Gries, wo das Fremde heimisch ist
Wie tickt der erste Grazer Bezirk, in dem mehr Aus- als Inländer wohnen? Ein Streifzug durch den 5. Bezirk in Graz.
Mitten am Griesplatz liegt die Trafik von Daniela Nussbaumer. „Ich schätze, dass etwa 70 Prozent meiner Kunden nicht von hier sind“, erzählt die Grazerin. „Nicht von hier“heißt: Die Leute leben im direkten Umfeld der Trafik, haben aber keine österreichische Staatsbürgerschaft. Ihre Wurzeln liegen irgendwo im Ausland. „Es gibt Männer, die können nicht einmal ihre Zigarettenmarke aussprechen, dabei kommen sie seit Jahren fast täglich zu mir.“
Gries und die vielen Migranten – das Thema ist alt, die Dimension neu. Mit Stichtag 1. Jänner 2024 ist eine Premiere amtlich: Erstmals haben in einem Grazer Bezirk mehr Menschen ihren Hauptwohnsitz, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen. 50,6 Prozent sind es genau - 15.455 Köpfe. „Fremd im eigenen Bezirk“, sagt FPÖ-Chef Axel Kassegger dazu. Jetzt sei das eingetreten, wovor man seit Jahren warne.
Dabei war der Bezirk Gries immer schon der Ort für die, die man auf der anderen Seite der Mur, im herausgeputzten Zentrum, nicht gerne gesehen hat, sagt Kulturanthropologin Katharina Eisch-Angus von der Uni Graz, die selbst in Gries lebt und forscht. Historisch gesehen waren es Händler und Handwerker, „etwa die italienischen Bauleute im 18. Jahrhundert – die waren ganz wichtig für die Stadt“. Das Fremde war in Gries immer schon heimisch.
Heute mehr denn je. Am Griesplatz reiht sich Handyshop an Wettcafé, türkischer Supermarkt an Barbershop, Geldüberweisungsinstitut trifft Waschsalon. Dazwischen halten sich heimische Elektro-Fachleute wie Zöscher, der innen deutlich größer ist, als er von außen wirkt, und Neuhold Elektronik. „Ein Würstelstand wäre schon eine schöne Abwechslung“, lacht Trafikantin Nussbaumer.
Mit der Gemeinschaft am Griesplatz ist sie jedenfalls zufrieden. Zum Mittagessen gehen sie und ihr Mann oft ins Kapadokya Grill, direkt gegenüber ihrer Trafik. „Am Wochenende schaut der dafür auf unsere Automaten, sollte mal etwas sein.“
Geschichten vom Zusammenhalt kann auch Ani Hasratyan erzählen. Ihre Familie stammt aus Armenien, die junge Frau ist aber in Graz aufgewachsen. Gemeinsam mit ihrer Schwester Rima führt sie den Friseursalon Riyan in der Belgiergasse. „Obwohl wir eigentlich Konkurrenten sind, helfen sich die Friseursalons in der Umgebung gerne aus“, erzählt Hasratyan.
Das Image des Bezirks war schon vor der neuen Bevölke
rungsstatistik nicht das beste. Wir treffen Max am Griesplatz. Der gebürtige Kärntner studiert in Graz und wohnt in Gries: „Bevor ich hierhergezogen bin, hat man mich gewarnt. Ich würde abgestochen oder so. Dabei ist dieser Blick von außen völlig übertrieben“, sagt er. Auch Frisörin Hasratyan schüttelt entschieden den Kopf: Natürlich fühle sie sich sicher. Das bisher letzte Mal war 2015, während der damaligen Flüchtlingswelle, als auch sie die Ablehnung gegenüber Menschen mit migrantischen Hintergrund spürte.
Ein Urgestein im Bezirk ist Wolfgang Christian Schmidt vom Bürsten- und Korbwarengeschäft in der Rösselmühlgasse. Die Geschichte seines Familienunternehmens reicht bis in die 1850er-Jahre zurück. Die demografische Entwicklung des Viertels sieht er positiv. „In den 80er-Jahren war es hier wie ausgestorben“, erzählt er, „ich freue mich, dass jetzt so viele Menschen hierhergezogen sind.“