„Einfach anfangen und machen“
Trotz Konjunkturflaute und hoher Inflation: Im Vorjahr haben sich 4912 Steirerinnen und Steirer selbständig gemacht. Das ist der zweithöchste Wert aller Zeiten.
Ein Mehr an Gestaltungsfreiheit – und die Überzeugung, dass sich ihr Wunsch, einen positiven Beitrag leisten zu können, auf diesem Weg am besten realisieren lasse. Es waren mehrere Gründe, die Verena Linhart dazu motivierten, jüngst den Weg in die Selbstständigkeit zu gehen. Die Landschaftsarchitektin, Absolventin der Boku in Wien, gründete mit „VLLA“(Verena Linhart Landschaftsarchitektur) ein eigenes Ingenieurbüro. Erste diesbezügliche „Ideen und Träume gab es bereits während des Studiums“. Letztlich habe sie sich aber jahrelang damit auseinandergesetzt, bevor sie den Schritt setzte. Ihr Spektrum reicht von naturbasierten Lösungen zur Klimawandelanpassung über Bepflanzungskonzepte am Gebäude und im Gebäudeumfeld, Stadtentwicklungsprojekte, Regenwassernutzung, Bewässerungskonzepte bis hin zu Renaturierung. Ihr Ziel: „Stetiges, aber auch behutsames und nachhaltiges Wachstum.“Gut vorstellen könne sie sich auch eine Firma mit mehreren Personen und eventuell Partnern, um Projekte interdisziplinär umsetzen zu können, so Linhart, die bis vor Kurzem noch angestellt war.
Verena Linhart ist eine von 4912 Selbstständigen, die im Vorjahr in der Steiermark ein Unternehmen gegründet haben – der zweithöchste Wert aller Zeiten. Nur im bisherigen Rekordjahr 2021 gab es um 33 Neugründungen mehr. „2023 war angesichts der internationalen Entwicklungen ein wirtschaftlich höchst herausforderndes Jahr. Trotzdem haben sich im Schnitt 13 Steirerinnen und Steirer pro Tag selbständig gemacht und damit Leistungswillen und Eigenverantwortung unter Beweis gestellt“, betont der steirische Wirtschaftskammer-Präsident Josef Herk. Rechnet man noch die selbständigen Personenbetreuer dazu, waren es sogar 5958 Neugründungen.
Herk sieht darin auch ein „positives Zeichen für den Gesamtstandort“, schließlich seien es die Unternehmerinnen und Unternehmer, die „Arbeitsplätze und damit Wohlstand im Land schaffen“.
Eine Schlüsselrolle sieht man dabei auch im Gründerservice, das 2023 in Summe 36.681 Kundenkontakte verzeichnete, darunter waren 11.938 Beratungen. „Wir bieten umfangreiche Workshops, Gründertrainings und Sprechtage an, die von den angehenden Gründerinnen und Gründern auch hervorragend genutzt werden“, betont Markus Reiter, Leiter des Gründerservice in der WKO Steiermark. „Wir erleben im Gründerservice seit geraumer Zeit einen Trend zur nebenberuflichen Tätigkeit, dieser hat sich auch im vergangenen Jahr fortgesetzt“, so Reiter.
Dahinter stecke vor allem der Wunsch nach mehr Flexibilität und Eigenverantwortung, was sich auch in der aktuellen Motivumfrage der WKO widerspiegelt: Demnach war der Wunsch, ein zweites berufliches Standbein zu schaffen, für 17,1 Prozent der Gründerinnen und Gründer das Hauptmotiv, gefolgt vom Ziel, das Einkommen zu steigern
(13,3 Prozent) sowie dem Streben nach flexiblerer Zeit- und Lebensgestaltung (11,4 Prozent).
Das Durchschnittsalter bei den steirischen Einzelunternehmen (ohne selbständige Personenbetreuer) liegt aktuell bei 35,7 Jahren, der Bundesschnitt liegt bei 36,2 Jahren. Gegliedert nach Rechtsformen machen die Einzelunternehmen mit einem bundesweiten Anteil von 82,1 Prozent das Gros der Gründungen aus, gefolgt von der GmbH (13,8 Prozent). In der Steiermark weist die Gründerstatistik auch für 2023 einen hohen Frauenanteil von 45,8 Prozent.
Eine der Frauen ist Lisa-Maria Jäger. Im Dezember sperrte sie die Ohlala Auftragskonditorei in Graz auf, die Zeit als Selbstständige beschreibt die einstige Mitarbeiterin der „Mehlspeisenfräulein“als „sehr intensiv und sehr spannend“. Den Wunsch, selbstständig zu sein, hegte Jäger bereits seit Längerem – Konditormeisterin wurde sie auf dem zweiten Bildungsweg. Was sie Gründungsinteressierten mitgibt? „Einfach anfangen und machen. Es gibt kein Handbuch für die ideale Gründung.“Der große Pluspunkt sei? „Ich kann mich kreativ ausleben und die Torten so gestalten, wie ich will“, erzählt Jäger, die heute schon bekannte Grazer Gastrostätten wie Fotter, Hummel oder Ducks beliefert.
In anderer geografischer Lage wollen Johanna und Viktor Zettl kulinarische Ausrufezeichen setzen. Unter der Marke „Steirakastl“stellen sie Verkaufsautomaten auf, die mit regionalen Waren befüllt sind. Parallel dazu wird es eine digitale Werbeplattform für „regionale Hersteller von Snacks und Getränken geben“, beschreibt Johanna Zettl die Idee. Der erste Automat steht in Tillmitsch, weitere sollen bald folgen. Selbstständigkeit würde „Mut erfordern“, schildert Zettl. Dass sie wirtschaftlich funktionieren kann, zeigen die Ehepartner seit Jahren mit Piktocut. Dem zweiten wirtschaftlichen Standbein.