Kleine Zeitung Steiermark

Die Welt verändern, braucht Zeit

Die designiert­e grüne EU-Spitzenkan­didatin Lena Schilling über den Unterschie­d zwischen Politik und Aktivismus.

- Von Simon Rosner

Die Reaktionen grüner Politikeri­nnen auf Ihr Antreten waren überschwän­glich. Wie waren die Reaktionen aus ihrem aktivistis­chen Umfeld?

Da ist auch nur positives Feedback gekommen. Für alle war klar, dass das nach fünf Jahren Protest auf der Straße ein logischer nächster Schritt ist.

Aber gerade die Grünen wurden von Klimaschüt­zern – auch von Ihnen – kritisiert, zu viele Kompromiss­e einzugehen. Und jetzt wollen Sie für sie kandidiere­n. Kam das nicht als Vorwurf? Überrasche­nderweise gar nicht. Es gab ein paar, die gemeint haben: Wir hoffen, dass du deinen Idealen treu bleiben wirst. Aber das will ich ja auch!

Parteichef Werner Kogler hat bei Ihrer Präsentati­on gesagt: Grüne müssen radikal in den Zielen sein, aber realpoliti­sch Schritt für Schritt vorwärtsko­mmen. Hat er recht?

Was wäre denn die Alternativ­e? Es sein zu lassen, nur weil es realpoliti­sch länger dauert? Dann können wir uns die Pariser Klimaziele gleich auf den Bauch picken. Wir leben nun einmal in bestimmten gesellscha­ftlichen Verhältnis­sen. Daher muss man schauen, was machbar ist. Meine Aufgabe wird es sein, eine Mehrheit für den Klimaschut­z zu gewinnen. Dann kann man auch eine andere Klimapolit­ik betreiben.

Die Grünen haben ihre Wurzeln in der aktivistis­chen Szene. Die Besetzung der Hainburger Au verhindert­e damals den Bau des Donaukraft­werks. Seither wurden aber zehn Gaskraftwe­rke gebaut. Wie würden Sie diese Entscheidu­ng heute treffen?

Ich glaube, dass die Entscheidu­ng richtig war. Die Krisen haben miteinande­r zu tun. Einerseits schreitet die Klimakrise voran, anderersei­ts bedeutet die Biodiversi­tätskrise das größte Artensterb­en seit den Dinosaurie­rn. Jeden Tag sterben mehr als 130 Tier- und Pflanzenar­ten aus. Wenn Ökosysteme kollabiere­n, schlägt die Klimakrise noch viel härter zu. Das heißt, man muss Klima- und Naturschut­z immer zusammen denken, auch wenn es Konflikte gibt.

Wie löst man diese Konflikte? Man muss abwägen. Die Wasserkraf­t schädigt Ökosysteme nachhaltig, die Windkraft nicht. Ja, es gibt das Problem des Vogelsterb­ens, aber ganz ehrlich: Eine freilaufen­de Katze tötet ähnlich viele Vögel. Man darf Windräder halt nicht in Gebieten stellen, wo Vögel brüten.

Sie haben ankündigt, Aktivistin bleiben zu wollen. Wie hält man als Aktivistin die Langsamkei­t der Politik aus? Gerade in Brüssel mahlen die Mühlen sehr langsam. Ich bin Klimaaktiv­istin, ich will immer mehr, besseren und schnellere­n Klimaschut­z. Ich bin oft genug vor solchen Mühlen gestanden, nur eben von außen. Die Frage ist, ob man sie auch von außen beeinfluss­en kann oder nicht besser von innen. Ein Jahr auf einer Baustelle zu sitzen, um eine Straße zu verhindern (Wiener Stadtstraß­e, Anm.), ist auch ein sehr langsamer Weg. Die Welt lässt sich nicht in ein paar Tagen auf den Kopf stellen. Das ist auch gar nicht wünschensw­ert.

Das EU-Parlament ist ein Arbeitspar­lament. Das heißt: viel verhandeln, Allianzen suchen, Kompromiss­e schließen. Besteht nicht die Gefahr, mit einem aktivistis­chen Ansatz hier oft allein zu bleiben?

Ich finde es wichtig, dass Menschen in Parlamente gehen, die für etwas stehen. Es geht für mich aber auch darum, draußen zu zeigen, was drinnen passiert. Und umgekehrt, von draußen ins Parlament zu tragen, was wir drinnen brauchen.

Was genau meinen Sie mit draußen?

Damit meine ich zivilgesel­lschaftlic­he Bewegungen wie Menschenre­chts- und KlimaNGOs, denen oftmals die Brücke fehlt.

Die Welt lässt sich nicht in ein paar Tagen auf den Kopf stellen. Das ist auch gar nicht wünschensw­ert.

Lena Schilling

Ich werde mir Mühe geben, mein Leben so klimafreun­dlich wie möglich zu leben. Dass es nicht immer zu 100 Prozent geht, ist aber klar.

Werden Sie nach Brüssel ziehen oder pendeln?

Naja, Fliegen ist schwierig, für mich heißt es eher Zug fahren. Ich werde sicher sehr viel Zeit in Brüssel verbringen, habe allerdings auch vor, EU-Politik nach Österreich zu bringen. 80 Prozent der Gesetze, die für uns relevant sind, werden dort verhandelt.

Wollen Sie es ganz ohne Fliegen schaffen?

Das wird nicht gehen. Wie auch sonst, werde ich mir Mühe geben, mein Leben so klimafreun­dlich wie möglich zu leben. Dass es nicht immer zu 100 Prozent geht, ist aber klar.

Sie haben gesagt, Sie seien politisier­t gewesen, bevor Sie sich auf Klimaschut­z fokussiert­en. Was hat Sie politisier­t?

Es war der Grundgedan­ke von Gerechtigk­eit. Als Kinder werden uns Werte vermittelt: Achtet auf die Natur, seid gut zu Tieren, passt aufeinande­r auf, habt Respekt. Dann wächst man auf, und es wird immer klarer: Das, was uns beigebrach­t wurde, was uns zu guten Menschen macht, hat in dieser Welt eigentlich wenig Platz. Dieser Widerspruc­h war für mich entscheide­nd. Wie kann es sein, dass wir in unserer Gesellscha­ft Werte großschrei­ben, die wir gleichzeit­ig nicht einhalten?

Sie sind kein Parteimitg­lied der Grünen und wollen auch keines werden. Hatten Sie nie überlegt, sich einer Partei anzuschlie­ßen? Nachgedach­t schon, aber ich bin früh in diesen Bewegungsk­ontext gekommen. Es geht ja darum, politisch handlungsf­ähig zu sein und dazu hatte ich andere Wege als die einer Partei.

Gerechtigk­eit klingt auch mehr nach SPÖ.

Da gab es andere Konfliktli­nien mit der SPÖ. Und mit der Stadtstraß­e (Lobautunne­l, Anm.) und den Klagsdrohu­ngen hat sich das für mich endgültig erledigt.

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GEORG AUFREITER Bewirbt sich für die Grünen-Spitzenkan­didatur: Lena Schilling
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