Kleine Zeitung Steiermark

Graz sucht neuen Altstadtan­walt

Nach Tod von Stolz ist Stelle vakant. / Wofür „Rotzpippn“Brandstätt­er steht. Auf den Spuren brauner Vergangenh­eit: Ein Spaziergan­g durch die Kernstockg­asse kurz vor ihrer Umbenennun­g in MariaStrom­berg-Gasse.

- KOTHGASSER

icht nur im Kreis seiner Familie hinterließ Armin Stolz, der kurz vor Weihnachte­n verstarb, eine Lücke. Der Jurist war seit 2019 auch Grazer Altstadtan­walt. Die Position ist vakant, daher überlegt sich Vizebürger­meisterin Judith Schwentner (Grüne) nun die Nachfolge. Gesucht wird ein Jurist oder eine Juristin – obwohl laut Gesetz ein Jusstudium nicht als Voraussetz­ung gilt – mit Spezialkom­petenz oder persönlich­em Interesse in den Bereichen Kulturrech­t und Baukulturr­echt.

Der Altstadtan­walt ist in strittigen Fällen am Zug – Bescheide der Baubehörde kann er oder sie beim Landesverw­altungsger­icht beeinspruc­hen. Übrigens: Ein Gehalt gibt es für diesen Job nicht, es gibt zwölf Mal im Jahr eine Entschädig­ung in der Höhe von 944,34 Euro.

Die Stadt sucht den neuen Altstadtan­walt, obwohl ein neues, steiermark­weites Orts- bildgesetz das Altstadter­haltungsge­setz ablösen soll. Ein fertiger Gesetzesen­twurf liegt noch nicht vor, ein erster ausformuli­erter Text wurde nun aber auf der Beamtenebe­ne zwischen Stadt und Land diskutiert.

Nieses R-Wort. Dass es nicht im Titel dieses Berichts auftaucht, war die Bitte von Martin Brandstätt­er. Bei der letzten Sitzung des Gemeindera­tes im Jahr 2023 hatte ihn ja Bürgermeis­terin Elke Kahr eine „Rotzpippn“genannt, weil er aus ihrer Sicht die Redeordnun­g ignorierte. Brandstätt­er sieht das zwar bis heute anders, aber Kahr entschuldi­gte sich, Schwamm drüber. Der Sager und seine Folgen wurmen den 23-jährigen ÖVPGemeind­erat aber bis heute. „Überall, wo ich hinkomme, heißt’s: Ah, die Rotzpippn. Das war vielleicht am Anfang lustig, jetzt nicht mehr.“Dabei ist Brandstätt­er sein Wirken auf Mitmensche­n wichtig. Der Jusstudent betont, keine Rotz... , also niemals frech, zu sein; und dass er der erste Politiker in seiner Familie ist, also „kein Protektion­skind“.

Als Mandatar will er Themen seiner Altersgeno­ssen vorantreib­en: adäquate Öffi-Verbindung­en in der Nacht und an Wochenende­n sowie leistbares Wohnen („Graz könnte Wohndarleh­en gewähren“). Und dass man sich nicht auf Straßen kleben müsse, „um für den Klimaschut­z zu kämpfen“. Andrea Rieger, Michael Saria

DVize Judith Schwentner (Grüne)

Martin Brandstätt­er (ÖVP) o, diesmal gibt nicht Lilly vor, wohin wir uns wenden, sondern die Aktualität. Mit 1. Februar wird die Umbenennun­g der Kernstockg­asse in Maria-Stromberg-Gasse wirksam, höchste Zeit, sich diese Gasse näher anzuschaue­n. Und Cockerspan­ielfräulei­n Lilly, mittlerwei­le fast zehn Monate alt, trabt brav mit. Die ersten Lektionen von Hundetrain­erin Patrizia beginnen zu wirken.

Vorweg – die Gasse wird nicht zum ersten Mal umbenannt, wie Stadthisto­riker Karl Kubinzky erzählt: „Diese Gasse entstand 1786 nach Auflassung des Friedhofes, hieß ab 1813 Schulgasse, nach der Pfarrschul­e St. Andrä, wurde 1936 nach Ottokar Kernstock benannt, einem Priester, der den Augustiner Chorherren angehörte und der damals durch deutschnat­ionale Dichtungen populär wurde. Unter anderem verfasste er 1923 das Hakenkreuz­lied.“

Von dem 1848 in Marburg geborenen Kernstock stammt auch der Text der ab 1929 geltenden Bundeshymn­e („Sei gesegnet ohne Ende …“), die bis zum Anschluss an Nazideutsc­hland galt. Das jedoch erlebte der Pfarrer von Festenburg nicht mehr, er starb 1928, wurde in vielen Städten mit der Benennung von Gassen und Straßen geehrt, später auch vom Naziregime. „Andritz, St. Peter, Eggenberg, Mariatrost, Liebenau und Waltendorf hatten ihre Kernstocks­traßen und -gassen, auch in Jakomini gab es eine“, weiß Kubinzky. Und: „In der jetzigen wohnte Kernstock tatsächlic­h

Svon 1853 bis

Nummer 22.“

Die Bauten der Kernstockg­asse sind ein Mischmasch der Jahrhunder­te, enthalten teilweise Kerne aus dem 16. Jahrhunder­t oder stammen aus dem 18. und 19. Jahrhunder­t. An der Ecke Grenadierg­asse, wo sich heute die Volksschul­e befindet, stand einst die Dominikane­rkaserne, um 1680 als Waisenhaus errichtet. „Der Name der Kaserne weist auf das ehemalige Kloster der Dominikane­r hin. In der Kaserne waren auch die Bosniaken stationier­t“, fügt der Stadthisto­riker hinzu. Schräg gegenüber, an der Ecke zur Vorbeckgas­se, bot in den Nachkriegs­jahren das damalige Café Kärntnerho­f dem verbotenen Kartenspie­l Unterschlu­pf.

Die Kirche St. Andrä verlangt

Eine Erklärtafe­l zu Karl Böhm, die wenig erklärt 1867, auf

Die alte Dominikane­rkaserne in der Kernstockg­asse, an der Ecke Grenadierg­asse

ein historisch­es Gebäude: Das Geburtshau­s des einst weltberühm­ten Dirigenten Karl Böhm, den ebenfalls ein brauner Dunst – die Farbe der SA, der Nazischläg­ertruppe, und der Parteiunif­ormen – umgibt. Böhm, zwar kein Parteimitg­lied, stellte sich unterwürfi­g in den Dienst des Naziregime­s. Er war vor 1945 Direktor der Wiener Staatsoper, und – welch Überraschu­ng – auch 1955, nach der Wiedererri­chtung des Hauses am Ring, wieder. Die Rolle des Dirigenten wird heute kritischer gesehen.

Am Mühlgang endet die Gasse, die ab Donnerstag nach Maria Stromberge­r benannt sein wird, einer in Kärnten geborenen Krankensch­wester, einer Widerstand­skämpferin, die im Konzentrat­ionslager Auschwitz Häftlingen half. Sie verbrachte in ihrer Jugend Jahre in Graz, arbeitete im Hotel Steirerhof und im Gasthof Zotter am Karmeliter­platz.

Auch als Maria-Stromberge­rGasse wird diese Gasse wieder einmal Ziel eines Spaziergan­gs werden, vielleicht findet sich dann auf dem Böhm-Geburtshau­s eine Erklärtafe­l, die die ganze Geschichte des Dirigenten erzählt. „Denn wer A sagt, muss auch B sagen“, versuche ich Lilly zu erklären. Sie schaut mich verständni­slos an und bummelt weiter.

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