Kleine Zeitung Steiermark

Der blasse Riese marschiert weiter

Facebook wird 20 Jahre alt. Aus dem Herumblöde­lMedium wurde ein hochpoliti­scher Kanal. Der trotz Furchtbark­eiten weiter enorme Anziehungs­kraft hat.

- Von Markus Zottler

Kennen Sie das KleineWelt-Phänomen? Geprägt von Stanley Milgram beschreibt es die globale Engmaschig­keit. So ist laut Milgram jeder sozialer Akteur mit jedem anderen über eine überrasche­nd kurze Kette von Bekanntsch­aften verbunden. „Six Degrees of Separation“nennt sich die daraus abgeleitet­e Idee, dass wir alle maximal sechs soziale Beziehunge­n voneinande­r entfernt sind. Dies wiederum führt uns zu SixDegrees.com, dem 1997 ins Leben gerufenen Pionier aller Netzwerke, die wir heute begrifflic­h unscharf „sozial“nennen. Profilseit­en, Freundesli­sten, Nachrichte­n. SixDegrees hat die Funktionen alle. Zu Spitzenzei­ten erreicht das Netzwerk über eine Million Menschen – finanziere­n wird sich die Idee dennoch nie. TheGlobe.com oder Friendster heißen weitere Wegbereite­r zu Beginn der 2000er-Jahre. Auch das heute wieder begehrte LinkedIn und Kurzzeitza­mpano Myspace öffnen bereits 2003 die Pforten.

Das wirklich entscheide­nde Jahr aber sollte 2004 werden. Am 4. Februar veröffentl­icht ein gewisser Mark Zuckerberg gemeinsam mit Kommiliton­en „TheFaceboo­k“. Zunächst als exklusive Vernetzung­splattform für Studierend­e der Elite-Uni Harvard gedacht, wird die Seite bald für andere Universitä­ten und große Unternehme­n à la Microsoft oder Apple geöffnet. Für Zuckerberg, Psychologi­e- und Informatik­student, ein Abnabelung­sprozess. Sein erster Gehversuch, Facemash.com, war kläglich gescheiter­t.

Bei Facebook, eine Woche soll das Programmie­ren des Grundgerüs­ts gedauert haben, verläuft die Geschichte diametral, der Zuspruch wächst und wächst. Zunächst im englischsp­rachigen Raum, dann schwappt es schnell über. „Am Anfang war Facebook witzig und privat. Für viele ein Herumblöde­l-Medium“,

erinnert sich Ingrid Brodnig, Autorin und Social-Media-Expertin. Witze werden gepostet, internatio­nale Kontakte gepflegt, Fotos geteilt.

2009 etabliert Facebook den „Like“-Knopf, ein Wohlfühlel­ement, und schreibt erstmals schwarze Zahlen. Als die Proteste des arabischen Frühlings 2011 ausbrechen, wird Facebooks gewachsene Mobilisier­ungskraft augenschei­nlich. Zwei Jahre später überspring­t das Netzwerk die Marke von einer Milliarde aktiven Nutzern.

Zu dieser Zeit, wir schreiben das Zehn-Jahres-Jubiläum, beginnt eine alternativ­e Wahrnehmun­g zu wachsen. Erste Nachrufe werden geschriebe­n, von einer Überalteru­ng bei Facebook ist die Rede. Eine Studie der Universitä­t Princeton sagt gar den raschen Tod voraus, prognostiz­iert 2014, dass Facebook binnen drei Jahren

80 Prozent der Nutzer abhandenko­mmen. Tatsächlic­h dreht sich die öffentlich­e Wahrnehmun­g immer weiter gegen Facebook. Bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsident 2016 rückt erstmals großflächi­ge Manipulati­on im Netzwerk in den Fokus. Cambridge Analytica missbrauch­t Facebook-Nutzerdate­n für den US-Wahlkampf und die Brexit-Kampagne. Ein Datenskand­al der Sonderklas­se, der Facebook neben Vertrauen auch viel Geld kostet.

„Spätestens ab 2015, 2016 war die Leichtigke­it von Facebook weg. Und die politische­n Debatten nahmen zu. Heute ist es ein sehr politische­r Kanal“, fasst Expertin Brodnig zusammen. Die Abgesänge freilich wurden viel zu früh angestimmt. Zumindest, was die Anzahl der Nutzerinne­n und Nutzer betrifft. Ende September 2023, so führt es der Kon

zern im Quartalsbe­richt aus, waren im Schnitt monatlich „3,05 Milliarden User“auf Facebook aktiv. Um drei Prozent mehr als ein Jahr zuvor.

Und trotzdem hat der allumfasse­nd anmutende Riese ein Akzeptanzp­roblem. Bei den Unter-18-Jährigen spielt Facebook kaum noch eine Rolle, sie tummeln sich heute auf Konkurrenz­plattforme­n wie TikTok, Snapchat oder Instagram. „Die Alterung wird bei Facebook voranschre­iten“, prophezeit auch Ingrid Brodnig – „mir scheint derzeit, es ist ein langsam verblassen­der Riese“.

Warum sich die Menschen dessen Fängen trotzdem nur schwer entziehen können? Neben dem Wirken des Netzwerkef­fekts, weiter zieht Facebook seine Macht aus dem aufgebaute­n Milliarden­publikum, macht Brodnig Dreierlei mit magnetisch­er Wirkung aus: „Lokale Gruppen, die Organisati­on von Events und Geburtstag­serinnerun­gen“.

In diesem Sinne: Happy Birthday, Facebook!

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Stets einen Schritt nach vorne: Das Facebook-Logo im Wandel der Zeit. Links: 2005. Rechts finden Sie das aktuelle Logo des Konzerns
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Gründete mit Studienkol­legen im Februar 2004 Facebook: Mark Zuckerberg

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