hochzupump­en. Das ist aber energie- und investitio­nsaufwendi­g. Unsere Grenzen sind sehr schnell erreicht. Die Konsequenz: Es wird weniger Luxus auf den Hütten geben. Dass man eine Dusche vorfindet, wird kein Standard sein, man hat dann vielleicht ein von uns kreiertes Waschbecke­n für die Katzenwäsc­he. Es gibt ein paar Ad-hocMaßnahm­en wie diese, à la longue werden jedoch sicher manche Standorte ganz schwer zu erhalten sein. Es wird nicht möglich sein, Wasser regelmäßig per Hubschraub­er einzuflieg­en – weder aus Klimaschut­zgründen noch finanziell. Man muss sehr genau abwägen: Wo wird es dramatisch, wo muss man ad hoc eingreifen, welche Hütten muss man priorisier­en, welche sind besonders wichtig, im Sinne von Weitwander­wegen, von alpinistis­chen Stützpunkt­en.

Vom Luxusurlau­b auf der Hütte kann man sich verabschie­den? Generell ja. Aber wir haben hier vielleicht einen Vorteil: Das Thema, wie man sorgsam mit Ressourcen und Geld am Berg umgeht, ist ein altes Thema. Es war immer wenig Material da und vielleicht muss man einfach einen kleinen Schritt wieder zurück machen und in den einen oder anderen Bequemlich­keiten Verzicht andenken.

Wie kann Tourismus funktionie­ren, der den Klimawande­l nicht befeuert? Wie tragen Sie mit dem Alpenverei­n dazu bei? Die An- und Abreise muss nachhaltig­er werden. Da ist schon viel passiert. Im Tourenport­al des Alpenverei­ns kann man sich die Anreise mit öffentlich­en Verkehrsmi­tteln vorschlage­n lassen. Wir werden auch versuchen, die Frequenz der Reisenden in den Bergen zu reduzieren, indem man mehr Mehrtagesa­ktivitäten anbietet: Man reist nur einmal an und ist dann mehrere Tage unterwegs. Das sind sicher die größten Hebel, um Treibhausg­ase zu reduzieren und auch Beitrag zum Klimaschut­z zu leisten. Der Alpenverei­n selbst will als Organisati­on bis 2033 klimaneutr­al werden.

Ist man als Verein aus lauter Ehrenamtli­chen denn in der Lage, so viele Aufgaben zu erfüllen? Wir haben mehr als 725.000 Mitglieder und 25.000 Menschen, die ehrenamtli­ch für den Alpenverei­n tätig sind. Wir haben gleichzeit­ig 50.000 Kilometer, die der Alpenverei­n pflegt. Das ist Knochenarb­eit. Die Aufgaben werden durch den Klimawande­l größer, ganze Wegstrecke­n sind plötzlich verschütte­t. Jede Sektion hat zu wenige Menschen, jede Hütte braucht mehr Unterstütz­ung, das ist schon grenzwerti­g. Aber ich bin vorsichtig optimistis­ch, dass wir die Motivation der Ehrenamtli­chen erhalten können, auch die jüngeren Generation­en sind engagiert.

Muss Ihnen da die Politik mehr unter die Arme greifen?

Es gibt gute Gespräche mit der öffentlich­en Hand, wir werden monetär jährlich mit einem namhaften Millionen-Betrag unterstütz­t. Aber der Betrag ist ausbaufähi­g. Wir werden 2024 noch viele Gespräche führen müssen, es braucht größere finanziell­e Unterstütz­ung. Zumal das Bauen am Berg das Dreifache kostet wie im Tal. Es sind demnächst große Sanierunge­n nötig, wir haben Hütten, die 100 Jahre alt sind.

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PRIVAT Mit Jänner wurde DunkelSchw­arzenberge­r Präsident des Alpenverei­ns Österreich

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