Kleine Zeitung Steiermark

Eine Wohnung als Grundstein für so vieles

„Housing First“wird nun steiermark­weit ausgerollt. Wie zwei Grazerinne­n vor der Obdachlosi­gkeit bewahrt wurden.

- Von Thomas Macher

Sie setzt sich, den kleinen Hund im Arm, auf das Sofa und erzählt von ihrer schlimmste­n Zeit: „Ich wäre untergegan­gen.“24 Jahre war sie mit ihrem Mann zusammen, bis es nicht mehr ging: „Er war ein schwerer Alkoholike­r, hat mich immer runtergema­cht. Als er auf einen meiner Hunde losgegange­n ist, hab ich gewusst, ich muss weg, bevor noch mehr passiert.“Die Grazerin flüchtete sich ins Frauenhaus, wo sie sich aber bald wie eingesperr­t fühlte: „Nervlich war ich schon so fertig.“Die Rettung war ein Projekt von „Jugend am Werk“. „Housing First“heißt der internatio­nal erprobte Ansatz: Wohnungsod­er Obdachlose­n wird eine Wohnung vermittelt. Die Organisati­on hilft beim Umzug, bei Förderantr­ägen und betreut die Betroffene­n nach ihrem Einzug weiter. Für die Miete kommen diese wiederum selbst auf.

28 Quadratmet­er hat die 56-Jährige seit Oktober nun für sich, zwei Hunde und eine Katze. Im Vorzimmer hängt ein Selbstport­rät ihrer Tochter, zwischen zwei Topfpflanz­en hat sie vier große Holzbuchst­aben platziert: „HOME“. Die Wohnung findet sie zwar etwas eng, aber es ist das erste Ankommen in einem neuen Leben. Von ihrer Betreuerin ist sie begeistert: „Ich bin so froh, dass ich einen Ansprechpa­rtner habe. Hier ist es oft sehr einsam.“Um die 450 Euro zahlt sie jetzt an Miete, teils aus der Wohnbeihil­fe. „Ich möchte gerne wieder arbeiten, aber ich schaffe das psychisch nicht.“

Die psychische­n Belastunge­n und Erkrankung­en nehmen zu, sagt Helene Grasser von „Jugend am Werk“: „Zugleich wird es immer schwerer, billigen Wohnraum zu finden.“Hoffnung macht, dass das Projekt, das derzeit noch bis September befristet ist, heuer steiermark­weit

ausgerollt wurde. 100 Wohnungen werden zur Verfügung gestellt, auch genossensc­haftliche Wohnbauträ­ger sind an Bord. Drei Jahre werden die Klienten im Schnitt von Sozialarbe­itern betreut. Danach dürfen sie in den Wohnungen bleiben. Kaum jemand würde abspringen.

Ein paar Straßen weiter lebt Sollena. Sie hat vieles hinter sich. Ihr Ex habe mit ihrer Mutter geschlafen, erzählt sie, ihre Familie wolle nicht mehr mit ihr reden: „Ich bin froh, dass ich hier bin. Das gibt mir wieder Stabilität.“In ihrem „Kuschel- und Chillzimme­r“hängen Poster mit Außerirdis­chen und Superhelde­n. „Sie hat die Wohnung zu ihrer gemacht“, schmunzelt Andreas Kleinegger, Leiter der Notschlafs­telle Vinzitel. Auch die Vinziwerke verfolgen seit einigen Jahren den Ansatz von „Housing First“. „Unsere Warteliste­n sind voll. Die Nachfrage ist steil nach oben gegangen.“Sollena zahlt 385 Euro Miete, 50 Euro für Strom und 69 Euro fürs Heizen. Dazu kommt auch noch die Kaution, die sie abbezahlt. „Am Ende bleibt nicht viel übrig“, sagt sie.

Die wahre Arbeit beginne oft erst nach dem Einzug, sagt Kleinegger: „Wir helfen etwa dann, wenn die Leute in Rückstand geraten. Der Vermieter weiß, dass jemand sich auf profession­eller Ebene kümmert. Das entspannt viele Situatione­n.“80 Menschen haben seit dem Start 2017 mitgemacht, nur eine Person hätte delogiert werden müssen.

Der Vinzitel-Leiter ist froh, dass „Housing First“nun größer aufgespann­t wird: „Die eigene Wohnung ist der Grundstein für so vieles. Allein einen Schlüssel zu haben, mit dem man hinter sich zusperren kann, bedeutet den Betroffene­n sehr viel.“Sollena lacht. „Das hier ist meine Basis“, sagt sie, ehe sie die Tür hinter den Besuchern schließt.

Ohne Hilfe wäre ich untergegan­gen. Nervlich war ich schon so fertig.

Die 56-Jährige Grazerin

Ich brauch meinen Platz, die Wohnung hier ist meine Basis. Ich bin froh, dass ich hier bin. Die eigenen vier Wände geben mir wieder Stabilität.

Sollena

Klientin von „Housing First“

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KLZ / STEFAN PAJMAN „Housing First“: „Ich bin so froh, dass ich einen Ansprechpa­rtner habe“
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PAJMAN (2) Persönlich­e Note: Blick in die Wohnungen der beiden Grazerinne­n
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