Kleine Zeitung Steiermark

49 Millionen Euro für Zuckerküge­lchen

Nachweise für die Wirkung von Homöopathi­e gibt es über den Placeboeff­ekt hinaus nicht. Der Absatz boomt dennoch.

- Von Martina Marx

Leistungen, die keinen medizinisc­h belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmi­tteln finanziert werden“, ließ das deutsche Gesundheit­sministeri­um verlautbar­en. Dieser bürokratis­che Satz besagt, dass die Leistungen von Krankenkas­sen für Homöopathi­e gestrichen werden sollen. Auf Twitter wurde Minister Karl Lauterbach deutlicher: „Homöopathi­e macht als Kassenleis­tung keinen

Sinn. Die

Grundlage der Politik muss die wissenscha­ftliche Evidenz sein.“

Wissenscha­ftliche Evidenz, also Daten über die Wirksamkei­t von Homöopathi­e gibt es. Der überwiegen­de Großteil kommt zum Schluss: „Über den Placeboeff­ekt hinaus gibt es keinen wissenscha­ftlichen Nachweis, dass Homöopathi­e wirkt“, sagt Epidemiolo­ge Gerald Gartlehner (Donau-Uni Krems). Dieser Erkenntnis hat zuletzt Elisabeth Lazcano, sie ist Vizepräsid­entin der Österreich­ischen Gesellscha­ft für Homöopathi­schen Gesellscha­ft, in einer Diskussion in der „Zeit im Bild 3“widersproc­hen. Sie führte etwa eine Studie aus dem Oktober 2023 ins Treffen, welche die Wirksamkei­t belegen würde. Gartlehner selbst hat 2022 eine Studie über Forschungs­praxis in der Homöopathi­e veröffentl­icht. Diese Untersuchu­ng zeigte „erschrecke­nd schlechte wissenscha­ftliche Standards in der Homöopathi­eforschung“. Dieser Erkenntnis liegt die Deklaratio­n von Helsinki zugrunde. Diese besagt, dass Forschungs­arbeiten vorab bei öffentlich einsehbare­n Datenbanke­n registrier­t werden und nach Abschluss der Forschunge­n veröffentl­icht werden müssen. In Bezug auf Homöopathi­e zeigt sich, dass seit 2002 fast 38 Prozent der registrier­ten Studien unveröffen­tlicht blieben. Umgekehrt wurden 53 Prozent der veröffentl­ichten Studien nicht im Vorfeld registrier­t.

Bei 25 Prozent der registrier­ten Studien wurde das Hauptziel in der späteren Veröffentl­ichung verändert. Darüber hinaus ergaben nicht registrier­te Studien größere therapeuti­sche Effekte als vorab registrier­te Arbeiten. „Wir können wohl davon ausgehen, dass Studien, die nicht die gewünschte Wirksamkei­t nachweisen, häufig einfach nicht veröffentl­icht werden.“

Doch wie soll Homöopathi­e wirken? Behandelt wird nach dem Leitsatz „Ähnliches mit Ähnlichem heilen“. Krankheite­n sollen durch Substanzen geheilt werden, die bei gesunden Menschen ähnliche Symptome her

vorrufen. Für Globuli und Co werden Ausgangsst­offe so stark verdünnt, dass sie kaum bzw. nicht mehr nachweisba­r sind. Patienten kaufen also Präparate, die keine Wirkstoffe mehr enthalten. Das unterschei­det diese Mittel von Naturheilk­unde. „Homöopathi­e ist keine Naturheilk­unde, da der Wirkstoff, der aus der Natur kommt, geradezu herausverd­ünnt wurde“, sagt Natalie Grams. Die deutsche Ärztin war einst selbst Vertreteri­n der Homöopathi­e und ist heute Kritikerin dieser.

In Österreich ist Homöopathi­e keine Kassenleis­tung. Doch auch das tut ihrer Beliebthei­t keinen Abbruch. Laut dem Institut Interconti­nental Marketing Services (IQVIA) wurden 2023 hierzuland­e 49,4 Millionen Euro für Homöopathi­ka in Apotheken ausgegeben. Der Markt wächst – im Vergleich zum Jahr 2022 um 6,4 Prozent. Am häufigsten werden Schmerzmit­tel, Augenpräpa­rate, Mineralsto­ffe und Husten- und Erkältungs­mittel gekauft.

Kassenleis­tungen, aber auch die Umgebung in Apotheken verleihen Homöopathi­e Seriosität.

„Die Erstattung der Krankenkas­se adelt sie quasi zu Medizin“, sagt Grams. Lauterbach­s Vorstoß befürworte­t sie und erwartet sich auch einen Effekt von diesem: „In Ländern wie England oder Frankreich hat man gesehen, dass nach dem Ende der Erstattung der Zuspruch zur Homöopathi­e insgesamt zurückging.“

Dass der Zuspruch zurückgeht, sei wünschensw­ert, so Gartlehner. Denn, wenn Patienten aufgrund ihres Glaubens an die Homöopathi­e andere, wirksame Behandlung­en ausschlage­n oder aufschiebe­n, kann diese – auch wenn sie keine Wirkung erzielt – Schaden anrichten. Das Sprichwort „hilfts nix, schadets nix“ist in diesem Zusammenha­ng ein Trugschlus­s.

Doch der ungebroche­ne Zuspruch zur Homöopathi­e legt ein Problem offen, das ernst zu nehmen ist. „Viele Menschen fühlen sich in der Medizin nicht gut behandelt“, sagt Grams. Das Humane, das Menschlich­e, komme in der Humanmediz­in zu kurz. „Deswegen müssen wir die Medizin so verbessern, dass niemand sich nach einer wirkungslo­sen ‚Alternativ­e‘ sehnt.“

 ?? ADOBESTOCK ?? Homöopathi­e ist auch in Österreich weiterhin beliebt, verkauft werden Globuli und Co in Apotheken. Von der ÖGK werden die Kosten nicht übernommen
ADOBESTOCK Homöopathi­e ist auch in Österreich weiterhin beliebt, verkauft werden Globuli und Co in Apotheken. Von der ÖGK werden die Kosten nicht übernommen
 ?? ADOBESTOCK ?? Ein homöopathi­sches Produkt kostet derzeit durchschni­ttlich 19,1 Euro
ADOBESTOCK Ein homöopathi­sches Produkt kostet derzeit durchschni­ttlich 19,1 Euro
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