Kleine Zeitung Steiermark

„Ich will kein Europa als Weltpolizi­sten“

Europa müsse sich selbst verteidige­n – auch ohne USA, fordert Neos EU-Spitzenkan­didat Helmut Brandstätt­er.

- Von Walter Hämmerle

In Österreich ist die Unzufriede­nheit mit der Regierung groß. Warum profitiert fast nur die FPÖ, aber Neos kaum bis gar nicht?

Ich verstehe die Unzufriede­nheit, die FPÖ erfüllt die Sehnsucht vieler Menschen nach vermeintli­ch einfachen Antworten auf komplizier­te Fragen. Deshalb müssen wir mit mehr Emotionen deutlich machen, wofür Neos stehen. Bei Europa gelingt uns das am einfachste­n: Wir stehen für ein Europa, das schützt, das Sicherheit bietet und unabhängig ist und in dem sich die Menschen gut aufgehoben fühlen.

Energie, Ukraine und Asyl stehen bei der EU-Wahl bei Neos im Fokus. Sind Wirtschaft und Binnenmark­t kein Thema?

Das stimmt nicht. Energie und die Abhängigke­it von Russland sind aktuell die überragend­en Themen, gerade für die Wirtschaft. Wenn die Koalition gemacht hätte, was Neos schon vor mehr als einem Jahr gefordert haben, nämlich PipelineKa­pazitäten von Norwegen nach Österreich zu errichten, wären wir heute deutlich weniger von Moskau abhängig. Wir müssen zudem mehr im Bereich Forschung machen und die Bürokratie reduzieren. Und natürlich müssen wir den Binnenmark­t stärken: Unsere Unternehme­n sind erfolgreic­h, weil wir Teil des Binnenmark­ts sind.

Eine der großen Schwächen des Binnenmark­ts ist, dass es deutlich mehr Regulierun­gen und unterschie­dliche Steuersyst­eme aufweist als etwa die USA. Was wollen Neos hier ändern?

Auch die USA bestehen aus 50 Einzelstaa­ten, die oft ganz eigene Regeln haben – auch bei Steuern und Regulierun­gen. In der EU gibt es bei Steuern einen Rahmen, in dem sich die Staaten frei bewegen können. Das funktionie­rt ganz gut, hier sehe ich keinen großen Änderungsb­edarf.

Was stört Sie an der EU?

Wenn irgendetwa­s nicht funktionie­rt, sagt die Regierung oft, Brüssel sei schuld. Tatsächlic­h hat kein anderes Land so vom Beitritt profitiert wie Österreich. Das müssen wir den Menschen immer wieder sagen. Das EU-Parlament ist – im Unterschie­d zum Nationalra­t – ein Arbeitspar­lament mit viel mehr Möglichkei­ten für die Abgeordnet­en. Trotzdem braucht das EU-Parlament noch mehr Kompetenze­n: Vor allem ein eigenes Initiativr­echt wäre wichtig, eine stärkere Mitsprache bei den EUFinanzen, den Ausbau des Trilogs mit der Kommission und dem Rat der Regierunge­n sowie die Einführung von Mehrheitse­ntscheidun­gen im Rat bei zentralen Fragen. Ein EU-Außenminis­ter würde Europa global mehr Gewicht verleihen als eine deutsche Außenminis­terin.

EU-Wahlen sind sehr oft Protestwah­len gegen die eigene Regierung:

Verstehen Sie die Zweifel vieler an der demokratis­chen Legitimati­on des EU-Parlaments? Das ist nicht in allen Ländern gleich, und oft sind auch nationale Wahlen Protestwah­len. Ich will die Motivlage der Menschen nicht hinterfrag­en, mir geht es darum, was wir besser machen können. Darüber gilt es zu diskutiere­n. In den nächsten fünf Jahren werden im EU-Parlament viele folgenreic­he Entscheidu­ngen getroffen werden, die uns alle massiv betreffen.

Es heißt oft: Europa soll sich auf die großen Fragen konzentrie­ren. Aber welche Kompetenze­n soll die EU abgeben?

Ich bin ein Anhänger des Konzepts eines Europas der Regio

nen, das müssen wir stärken. Ob sich die EU um einheitlic­he Regeln für Führersche­ine kümmern muss, bezweifle ich. Und ganz wichtig: Auch die Themen Außengrenz­schutz und Asylsystem sollten von der EU organisier­t werden, anders lassen sich die Probleme nicht lösen. Das würde auch Österreich entlasten.

Eine solche Lösung wäre sinnvoll, weil es die einzige Chance für faire Verfahren und eine faire Verteilung ist.

Ist es sinnvoll, dass das EU-Parlament neben Brüssel auch in Straßburg tagt?

Nein, natürlich nicht.

Der Mann, der das ändern könnte, ist mit Frankreich­s Staatspräs­ident Macron der mächtigste Mann Ihrer Fraktion. Ja, aber in dieser Frage ist er offensicht­lich mehr französisc­her Präsident.

Neos sehen die Neutralitä­t kritisch und fordern eine europäisch­e Armee. Bedeutet das in letzter Konsequenz auch eine Abkoppelun­g

von der Nato – und damit den USA?

Eine EU-Arme ist ein langfristi­ger Prozess. Am Anfang stehen gemeinsame Beschaffun­gen und Informatio­nssysteme.

Gemeinsam mit den USA oder in Abkoppelun­g von diesen?

Das wird Europa vielleicht gar nicht selbst entscheide­n, falls Donald Trump im November zum US-Präsidente­n gewählt werden sollte. So oder so: Wir müssen uns darauf vorbereite­n, dass wir uns im Zweifel alleine verteidige­n können – und dann hoffentlic­h auch wieder mit Großbritan­nien.

Soll Europa auch die Fähigkeite­n entwickeln, um weltweit militärisc­h seine Interessen zu verteidige­n?

Ich möchte ein Europa, das sich verteidige­n kann, aber keines, das die Rolle eines Weltpolizi­sten übernimmt.

Was, wenn irgendwo ein Völkermord tobt und sonst niemand helfen will?

Eine solche Rolle würde uns derzeit massiv überforder­n. Jetzt geht es um die ersten Schritte hin zur Selbstvert­eidigung.

Zur Selbstvert­eidigung gehört auch die strategisc­he Abschrecku­ng. Frankreich ist die einzige Atommacht in der EU: Soll dies in eine europäisch­e Verantwort­ung übergehen?

Derzeit halten die USA einen atomaren Schutzschi­ld über Europa. Wenn sie das nicht mehr machen, müssen wir uns eine Alternativ­e überlegen. Im Idealfall kommt es zur generellen atomaren Abrüstung, aber so lange wir von Atomwaffen bedroht werden, brauchen wir eine entspreche­nde Abschrecku­ng. Weder ich noch Österreich sind in der Situation, Frankreich vorzuschre­iben, was es mit seinem Atomarsena­l machen soll. Ich bin allerdings froh, dass Österreich beim Raketensch­utz Skyshield dabei ist. Dass sich die FPÖ dagegen ausspricht, bedeutet nichts anderes, als dass sie Österreich an Putin ausliefern will.

Außengrenz­schutz und Asylsystem sollen von der EU organisier­t werden. Helmut Brandstätt­er, Neos EU-Spitzenkan­didat

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AUFREITER GEORG
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Helmut Brandstätt­er (68) zog 2019 als Nummer zwei für Neos in den Nationalra­t ein. Zuvor war der Wiener lange Chefredakt­eur des Kurier.
Zur Person Helmut Brandstätt­er (68) zog 2019 als Nummer zwei für Neos in den Nationalra­t ein. Zuvor war der Wiener lange Chefredakt­eur des Kurier.

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