Eine Wohnung als Grundstein für so vieles
„Housing First“wird nun steiermarkweit ausgerollt. Wie zwei Grazerinnen vor der Obdachlosigkeit bewahrt wurden.
Sie setzt sich, den kleinen Hund im Arm, auf das Sofa und erzählt von ihrer schlimmsten Zeit: „Ich wäre untergegangen.“24 Jahre war sie mit ihrem Mann zusammen, bis es nicht mehr ging: „Er war ein schwerer Alkoholiker, hat mich immer runtergemacht. Als er auf einen meiner Hunde losgegangen ist, hab ich gewusst, ich muss weg, bevor noch mehr passiert.“Die Grazerin flüchtete sich ins Frauenhaus, wo sie sich aber bald wie eingesperrt fühlte: „Nervlich war ich schon so fertig.“Die Rettung war ein Projekt von „Jugend am Werk“. „Housing First“heißt der international erprobte Ansatz: Wohnungsoder Obdachlosen wird eine Wohnung vermittelt. Die Organisation hilft beim Umzug, bei Förderanträgen und betreut die Betroffenen nach ihrem Einzug weiter. Für die Miete kommen diese wiederum selbst auf.
28 Quadratmeter hat die 56-Jährige seit Oktober nun für sich, zwei Hunde und eine Katze. Im Vorzimmer hängt ein Selbstporträt ihrer Tochter, zwischen zwei Topfpflanzen hat sie vier große Holzbuchstaben platziert: „HOME“. Die Wohnung findet sie zwar etwas eng, aber es ist das erste Ankommen in einem neuen Leben. Von ihrer Betreuerin ist sie begeistert: „Ich bin so froh, dass ich einen Ansprechpartner habe. Hier ist es oft sehr einsam.“Um die 450 Euro zahlt sie jetzt an Miete, teils aus der Wohnbeihilfe. „Ich möchte gerne wieder arbeiten, aber ich schaffe das psychisch nicht.“
Die psychischen Belastungen und Erkrankungen nehmen zu, sagt Helene Grasser von „Jugend am Werk“: „Zugleich wird es immer schwerer, billigen Wohnraum zu finden.“Hoffnung macht, dass das Projekt, das derzeit noch bis September befristet ist, heuer steiermarkweit
ausgerollt wurde. 100 Wohnungen werden zur Verfügung gestellt, auch genossenschaftliche Wohnbauträger sind an Bord. Drei Jahre werden die Klienten im Schnitt von Sozialarbeitern betreut. Danach dürfen sie in den Wohnungen bleiben. Kaum jemand würde abspringen.
Ein paar Straßen weiter lebt Sollena. Sie hat vieles hinter sich. Ihr Ex habe mit ihrer Mutter geschlafen, erzählt sie, ihre Familie wolle nicht mehr mit ihr reden: „Ich bin froh, dass ich hier bin. Das gibt mir wieder Stabilität.“In ihrem „Kuschel- und Chillzimmer“hängen Poster mit Außerirdischen und Superhelden. „Sie hat die Wohnung zu ihrer gemacht“, schmunzelt Andreas Kleinegger, Leiter der Notschlafstelle Vinzitel. Auch die Vinziwerke verfolgen seit einigen Jahren den Ansatz von „Housing First“. „Unsere Wartelisten sind voll. Die Nachfrage ist steil nach oben gegangen.“Sollena zahlt 385 Euro Miete, 50 Euro für Strom und 69 Euro fürs Heizen. Dazu kommt auch noch die Kaution, die sie abbezahlt. „Am Ende bleibt nicht viel übrig“, sagt sie.
Die wahre Arbeit beginne oft erst nach dem Einzug, sagt Kleinegger: „Wir helfen etwa dann, wenn die Leute in Rückstand geraten. Der Vermieter weiß, dass jemand sich auf professioneller Ebene kümmert. Das entspannt viele Situationen.“80 Menschen haben seit dem Start 2017 mitgemacht, nur eine Person hätte delogiert werden müssen.
Der Vinzitel-Leiter ist froh, dass „Housing First“nun größer aufgespannt wird: „Die eigene Wohnung ist der Grundstein für so vieles. Allein einen Schlüssel zu haben, mit dem man hinter sich zusperren kann, bedeutet den Betroffenen sehr viel.“Sollena lacht. „Das hier ist meine Basis“, sagt sie, ehe sie die Tür hinter den Besuchern schließt.
Ohne Hilfe wäre ich untergegangen. Nervlich war ich schon so fertig.
Die 56-Jährige Grazerin
Ich brauch meinen Platz, die Wohnung hier ist meine Basis. Ich bin froh, dass ich hier bin. Die eigenen vier Wände geben mir wieder Stabilität.
Sollena
Klientin von „Housing First“