Ein Dampfschiff voller Geschichten
Michael Köhlmeier lässt in „Das Philosophenschiff“seine hundertjährige Heldin von Russland erzählen. Dabei mischt er klug Historie und Fiktion mit aktuellen Bezügen und persönlichen Lebensumständen.
an will sie sofort selbst persönlich kennenlernen, diese wache Hundertjährige, die dem Autor ihre Geschichte erzählt. Wie sie als Vierzehnjährige auf einem sogenannten Philosophenschiff mit ihren Eltern aus dem bolschewistischen Russland ins Exil nach Deutschland deportiert wurde. Und wie sie sich an Bord mit einem seltsamen älteren Herren im Rollstuhl anfreundete, der sich später als Lenin höchstpersönlich herausstellte. Mit älteren Herren hat der begnadete Fabulierkünstler Michael Köhlmeier schon einmal gute Erfahrungen gemacht, ließ er doch in seinem
MBuch „Zwei Herren am Strand“Winston Churchill und Charlie Chaplin gemeinsam spazieren gehen. Im „Philosophenschiff“wendet er denselben Kunstgriff an und vermischt raffiniert und klug historische Fakten mit Fiktion, seine persönlichen Lebensumstände mit der fiktiven Biografie seiner Hauptfigur. Diese Anouk Perleman-Jacob kommt der Leserin dann doch irgendwie bekannt vor, da sie der österreichischen Architektin und Schöpferin der Frankfurter Küche, Margarete Schütte-Lihotzky, nachempfunden scheint. m Roman erzählt die Greisin in ihrer Hietzinger Wohnung dem Dichter ihre Lebensgeschichte — ausschweifend
Iund oft unverblümt, mit leiser Ironie und nachdenklich: „Das Gefühl überlebt zu haben, ist schöner als das bloße Gefühl zu leben.“Zwischen Buchhandlung Leporello und Bellaria-Kino, Cremeschnitten aus dem Café Dommayer und Schnitzel beim Plachutta lässt Köhlmeier das Wien von heute erstehen: „Der Wiener Wind blies heftig, manchmal meinte ich einen
ist noch an seiner Seite. Doch plötzlich ist es auch mit der Ruhe vorbei. Frida, eine junge Reisebloggerin, strandet mit ihrem Wohnmobil vor seinem Haus, und am nächsten Tag ist auch noch eine Journalistin aus Deutschland angesagt, die über den vergessenen Kleindarsteller schreiben will
– warum auch immer. Drei Lebensentwürfe prallen aufeinander.
Aus diesem gefährlichen Stoff, der viele Fallstricke bereithält, hat Bodo Kirchhoff eine bittersüße Ménage-à-trois destilliert. Kirchhoff ist ein begnadeter Stilist, ein Mann des Wortes der alten Schule, aber dennoch nicht aus der Zeit gefallen. Nie ist diese Geschichte abgeschmackt, nie pickig. Lustvoll ja, lüstern nein. Es geht um Hoffnungen, Verfehlungen, falsche Abzweigungen – aller Beteiligten. Das ist die glänzende Prosa eines älteren Herren – keine Altherrenprosa. Der Unterschied ist gewaltig!