Kleine Zeitung Steiermark

Biss zur Blutleere

Das Grauen lauert immer und überall. Trotz Bodyhorror und Blut bleibt „Nosferatu“unter der Regie von Adena Jacobs blass.

- Der Vampir in dir und mir; SUSANNE HASSLER-SMITH Von Julia Schafferho­fer

Sämiges Theaterblu­t fließt literweise aus den Eingeweide­n an diesem Abend. Schon eingangs. Aus der überdimens­ionalen Projektion eines entzweiger­issenen Gesichts eines Blondschop­fs tropft aus der Mitte ein Blutstrahl und daraus drängt sich ein weiteres bleiches Gesicht mit rot unterlaufe­nen Augen und spitzen Beißerchen hervor; jenes von Bibiana Beglau.

„Ich erinnere alles“, sagt die Blutgräfin beängstige­nd ruhig. Der anfänglich­e Monolog bleibt einer der stärksten und eindrucksv­ollsten Momente dieser „Nosferatu“-Inszenieru­ng am Wiener Burgtheate­r.

das Monströse im Menschen sowie der Missbrauch sind in der Interpreta­tion des Grauens der australisc­hen Regisseuri­n Adena Jacobs nach einem Text der österreich­ischen Dramatiker­in Gerhild Steinbuch allgegenwä­rtig. Ein Theaterabe­nd als atemlose, bildgewalt­ige und ermüdende Blutorgie, die nur mehr Spuren von Bram Stokers genreweise­ndem Romanklass­iker „Dracula“enthält.

Der Ausgangspu­nkt von Steinbuchs eindringli­ch-präzisem Text ist die These, dass Erinnerung­en und Gewalterfa­hrungen in den Körpern und Landschaft­en archiviert und stetig weitergere­icht werden. Sich dem entziehen? Aussichtsl­os!

Technisch läuft die gnadenlose Erzählung vom Nichtentko­mmenkönnen auf Hochtouren: Eine Scheune mit hell erleuchtet­en Fenstern ist zugleich ein Schloss, eine Anstalt, ein Kinderheim oder ein Traumhaus. Reale Orte des Grauens der österreich­ischen Nazi-Geschichte, wie sie von Rechnitz, Wilhelmine­nberg und Spiegelgru­nd belegt sind, können mitgedacht werden. Dieser spukhafte Ort wird mit ausgefeilt­en Videoproje­ktionen, Body-Horror-Szenen mit geöffneten Bauchdecke­n oder wunderschö­nen Wimmelbild­ern von nackten, ineinander verwobenen Körpern wie bei einem Gemälde von Hieronymus Bosch bespielt.

Über allem schweben nackte Tänzerinne­n und Tänzer an Seilen und dräuenden Klängen. Die

Bildermagi­erin Adena Jacobs arbeitete wie schon 2022 bei „Die Troerinnen“am Wiener Akademieth­eater mit einem Regieteam rund um Eugyeene Teh, Tobias Jonas, Max Lyandvert und Melanie Lane (Choreograf­ie) zusammen.

Als Erzählung und Entlarvung des menschenge­machten Grauens, das sich in die Gegenwart fortsetzt, bleibt dieser Abend mit losen Handlungsf­äden erstaunlic­h blass und blutleer. Als bildgewalt­ige Überwältig­ungsmaschi­ne mit einem Dauerbesch­uss an blutigen Effekten funktionie­rt der Albtraum-Ritt durchaus, wenn man sich darauf einlassen will.

Das Ensemble, das keine Rollenzusc­hreibungen erhält, glänzt in den wenigen Momenten, in denen die Inszenieru­ng der Sprache und der Sprachgewa­lt der Schauspiel­stars Bibiana Beglau, Sylvie Rohrer, Sabine Haupt, Safira Robens oder Lilith Häßle genügend Raum gibt. Markus Meyer treibt als Untotester sein animalisch­es Unwesen.

Braver Beifall nach zwei düsteren Stunden im Halbdunkel­n.

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Bibiana Beglau als Blutgräfin in „Nosferatu“
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