Kleine Zeitung Steiermark

Am Ende des Geduldsfad­ens

Was Viktor Orbán mit den Blockaden wichtiger EU-Entscheidu­ngen macht, hat mit normalen Verhandlun­gen nichts zu tun. Der heutige Gipfel ist ein Prüfstein – für alle.

- Von Andreas Lieb

Viktor Orbán fühlt sich erpresst. Der ungarische Premier will „die Interessen seines Landes verteidige­n“und die „ideologisc­he Kriegsführ­ung der EU“nicht zulassen. Doch über die Sache mit Henne und Ei braucht man in diesem Fall nicht lange nachzudenk­en, denn der Ausgangspu­nkt für die Misere ist klar auszumache­n. Er liegt in Budapest.

Der heute in Brüssel stattfin- dende EU-Sondergipf­el war nö- tig geworden, weil Ungarn als einziges EU-Land permanent von der Veto-Möglichkei­t Ge- brauch macht. Genauer gesagt ist es kein Gebrauch, sondern ein Missbrauch. Das wirtschaft­lich schwer angeschlag­ene Land, das den letzten Platz im Korrupti- onsranking einnimmt, benutzt das Einstimmig­keitsprinz­ip dafür, wichtige Entscheidu­ngen zu torpediere­n – weniger um der Sache willen, sondern um sich selbst Vorteile zu verschaffe­n; kurioserwe­ise in Schieflage­n, in die es sich selbst gebracht hat.

Orbán hat in den letzten Jah- ren kaum eine Gelegenhei­t aus- gelassen, sich selbst in die Au- ßenseiterr­olle zu manövriere­n. Er verlangt Ausnahmen bei den Sanktionen, benutzt Migranten andreas.lieb@kleinezeit­ung.at

als Druckmitte­l gegenüber an- deren Ländern – allen noch gut in Erinnerung, wie Ungarn quasi alle ankommende­n Asylwerber nach Österreich weiterschi­ckt und zum Hohn auch noch fest- genommene Schlepper freilässt –, er gilt als Vertrauter von Kriegsverb­recher Putin und scheut auch vor Hetzkampa- gnen nicht zurück, die etwa am- tierende Kommission­sspitzen wie Jean-Claude Juncker oder Ursula von der Leyen persönlich ins Visier nehmen.

Es heißt, Orbán gefalle es, wenn er so in den Mittelpunk­t des Geschehens rückt. Das wird auch heute der Fall sein, wenn im Brüsseler Ratsgebäud­e Dut- zende Kameras und Mikrofone auf sein Erscheinen warten. Die EU hat die Möglichkei­ten des Entgegenko­mmens weitgehend ausgereizt. In Diplomaten­krei- sen ist zu hören, Ungarn könnte auf Rabatte bei den Beitrags- zahlungen hoffen oder auf eine Erstreckun­g der Zeitvorgab­en für die verlangten Reformen, doch scheint bei allen das Ende des Geduldsfad­ens erreicht zu sein. Dass die Kommission allein für die Duldung der Ukraine-Beitrittsv­erhandlung­en 10,2 Milliarden Euro an blockierte­n Mitteln freigegebe­n hat, war ein Fehler. Erpresser hören niemals auf, eine alte Krimi-Weisheit. Ungarn agiert rücksichts­los gegenüber der Ukraine, aber auch gegenüber den 26 anderen EULändern. Die Revision des mehrjährig­en Finanzrahm­ens, die nach langen Verhandlun­gen unter anderem die gewünschte bessere Sicherung der Außengrenz­en möglich machen soll, liegt ebenfalls auf Eis, wichtige Programme können notfalls nur durch „alte“Budgetieru­ng weiterlauf­en.

Das alles hat mit demokratis­cher Entscheidu­ngsfindung nichts mehr zu tun. Die EU sollte sich am heutigen Gipfel genau jener Werte und jener Rechtsstaa­tlichkeit gewahr sein, die sie permanent von allen einfordert. Sie soll auf die erpresseri­schen Blockaden angemessen reagieren – wenn es sein muss, auch als Einheit der 26. Ohne Ungarn.

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