Kleine Zeitung Steiermark

Ein Roman als Menetekel

„Stadt ohne Juden“(1922) von Hugo Bettauer ist in den Feuilleton­s derzeit wieder stark im Gespräch.

- Von Bernd Melichar

Im Zusammenha­ng mit den Deportatio­nsplänen bzw. -fantasien – die Beurteilun­g schwankt zwischen Verharm- losung und Alarmismus – rechtsextr­emer Kreise bei einem Treffen in Potsdam taucht in den Feuilleton­s jetzt wieder ein Roman auf, der wie ein Menetekel gelesen werden kann. Das Buch heißt „Stadt ohne Juden“, der Autor Hugo Bettauer, verfasst hat er das Werk im Jahr 1922. Es ist kein großer literarisc­her Wurf, aber umso größer ist die inhaltlich­e Wucht. Im Kern geht es darum, dass die (christlich-soziale) Regierung unter Bundeskanz­ler Doktor Karl Schwertfeg­er beschließt, die gesamte jüdische Bevölke- rung nicht nur aus der Stadt, konkret Wien, zu weisen, sondern gänzlich aus dem Land Österreich zu jagen. Der Grund: Die Juden „sind unsere Herren geworden, haben das ganze wirtschaft­liche, geistige und kulturelle Leben unter ihre Macht bekommen“.

Der Rauswurf verläuft relativ human. Die Verjagten dürfen einen Teil ihres Vermögens mitnehmen und werden in Deportatio­nszügen in diverse Länder verfrachte­t. Allerdings: Wer wieder heimlich zurückkehr­en sollte, dem droht die Todesstraf­e. In der judenleere­n Stadt macht sich aber bald Ernüchteru­ng breit. Die Geschäfte bleiben leer, die Theater unbespielt, Fabriken schließen, Arbeitslos­igkeit und Elend steigen. Und, noch schlimmer: Weit und breit niemand da, dem man die Schuld an der Misere geben könnte, denn die Sündenböck­e wurden ja davongejag­t. Fazit: Neuwahlen, Volkskanzl­er Schwertfeg­er wird von der politische­n Bühne gefegt, die neue Regierung holt die Juden wieder zurück ins Land. Nicht deshalb, weil man sie so schätzt, sondern deshalb, weil man sie braucht. B ereits zwei Jahre nach seiner Veröffentl­ichung wurde der Roman verfilmt. Eine der Hauptrolle­n spielte Hans Moser, bürgerlich Johann Julier. Bettauers Roman trägt den Untertitel „Ein Roman von Übermorgen“. Dieses „Übermorgen“und somit der Übergang von der literarisc­hen Fiktion in die mörderisch­e Realität begann 1933. Adolf Hitler wurde deutscher Reichskanz­ler, die Juden standen bekanntlic­h an erster Stelle auf seiner Fahndungsl­iste. Der Ausgrenzun­g folgte die Vertreibun­g, dieser die Deportatio­n, am Ende stand der Massenmord. Auch Hans Moser geriet in die Gewaltmühl­en der Nazis. Er war mit einer Jüdin verheirate­t, weigerte sich aber, sich von ihr scheiden zu lassen. 1939 musste seine Frau Blanka nach Ungarn emigrieren. Moser selbst blieb in Wien, da er dort aufgrund seiner Popularitä­t relativ sicher war.

Und Hugo Bettauer? Der Schriftste­ller und Journalist hat das „Übermorgen“nicht mehr erlebt. Er wurde bereits am 10. März 1925 vom 21-jährigen Zahntechni­ker und NSDAP-Mitglied Otto Rothstock in seiner Wiener Redaktion erschossen.

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