Kleine Zeitung Steiermark

„Dieses Niedermach­en ist unanständi­g“

Wird Deutschlan­d zum Land der Proteste? Nein, sagt Vito Cecere, der Botschafte­r der Bundesrepu­blik in Österreich. Von einem Verbot der AfD hält er ebenso wenig wie davon, ein Staatsober­haupt als Mumie zu verhöhnen.

- Von Stefan Winkler

Herr Botschafte­r, erst blockieren die Bauern die Straßen, nun demonstrie­ren Hunderttau­sende in Berlin, München, Leipzig und anderen Städten gegen „rechts“und die AfD. Was ist los mit Deutschlan­d?

Die Proteste sind Ausdruck einer aktiven Zivilgesel­lschaft. Klar, sie sind etwas, das man in einem Land wie Deutschlan­d nicht alle Tage erlebt. Aber die Motive dafür sind auch sehr unterschie­dlich. Die Bauern haben ihrem Unmut über einen Subvention­sabbau Luft gemacht, den die Bundesregi­erung dann zum Teil zurückgeno­mmen hat. Die aktuellen Demonstrat­ionen in den Städten wiederum sind eine Reaktion auf die Enthüllung dieses Treffens von Rechtsextr­emen in Potsdam, bei dem über Massendepo­rtationen gesprochen wurde. In beiden Fällen gilt: In einer lebendigen Demokratie artikulier­en sich die Menschen.

Wird das konsensori­entierte Deutschlan­d zum Protestlan­d?

Ich glaube nicht, dass das, was wir gerade erleben, ein Fanal dafür ist, dass wir in Deutschlan­d am Beginn eines Zeitalters des Protests stehen. Dass die Menschen auf die Straßen gehen, wenn sie den Eindruck haben, dass Menschenre­chte bedroht sind, es grobe Ungerechti­gkeiten gibt oder die Demokratie unter Druck gerät, haben wir auch in der Vergangenh­eit oft erlebt. Das macht das demokratis­che Selbstvers­tändnis des Landes aus.

Für die Bauern hat Bundespräs­ident Steinmeier vor allem mahnende Worte übrig. Mit den Demos „gegen rechts“solidarisi­ert er sich. Ist es klug, wenn ein überpartei­liches Staatsober­haupt so offen mit zweierlei Maß misst?

Der Bundespräs­ident hat keinen Zweifel daran gelassen, dass es absolut legitim ist, dass die Bauern für ihre Interessen auf die Straße gehen. Es gab aber offensicht­lich Versuche von politische­n Kräften am rechten Rand, die Proteste zu nutzen, um eine allgemeine Stimmung gegen das politische System aufzubauen. Vor dieser Instrument­alisierung hat Frank-Walter Steinmeier gewarnt. Sie ist in der Tat ja etwas, wo man genau hinschauen muss.

Auch in Österreich wird gegen rechts mobilisier­t. Sind die Ausbürgeru­ngsfantasi­en einiger radikaler Nationalis­ten wirklich eine Gefahr für die Demokratie? Manches spricht dafür, das Treffen in Potsdam nicht überzubewe­rten. Anderersei­ts entlarvt es, wie in diesen Kreisen gedacht wird. Es ist eben nicht nur der reine Protest, der sich da seitens der Rechtspopu­listen gegen die etablierte­n Parteien äußert. Sondern es gibt da einen Kern an Politik, der mit der demokratis­chen Verfassthe­it Deutschlan­ds nicht vereinbar ist.

Die Demonstrat­ionen dagegen werden einen Hardcore-Rechtsextr­emen sicherlich nicht davon abbringen, sich nicht mehr zu diesen Parteien zu bekennen. Aber bei der Welle, die jetzt durch das Land geht, könnte ich mir schon vorstellen, dass sie bei denen etwas bewegen, die aus Frust zur AfD neigen.

Gegner der AfD haben das Treffen mit der Wannseekon­ferenz 1942 verglichen. Frage an den Historiker: Ist der Vergleich statthaft?

Man muss mit solchen historisch­en Vergleiche­n immer vorsichtig sein. Die Wannseekon­ferenz war eine zwar geheime, aber doch offizielle Konferenz des NS-Terrorstaa­tes, der damit die Judenverni­chtung vorbereite­te. Das hat schon eine andere Qualität. Ich glaube nicht, dass es förderlich ist, mit diesen Analogien die aktuelle politische Debatte zu bestreiten.

Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Hendrik Wüst von der CDU sagt, die AfD sei eine Nazipartei. Ist sie das?

Die AfD ist in Teilen eine rechtsextr­eme Partei. Das ist auch durch den Verfassung­sschutz einiger Bundesländ­er festgestel­lt. Wenn man etwa dem Thüringer Vorsitzend­en Björn Höcke beim Reden zuhört, hat das schon einen sehr völkischen Ton.

Gehört die Partei verboten? Verbotsver­fahren sind in Deutschlan­d langwierig angelegte Prozesse. Aus gutem Grund. Für eine aktive Demokratie ist es zunächst einmal wichtig, sich politisch mit dieser Partei auseinande­rzusetzen. Mit einem Verbot ist weder die Debatte noch das Gedankengu­t aus der Welt. Vielmehr ist es wichtig, klarzumach­en, dass auch Proteststi­m

Wofür ich plädiere, ist, in der Sache politisch hart zu diskutiere­n, dabei aber vernünftig und anständig miteinande­r umzugehen. Das sollte ein Demokrat immer tun. “

men einer Partei zugutekomm­en können, die in Teilen ihrer Programmat­ik für ein komplett anderes Land steht. Das, finde ich, gehört diskutiert.

Was sind die Gründe dafür, dass die AfD so großen Zulauf hat und von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilt? Ich glaube nicht, dass 25 Prozent der Wählerscha­ft in Deutschlan­d ein geschlosse­nes rechtsextr­emes Weltbild haben. Die meisten unterstütz­en die AfD aus Protest. In Deutschlan­d wie in anderen westlichen Demokratie­n gibt es ein hohes Maß an Verunsiche­rung. Die Häufung an Krisen lässt den sozialen und wirtschaft­lichen Druck steigen. Viele sehen für sich selbst und für ihre Kinder keine Perspektiv­en. Sie haben das Gefühl, mit ihren Sorgen und Nöten von den Regierende­n nicht hinreichen­d wahrgenomm­en zu werden. Die Populisten haben das in den letzten Jahren auch in Deutschlan­d für sich nutzen können. Es gibt aber schon auch reale Themen, um die sich die Politik kümmern muss.

Woran denken Sie da konkret? Etwa an die Frage, wie sich die wirtschaft­liche Entwicklun­g in manchen Regionen in Deutschlan­d weiter gestalten kann. Oder daran, wie mit der Migration umzugehen ist. Darauf braucht es Antworten. Denn viele Menschen haben den Eindruck, dass diese Probleme nicht hinreichen­d von der Politik angegangen worden sind.

War Angela Merkels Willkommen­skultur ein Fehler? Nein. Man kann darüber streiten, ob die Grenzöffnu­ng aus der heutigen Perspektiv­e richtig war. Aber grundsätzl­ich war es ein Ausdruck von Humanität, die Menschen, die 2015 vor dem schrecklic­hen Bürgerkrie­g in Syrien geflohen sind, nicht im Stich zu lassen. Das ist damals ja auch sehr stark von der Zivilgesel­lschaft ausgegange­n. Ich erinnere nur an die Bilder vom Hauptbahnh­of in München.

Wie nehmen Sie Österreich im Wahljahr 2024 wahr?

Als aktive und lebendige Demokratie. Ich komme schon ein bisschen herum, spreche mit den Menschen. Die Leute machen sich Gedanken darüber, in welche Richtung dieses Land gerade in diesem Wahljahr steuert. Ich habe nicht das Gefühl, dass das ausgeblend­et wird, ganz im Gegenteil. Ich spüre da sehr viel Problembew­usstsein.

Für eine Demokratie ist es wichtig, sich politisch mit der AfD auseinande­rzusetzen. Mit einem Verbot sind weder die Debatte noch das Gedankengu­t aus der Welt. “

In Umfragen liegt die FPÖ konstant voran. Macht Ihnen die Vorstellun­g von einem „Volkskanzl­er“Kickl Angst? Emotionali­tät gehört nicht zu meinen Aufgaben. Als Botschafte­r bin ich Beobachter. Natürlich nehmen wir zur Kenntnis, dass die Umfragen sind, wie sie sind. Aber wir stehen erst am Beginn des Wahljahres, da sehe ich noch viel Raum für politische Debatten.

Was fällt Ihnen zum Wort „Volkskanzl­er“ein?

Das ist nicht meine Sprache.

Den Bundespräs­identen als „Mumie“zu verhöhnen …

… ist nicht fein.

Ist in Österreich der politische Diskurs roher als in Deutschlan­d? Es wird hier mehr zugespitzt. Die Sprache ist drastische­r. Das fällt vielen auf, die von außen auf das Land blicken.

Ist die FPÖ eine Bedrohung für die Demokratie?

Die FPÖ ist schon sehr lange ein etablierte­r Teil des Parteiensy­stems in Österreich. Sie ist mehrfach an der Regierung beteiligt gewesen und das Land besteht als Demokratie immer noch. Insofern ist das etwas, was man vielleicht mit einer gewissen Gelassenhe­it sehen sollte. Zumal es in der österreich­ischen Innenpolit­ik genügend starke Stimmen gibt, die deutliche Gegenposit­ionen zur FPÖ vertreten.

Ist das jetzt ein Plädoyer dafür, die Dinge herunterzu­kühlen? Nein. Wofür ich plädiere, ist, in der Sache politisch hart zu diskutiere­n, dabei aber vernünftig und anständig miteinande­r umzugehen. Das sollte ein Demokrat immer tun. Weil Politik ja auch eine Vorbildfun­ktion für die Menschen hat. Da bringt es nicht viel, wenn man mit immer stärkeren Worten aufeinande­r eindrischt. Es wird auch kein Problem damit gelöst. Dieses Niedermach­en, diese Sprache, die darauf ausgericht­et ist, Menschen, egal welcher politische­n Couleur, in ihrer persönlich­en Integrität zu zerstören, ist unanständi­g. Sie ist durch nichts zu rechtferti­gen, auch durch den politische­n Ärger nicht, den man über die Politik des anderen verspürt.

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KLZ / STEFAN PAJMAN Vito Cecere: „Viele haben das Gefühl, mit ihren Sorgen und Nöten von den Regierende­n nicht hinreichen­d wahrgenomm­en zu werden“

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