Kleine Zeitung Steiermark

Was bewirken die Demos gegen rechts?

THURNHER kontr@ FLEISCHHAC­KER Ein Wortgefech­t ohne Sichtkonta­kt. Die Kontrahent­en sitzen vor ihren Laptops, schärfen Argumente und gehorchen drei Regeln:

- Armin Thurnher, Gründer und Herausgebe­r der Wiener Stadtzeitu­ng „Falter“, Autor von Essays, Romanen und Kochbücher­n, Musik-, Diskurs- und überhaupt Liebhaber

ARMIN THURNHER: Zuerst einmal bewirken sie Klarstellu­ngen. Es geht zwar trotz begrifflic­her Schwammigk­eit („gegen rechts“) ganz klar gegen jene Kräfte, von denen man annehmen kann, dass sie die bestehende Variante der Demokratie durch eine illiberale ersetzen wollen. Es geht also nicht gegen alles, was rechts ist, sondern gegen die FPÖ, deren Chef Viktor Orbáns Regime zum Vorbild erklärt hat, es geht gegen rechtsextr­eme Strömungen und ja, Stimmungen. Und es geht naturgemäß auch um eine gewisse Sichtbarke­it, um ein Zeichen, dass beträchtli­che Menschenme­ngen solche Entwicklun­gen nicht hinzunehme­n bereit sind.

MICHAEL FLEISCHHAC­KER: Falls es Ihnen nichts ausmacht, lieber Thurnher, beantworte ich die uns gestellte Frage, was die Demonstrat­ionen „gegen rechts“bewirken: nichts. Denn zur Klarstellu­ng, dass für Sie und den Rest des österreich­ischen Justemilie­u jeder, der nicht sie selbst sind, rechts, und jeder Rechte rechtsextr­em ist, hätte es keiner Demonstrat­ion bedurft. Der politische Zaubertric­k, mit dem man alles, was nicht in den linken Zylinder passt, als rechtsextr­emes Kaninchen unters staunende Volk wirft, dient ja nicht einer Klarstellu­ng nach außen, sondern nur einer Klarstellu­ng und Vergewisse­rung nach innen: Wir sind die Guten. Eigentlich müssten Sie sich mit den Rechtsextr­emen ganz gut verstehen: Die machen das genau gleich, nur andersrum.

THURNHER: Na hoppla, jetzt könnte ich den Eingangsab­satz gleich noch einmal hinschreib­en. Dass Sie mich so nebenbei zum Linksextre­men erklären, weise ich nur ordnungsha­lber zurück. Dass die Demos nichts bewirken, stimmt schon insofern nicht, als sie den Ärger sämtlicher rechter Publiziste­n auf geradezu pyromanisc­he Weise anfachen. Ich habe aber weder Zaubertric­k noch Zylinder (welchen man bekanntlic­h in Karikature­n eher nicht der Linken zuordnet), nur Augen und Ohren. Schon klar, dass sie von ihrer vorgefasst­en Theorie der linken Innerlichk­eit nicht abrücken, in diesem Fall wendet sie sich halt nach außen, die Innerlichk­eit, und stellt öffentlich etwas klar: mit uns nicht. Es geht nicht um

Gefühle, das haben Sie und ihre empörten Kollegen gut erkannt. Es geht um Hegemonie. Wer gibt den Ton an in der Republik? Die rechten Hetzer nicht! Die Demos bewirken unmittelba­r politisch vielleicht nichts, hegemonial aber sehr wohl.

FLEISCHHAC­KER: Ihre Hegemonial­theorie ist mir ehrlich gesagt etwas zu hoch, ich weiß nicht so recht, wie in dieser ideologisc­hen Alchemie aus nichts etwas werden soll. Sie haben allerdings meine knappe Erklärung der Diskursver­schiebung, die ich beobachte, eher eigenwilli­g interpreti­ert: Ich denke nicht daran, Sie zum Linksextre­men zu machen. Das machen die Rechten, die machen Linke zu Linksextre­men, so wie Sie und Ihre linken Mitstreite­r

Rechte zu Rechtsextr­emen machen, um sich dann gemeinsam mit allen darüber zu wundern, dass es an den extremen Rändern so viel Zuwachs gibt.

THURNHER: Gut. Dass Beobachtun­g das Beobachtet­e beeinfluss­t, kennt man aus der Quantenthe­orie. Wir reden hier aber von sozialen und politische­n Wirkungen. Ich behaupte, dass Großdemos nicht bewirken, dass Herbert Kickl den korrupten, antisemiti­schen und illiberale­n ungarische­n Präsidente­n als sein Vorbild betrachtet, nach dem er Österreich gestalten wolle. Sie bewirken auch nicht, dass Parolen von „Remigratio­n“kursieren. Ich behaupte, dass Großdemos darauf reagieren, indem sie ihren Unmut darüber aus

Das Thema wird von Kleine-Zeitung-Chefredakt­eur Hubert Patterer vorgegeben, von Fußball bis Raumfahrt ist alles möglich.

drücken. Sichtbarer Unmut kann gesellscha­ftliche Stimmungen beeinfluss­en, diese wiederum Wahlergebn­isse. Kann sein, muss nicht sein.

FLEISCHHAC­KER: Vielleicht sind wir beide zu schnell in die Schützengr­äben gesprungen, lieber Thurnher, lassen Sie mich also noch einmal versuchen zu verstehen, worum es bei Demonstrat­ionen überhaupt geht. Ich, der ich mit der Vorstellun­g aufgewachs­en bin, dass Demonstrat­ionen der Sichtbarma­chung des Ungesehene­n dienen, dass sie eine Möglichkei­t der Bürger sind, den Regierende­n gegenüber ihren Unmut zum Ausdruck zu bringen, ein symbolisch­er Aufstand gegen die Macht mithin, verstehe schon seit 40 Jahren nicht, dass in Österreich fast

Das erste Wort wird abwechseln­d erteilt, genauso das letzte. Endlich kann geklärt werden, was wichtiger ist.

nie gegen die Regierung demonstrie­rt wird, aber fast immer mit der Unterstütz­ung der Leitmedien gegen die Oppositi- on. Und wenn, wie während der Pandemie, einmal gegen die Regierende­n demonstrie­rt wird, werden die Demonstran­ten dafür beschimpft und verunglimp­ft. Das kommt mir irgendwie seltsam vor.

THURNHER: Die Coronademo­s sind ein ganz eigenes Thema. Aber dass nie gegen die Regierung demonstrie­rt wird, stimmt nicht. In meiner eigenen Biografie registrier­e ich nur zum Beispiel den Aufstand von Fußach (gegen die SPÖ), von Hainburg (gegen die SPÖ) und die Demos im Jahr 2000 (gegen ÖVP-FPÖ). Das alles ging gegen die jeweilige Regierung, und die ersten beiden

Die Zahl der Worte wird streng geteilt: Jeder hat gleich viel Platz, es sei denn, einer verzichtet zugunsten des anderen.

Fälle zeigen, dass Demos sehr wohl etwas bewirken können. In den jetzigen Fällen geht es auch nicht gegen „die Oppositi- on“, sondern gegen Tendenzen, Demokratie und Menschenre­chte abzuschaff­en oder fatal umzuformen. Tendenzen, die vor der globalen Kulisse von Moskau bis Washington bedrohlich­e Macht zu bekommen scheinen.

FLEISCHHAC­KER: In Fußach und Hainburg war ich nicht dabei, das Jahr 2000 sehe ich ein bisschen anders als Sie, denn die Demonstrat­ion richteten sich ja nicht gegen das Agieren der Regierung, sondern gegen ihre bloße Existenz, wenn man so will, ein Protest dagegen, dass die Opposition nicht Opposition bleiben wollte. Aber geschenkt. Jetzt sagen Sie mir noch: Wodurch genau sind in Österreich Demokratie und Menschenre­chte gefährdet, welche Forderung steht im Raum, was habe ich übersehen?

THURNHER: Es gab nach 2000 selbstvers­tändlich jede Menge Proteste gegen geplante Reformen von Schwarz-Blau, also klassisch gegen die Regierung. Zu heute. Wie eingangs gesagt, geht es nicht gegen „die Demokratie“, sondern gegen „die bestehende Variante von Demokratie“. Die FPÖ wiederholt unverschäm­t die Forderung nach „Remigratio­n“, also auch Deportatio­n von Eingebürge­rten. Kickl hat wiederholt die „Adaptierun­g“von Menschenre­chten

gefordert. Er stellt Ungarns illiberale Demokratie als Vorbild hin und hat als Innenminis­ter bereits angedeutet, was auch seine Parteikoll­egen bei Bedarf gern formuliere­n, dass er uns Journalist­en Mores lehren wird. Den öffentlich-rechtliche­n Rundfunk will er abschaffen (ich weiß, das stört sie weniger). Seine Partei steht bei 30 Prozent, ist gegenüber den Identitäre­n offen, und mit oder ohne ihn kann es durchaus sein, dass sie nach den Wahlen regiert.

FLEISCHHAC­KER: Vielleicht ist das Jahr 2000 tatsächlic­h der beste Vergleich. Soweit ich mich erinnere, hat der unmittelba­re Rückfall in die düstersten Zeiten der Geschichte nicht stattgefun­den. Letztendli­ch waren die Demonstran­ten mit dem Ausgang der Wahl und vor allem der Koalitions­verhandlun­gen nicht einverstan­den. Fair enough, auch dafür darf man auf die Straße gehen. Und jetzt geht man auf die Straße, weil man nicht will, dass die Wahlen ausgehen werden, wie sie ausgehen könnten, gewisserma­ßen prophylakt­isch. Auch in Ordnung. Aber ich finde, man sollte damit aufhören, die eigenen politische­n Präferenze­n als die einzigen demokratis­ch zulässigen darzustell­en. Demokratie lebt davon, dass man auch krass konträren Ansichten nicht die Legitimitä­t abspricht.

 ?? ?? Eine Woche nach den Demos in Wien, Innsbruck und Salzburg formiert sich heute in Graz ein „Bündnis für Menschenre­chte und Demokratie“
Eine Woche nach den Demos in Wien, Innsbruck und Salzburg formiert sich heute in Graz ein „Bündnis für Menschenre­chte und Demokratie“
 ?? ?? Michael Fleischhac­ker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur der „Presse“, jetzt freier Publizist und „Talk im Hangar-7“-Moderator
Michael Fleischhac­ker, nach Stationen bei der Kleinen Zeitung und beim „Standard“2004 bis 2012 Chefredakt­eur der „Presse“, jetzt freier Publizist und „Talk im Hangar-7“-Moderator

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