„Dieses Niedermachen ist unanständig“
Wird Deutschland zum Land der Proteste? Nein, sagt Vito Cecere, der Botschafter der Bundesrepublik in Österreich. Von einem Verbot der AfD hält er ebenso wenig wie davon, ein Staatsoberhaupt als Mumie zu verhöhnen.
Herr Botschafter, erst blockieren die Bauern die Straßen, nun demonstrieren Hunderttausende in Berlin, München, Leipzig und anderen Städten gegen „rechts“und die AfD. Was ist los mit Deutschland?
Die Proteste sind Ausdruck einer aktiven Zivilgesellschaft. Klar, sie sind etwas, das man in einem Land wie Deutschland nicht alle Tage erlebt. Aber die Motive dafür sind auch sehr unterschiedlich. Die Bauern haben ihrem Unmut über einen Subventionsabbau Luft gemacht, den die Bundesregierung dann zum Teil zurückgenommen hat. Die aktuellen Demonstrationen in den Städten wiederum sind eine Reaktion auf die Enthüllung dieses Treffens von Rechtsextremen in Potsdam, bei dem über Massendeportationen gesprochen wurde. In beiden Fällen gilt: In einer lebendigen Demokratie artikulieren sich die Menschen.
Wird das konsensorientierte Deutschland zum Protestland?
Ich glaube nicht, dass das, was wir gerade erleben, ein Fanal dafür ist, dass wir in Deutschland am Beginn eines Zeitalters des Protests stehen. Dass die Menschen auf die Straßen gehen, wenn sie den Eindruck haben, dass Menschenrechte bedroht sind, es grobe Ungerechtigkeiten gibt oder die Demokratie unter Druck gerät, haben wir auch in der Vergangenheit oft erlebt. Das macht das demokratische Selbstverständnis des Landes aus.
Für die Bauern hat Bundespräsident Steinmeier vor allem mahnende Worte übrig. Mit den Demos „gegen rechts“solidarisiert er sich. Ist es klug, wenn ein überparteiliches Staatsoberhaupt so offen mit zweierlei Maß misst?
Der Bundespräsident hat keinen Zweifel daran gelassen, dass es absolut legitim ist, dass die Bauern für ihre Interessen auf die Straße gehen. Es gab aber offensichtlich Versuche von politischen Kräften am rechten Rand, die Proteste zu nutzen, um eine allgemeine Stimmung gegen das politische System aufzubauen. Vor dieser Instrumentalisierung hat Frank-Walter Steinmeier gewarnt. Sie ist in der Tat ja etwas, wo man genau hinschauen muss.
Auch in Österreich wird gegen rechts mobilisiert. Sind die Ausbürgerungsfantasien einiger radikaler Nationalisten wirklich eine Gefahr für die Demokratie? Manches spricht dafür, das Treffen in Potsdam nicht überzubewerten. Andererseits entlarvt es, wie in diesen Kreisen gedacht wird. Es ist eben nicht nur der reine Protest, der sich da seitens der Rechtspopulisten gegen die etablierten Parteien äußert. Sondern es gibt da einen Kern an Politik, der mit der demokratischen Verfasstheit Deutschlands nicht vereinbar ist.
Die Demonstrationen dagegen werden einen Hardcore-Rechtsextremen sicherlich nicht davon abbringen, sich nicht mehr zu diesen Parteien zu bekennen. Aber bei der Welle, die jetzt durch das Land geht, könnte ich mir schon vorstellen, dass sie bei denen etwas bewegen, die aus Frust zur AfD neigen.
Gegner der AfD haben das Treffen mit der Wannseekonferenz 1942 verglichen. Frage an den Historiker: Ist der Vergleich statthaft?
Man muss mit solchen historischen Vergleichen immer vorsichtig sein. Die Wannseekonferenz war eine zwar geheime, aber doch offizielle Konferenz des NS-Terrorstaates, der damit die Judenvernichtung vorbereitete. Das hat schon eine andere Qualität. Ich glaube nicht, dass es förderlich ist, mit diesen Analogien die aktuelle politische Debatte zu bestreiten.
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU sagt, die AfD sei eine Nazipartei. Ist sie das?
Die AfD ist in Teilen eine rechtsextreme Partei. Das ist auch durch den Verfassungsschutz einiger Bundesländer festgestellt. Wenn man etwa dem Thüringer Vorsitzenden Björn Höcke beim Reden zuhört, hat das schon einen sehr völkischen Ton.
Gehört die Partei verboten? Verbotsverfahren sind in Deutschland langwierig angelegte Prozesse. Aus gutem Grund. Für eine aktive Demokratie ist es zunächst einmal wichtig, sich politisch mit dieser Partei auseinanderzusetzen. Mit einem Verbot ist weder die Debatte noch das Gedankengut aus der Welt. Vielmehr ist es wichtig, klarzumachen, dass auch Proteststim
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Wofür ich plädiere, ist, in der Sache politisch hart zu diskutieren, dabei aber vernünftig und anständig miteinander umzugehen. Das sollte ein Demokrat immer tun. “
men einer Partei zugutekommen können, die in Teilen ihrer Programmatik für ein komplett anderes Land steht. Das, finde ich, gehört diskutiert.
Was sind die Gründe dafür, dass die AfD so großen Zulauf hat und von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt? Ich glaube nicht, dass 25 Prozent der Wählerschaft in Deutschland ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Die meisten unterstützen die AfD aus Protest. In Deutschland wie in anderen westlichen Demokratien gibt es ein hohes Maß an Verunsicherung. Die Häufung an Krisen lässt den sozialen und wirtschaftlichen Druck steigen. Viele sehen für sich selbst und für ihre Kinder keine Perspektiven. Sie haben das Gefühl, mit ihren Sorgen und Nöten von den Regierenden nicht hinreichend wahrgenommen zu werden. Die Populisten haben das in den letzten Jahren auch in Deutschland für sich nutzen können. Es gibt aber schon auch reale Themen, um die sich die Politik kümmern muss.
Woran denken Sie da konkret? Etwa an die Frage, wie sich die wirtschaftliche Entwicklung in manchen Regionen in Deutschland weiter gestalten kann. Oder daran, wie mit der Migration umzugehen ist. Darauf braucht es Antworten. Denn viele Menschen haben den Eindruck, dass diese Probleme nicht hinreichend von der Politik angegangen worden sind.
War Angela Merkels Willkommenskultur ein Fehler? Nein. Man kann darüber streiten, ob die Grenzöffnung aus der heutigen Perspektive richtig war. Aber grundsätzlich war es ein Ausdruck von Humanität, die Menschen, die 2015 vor dem schrecklichen Bürgerkrieg in Syrien geflohen sind, nicht im Stich zu lassen. Das ist damals ja auch sehr stark von der Zivilgesellschaft ausgegangen. Ich erinnere nur an die Bilder vom Hauptbahnhof in München.
Wie nehmen Sie Österreich im Wahljahr 2024 wahr?
Als aktive und lebendige Demokratie. Ich komme schon ein bisschen herum, spreche mit den Menschen. Die Leute machen sich Gedanken darüber, in welche Richtung dieses Land gerade in diesem Wahljahr steuert. Ich habe nicht das Gefühl, dass das ausgeblendet wird, ganz im Gegenteil. Ich spüre da sehr viel Problembewusstsein.
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Für eine Demokratie ist es wichtig, sich politisch mit der AfD auseinanderzusetzen. Mit einem Verbot sind weder die Debatte noch das Gedankengut aus der Welt. “
In Umfragen liegt die FPÖ konstant voran. Macht Ihnen die Vorstellung von einem „Volkskanzler“Kickl Angst? Emotionalität gehört nicht zu meinen Aufgaben. Als Botschafter bin ich Beobachter. Natürlich nehmen wir zur Kenntnis, dass die Umfragen sind, wie sie sind. Aber wir stehen erst am Beginn des Wahljahres, da sehe ich noch viel Raum für politische Debatten.
Was fällt Ihnen zum Wort „Volkskanzler“ein?
Das ist nicht meine Sprache.
Den Bundespräsidenten als „Mumie“zu verhöhnen …
… ist nicht fein.
Ist in Österreich der politische Diskurs roher als in Deutschland? Es wird hier mehr zugespitzt. Die Sprache ist drastischer. Das fällt vielen auf, die von außen auf das Land blicken.
Ist die FPÖ eine Bedrohung für die Demokratie?
Die FPÖ ist schon sehr lange ein etablierter Teil des Parteiensystems in Österreich. Sie ist mehrfach an der Regierung beteiligt gewesen und das Land besteht als Demokratie immer noch. Insofern ist das etwas, was man vielleicht mit einer gewissen Gelassenheit sehen sollte. Zumal es in der österreichischen Innenpolitik genügend starke Stimmen gibt, die deutliche Gegenpositionen zur FPÖ vertreten.
Ist das jetzt ein Plädoyer dafür, die Dinge herunterzukühlen? Nein. Wofür ich plädiere, ist, in der Sache politisch hart zu diskutieren, dabei aber vernünftig und anständig miteinander umzugehen. Das sollte ein Demokrat immer tun. Weil Politik ja auch eine Vorbildfunktion für die Menschen hat. Da bringt es nicht viel, wenn man mit immer stärkeren Worten aufeinander eindrischt. Es wird auch kein Problem damit gelöst. Dieses Niedermachen, diese Sprache, die darauf ausgerichtet ist, Menschen, egal welcher politischen Couleur, in ihrer persönlichen Integrität zu zerstören, ist unanständig. Sie ist durch nichts zu rechtfertigen, auch durch den politischen Ärger nicht, den man über die Politik des anderen verspürt.