„Brauchen Kurswechsel bei Green Deal“
Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig kritisiert Belastung, die mit den Klimazielen der EU auf die Bauern zukommt.
Von Deutschland über Polen bis nach Malta sorgen Bauernproteste für Schlagzeilen. Was treibt die Landwirte um?
NORBERT TOTSCHNIG: Ich habe vollstes Verständnis für die Bäuerinnen und Bauern, die derzeit in Deutschland oder Frankreich auf die Straße gehen. Die gemeinsamen Herausforderungen beginnen auf EU-Ebene mit der Bürokratie. Die Vorschriften werden immer mehr. Der Green Deal kostet uns Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Drittländern. Daher braucht es einen Kurswechsel, entscheidend ist eine stärkere ökosoziale Ausrichtung. In Österreich haben wir schon während der Krisenjahre und im Zuge der Inflation die Anliegen der Bauern gehört. Wir müssen sie mit Anreizen beim Agrarumweltprogramm mitnehmen, damit etwa die Emissionsreduktion vorangetrieben wird.
Wie steht es um den Dialog bei den Vollspaltenböden? Hier machen Tierschützer weiter Druck.
Ich möchte den Verhandlungen nicht vorausgreifen und keine Positionen ausrichten. Es braucht eine tragbare Lösung samt Übergangsfrist und eine Perspektive für die Bauern. Bei Investitionen in tierfreundliche Haltungsformen bei Um- und Neubauten unterstützen wir bereits jetzt die Betriebe. Wir wollen das Tierwohl steigern und gleichzeitig erreichen, dass die regionalen Lebensmittel auch gekauft werden. Sonst gibt es einfach Importware in den Regalen, die zu geringeren Standards hergestellt wird. Ziel ist, eine Lösung noch in dieser Legislaturperiode mit dem Koalitionspartner zu finden.
Was soll sich vor der Wahl noch ausgehen?
Bis zum Wahltermin Ende September wird konstruktiv gearbeitet. Neben einer Lösung für die Schweinebauern geht es etwa um die Bodenschutzstrategie gemeinsam mit Bund, Ländern und Gemeinden. Ein Meilenstein wäre das bundesweit einheitliche Berufsausbildungsgesetz für land- und forstwirtschaftliche Facharbeiter und Meister sowie das Erneuerbaren-Gas-Gesetz für mehr Energieunabhängigkeit.
Wie agrarverträglich ist der Vorstoß der EU-Kommission, die Treibhausgase bis 2040 um 90 Prozent zu verringern?
Wir unterstützen diese Klimaschutzziele natürlich. Die Landund Forstwirtschaft sind als Erste betroffen. Niemand spürt es so sehr wie die Bauern am Feld, am Acker, im Wald. Von den 136 Rechtsakten zum Green Deal, die umzusetzen sind, betreffen 32 die Landwirtschaft. Wir haben mit der Reform der Agrarpolitik bereits Maßnahmen für Klima, Umwelt, Artenvielfalt und Tierwohl beschlossen und gehen schon in die Umsetzung. Das Problem ist, dass jetzt zusätzliche Auflagen für die Bauern kommen, wie die Entwaldungsverordnung, also der Nachweis, dass Holz und Fleisch nicht auf gerodeten Flächen produziert wurden. Das sollte nicht von Österreich, sondern gegenüber südamerikanischen Ländern eingefordert werden. Dieser bürokratische Mehraufwand regt die Bauern auf. Wichtig ist, die Versorgungssicherheit zu halten. Uns darf bei den Lebensmitteln nicht das passieren, was uns bei der Energie passiert ist. Wenn wir die Lebensmittelversorgung in der EU reduzieren, führt das zu mehr Importabhängigkeiten.
Wald und Vieh stehen mit Borkenkäfern und Wölfen zwei Bedrohungen gegenüber. Sind diese in den Griff zu bekommen?
Die massive Ausbreitung des Borkenkäfers führt im Süden zu RekordSchadholzmengen. Bei der raschen Aufarbeitung und Wiederaufforstung
hilft der Waldfonds, dessen Mittel heuer um 9,8 Millionen Euro in der Steiermark und 9 Millionen Euro in Kärnten aufgestockt wurden. Beim Wolf sehen wir allein in Kärnten an den 226 Vergrämungen im Vorjahr, 21 bereits heuer, dass das Problem zunimmt. Der Vorschlag der EUKommission, den Status von „streng geschützt“auf „geschützt“herabzustufen, ist da ein bedeutender Schritt. Um das in der Berner Konvention und dann der Fauna-Flora-HabitatRichtlinie zu ändern, liegen noch einige Schritte bis zum Ziel vor uns.
Zum EU-weiten Thema wird auch Laborfleisch. Werden sich bei uns Kunden dafür finden?
Laut ersten Umfragen der AMAMarketing gibt es eine Gruppe, die das zumindest interessiert. Zulassungen gibt es bereits in Singapur, Kalifornien oder Israel. Es ist damit zu rechnen, dass in der EU demnächst ein Antrag gestellt wird. Zuvor ist eine Folgenabschätzung über die Auswirkungen und eine breite Diskussion notwendig. Es geht um die Frage, ob wir uns künftig mit natürlichen Lebensmitteln aus der Region oder mit Zellhaufen aus dem Labor ernähren wollen. Am Ende sollen die Konsumenten wissen, was sie beim Griff zu Laborfleisch kaufen.