49 Millionen Euro für Zuckerkügelchen
Nachweise für die Wirkung von Homöopathie gibt es über den Placeboeffekt hinaus nicht. Der Absatz boomt dennoch.
Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln finanziert werden“, ließ das deutsche Gesundheitsministerium verlautbaren. Dieser bürokratische Satz besagt, dass die Leistungen von Krankenkassen für Homöopathie gestrichen werden sollen. Auf Twitter wurde Minister Karl Lauterbach deutlicher: „Homöopathie macht als Kassenleistung keinen
Sinn. Die
Grundlage der Politik muss die wissenschaftliche Evidenz sein.“
Wissenschaftliche Evidenz, also Daten über die Wirksamkeit von Homöopathie gibt es. Der überwiegende Großteil kommt zum Schluss: „Über den Placeboeffekt hinaus gibt es keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass Homöopathie wirkt“, sagt Epidemiologe Gerald Gartlehner (Donau-Uni Krems). Dieser Erkenntnis hat zuletzt Elisabeth Lazcano, sie ist Vizepräsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Homöopathischen Gesellschaft, in einer Diskussion in der „Zeit im Bild 3“widersprochen. Sie führte etwa eine Studie aus dem Oktober 2023 ins Treffen, welche die Wirksamkeit belegen würde. Gartlehner selbst hat 2022 eine Studie über Forschungspraxis in der Homöopathie veröffentlicht. Diese Untersuchung zeigte „erschreckend schlechte wissenschaftliche Standards in der Homöopathieforschung“. Dieser Erkenntnis liegt die Deklaration von Helsinki zugrunde. Diese besagt, dass Forschungsarbeiten vorab bei öffentlich einsehbaren Datenbanken registriert werden und nach Abschluss der Forschungen veröffentlicht werden müssen. In Bezug auf Homöopathie zeigt sich, dass seit 2002 fast 38 Prozent der registrierten Studien unveröffentlicht blieben. Umgekehrt wurden 53 Prozent der veröffentlichten Studien nicht im Vorfeld registriert.
Bei 25 Prozent der registrierten Studien wurde das Hauptziel in der späteren Veröffentlichung verändert. Darüber hinaus ergaben nicht registrierte Studien größere therapeutische Effekte als vorab registrierte Arbeiten. „Wir können wohl davon ausgehen, dass Studien, die nicht die gewünschte Wirksamkeit nachweisen, häufig einfach nicht veröffentlicht werden.“
Doch wie soll Homöopathie wirken? Behandelt wird nach dem Leitsatz „Ähnliches mit Ähnlichem heilen“. Krankheiten sollen durch Substanzen geheilt werden, die bei gesunden Menschen ähnliche Symptome her
vorrufen. Für Globuli und Co werden Ausgangsstoffe so stark verdünnt, dass sie kaum bzw. nicht mehr nachweisbar sind. Patienten kaufen also Präparate, die keine Wirkstoffe mehr enthalten. Das unterscheidet diese Mittel von Naturheilkunde. „Homöopathie ist keine Naturheilkunde, da der Wirkstoff, der aus der Natur kommt, geradezu herausverdünnt wurde“, sagt Natalie Grams. Die deutsche Ärztin war einst selbst Vertreterin der Homöopathie und ist heute Kritikerin dieser.
In Österreich ist Homöopathie keine Kassenleistung. Doch auch das tut ihrer Beliebtheit keinen Abbruch. Laut dem Institut Intercontinental Marketing Services (IQVIA) wurden 2023 hierzulande 49,4 Millionen Euro für Homöopathika in Apotheken ausgegeben. Der Markt wächst – im Vergleich zum Jahr 2022 um 6,4 Prozent. Am häufigsten werden Schmerzmittel, Augenpräparate, Mineralstoffe und Husten- und Erkältungsmittel gekauft.
Kassenleistungen, aber auch die Umgebung in Apotheken verleihen Homöopathie Seriosität.
„Die Erstattung der Krankenkasse adelt sie quasi zu Medizin“, sagt Grams. Lauterbachs Vorstoß befürwortet sie und erwartet sich auch einen Effekt von diesem: „In Ländern wie England oder Frankreich hat man gesehen, dass nach dem Ende der Erstattung der Zuspruch zur Homöopathie insgesamt zurückging.“
Dass der Zuspruch zurückgeht, sei wünschenswert, so Gartlehner. Denn, wenn Patienten aufgrund ihres Glaubens an die Homöopathie andere, wirksame Behandlungen ausschlagen oder aufschieben, kann diese – auch wenn sie keine Wirkung erzielt – Schaden anrichten. Das Sprichwort „hilfts nix, schadets nix“ist in diesem Zusammenhang ein Trugschluss.
Doch der ungebrochene Zuspruch zur Homöopathie legt ein Problem offen, das ernst zu nehmen ist. „Viele Menschen fühlen sich in der Medizin nicht gut behandelt“, sagt Grams. Das Humane, das Menschliche, komme in der Humanmedizin zu kurz. „Deswegen müssen wir die Medizin so verbessern, dass niemand sich nach einer wirkungslosen ‚Alternative‘ sehnt.“