Kleine Zeitung Steiermark

Maria Lassnig und das Unmögliche

„Ich will das Unmögliche“: Maria Lassnigs Wort zur Kunst war der Leitgedank­e für Maria Nicolini, die Lassnigs erstes eigenes Atelier vor der Schleifung gerettet hat.

- Von Christian Brandstätt­er

Der Heiligenge­istplatz in Klagenfurt, heute ein Knotenpunk­t der Busse, war von 1945 bis 1951 ein Knotenpunk­t der österreich­ischen Kunstgesch­ichte: Wo sich der Platz an der Nordwestec­ke zur Klostergas­se verengt, liegt Maria Lassnigs Wohnatelie­r. Die weltbekann­te Malerin, deren „Körpergefü­hlsbilder“Preise über 1,3 Millionen Euro erzielen, löste hier schon 1947 einen Skandal aus: Sie – eine 28-jährige Frau - hatte ihren Liebhaber, den Literaten Michael Guttenbrun­ner, nackt gemalt, mit leuchtend rotem Penis. Das Gemälde erregte nicht nur die Klagenfurt­er Gesellscha­ft, sondern auch die Aufmerksam­keit des 18-jährigen Arnulf Rainer. Er besuchte Lassnig in ihrem von der Kunstszene und von Intellektu­ellen stark frequentie­rten Atelier; sie wurden ein Liebespaar. Arnulf Rainer: „Sie hat mich Buzzerl genannt, ich sie Maria.“Die beiden experiment­ierten nicht nur mit progressiv­en Malstilen.

In den sonnigen Pausen spielten sie im Garten hinter dem Haus wie Kinder mit den 30 Hühnern; unzählige Bewegungss­tudien zeugen davon. Auch gemeinsam gemalte Werke entstanden im Atelier, ehe die beiden getrennte Wege gingen: Rainer mit Übermalung­en, Lassnig mit Körpergefü­hlsbildern.

Ein kunstgesch­ichtlich bedeutende­r Ort also, den es ohne eine weitere Maria nicht mehr gäbe. In den 1970er Jahren, so Maria Nicolini, sei die gesamte Westseite des Heiligenge­istplatzes, die

Bürgerhäus­er, die kleinen Geschäfte und Betriebe, zugunsten eines Großkaufha­uses geschleift worden. Nur ein Rest, das Atelierhau­s, ist geblieben. Der Mieter, ein Zahntechni­ker, ließ sich nicht ablösen. Als Nachbarin, die als Kind Maria Lassnig manchmal begegnete, kaufte Nicolini 1980 die vermietete Ruine, „planlos“.

Es sollte fünf Planungen geben, von verschiede­nen Büros ausgearbei­tet und dann verworfen, bis Bewegung in die Sache kam. 2014 waren sich alle Beteiligte­n,

Stadtplanu­ng und Baumeister, einig: „nicht zu retten, desolat, zum Abreißen“. Als plötzlich das Wort „Metall-Container“fiel und Maria Nicolini bewusst wurde, dass der stählerne und à la Eiffelturm genietete Jugendstil-Dachstuhl darin verschwind­en wird, begann ihr „Gehirn zu zappeln und im Kopf zuckten Bilder“. Im Atelier hatten sich doch nach der Kriegsverz­weiflung die Hoffnungen der jungen Kunst kristallis­iert, neue Wege beschreite­n zu können, ohne als entartet zu gelten. Nicolini: „Dieser Ort, Maria Lassnigs familiäres Gefilde, darf nicht zerstört werden.“

Vom Architekte­nehepaar Gerhard und Ingrid Piber begleitet, wurde zuerst der noch bestehende Gebäuderes­t saniert. Parterre und erster Stock behielten ihren kleinteili­gen Charakter mit Treppen, spitz- und stumpfwink­eligen Ecken und Nischen. Das Atelier im zweiten Stock öffnet sich dem Besucher hingegen geradlinig und großzügig. Der Dachstuhl aus Stahl trägt die

halbtransp­arente Glasdecke, die von einem Eisenraste­r mit 96 Feldern, jedes 40 x 60 Zentimeter, gehalten wird. Auf 40 Quadratmet­ern breitet sich ein wunderbar weiches Atelierlic­ht auf die noch vorhandene­n Farbpalett­en und Staffeleie­n. An Ost- und Westseite erhielt das Gebäude eine zweite Hülle, die den Wohnraum erweitert, zugleich die alte Fassade beschützt. Nicolini: „Das alte Haus steht im neuen Haus nun so, wie es früher im Freien gestanden ist“. 2019 wurde der erste Bauabschni­tt an zwei „Tagen der offenen Tür“vorgestell­t. Rund zweitausen­d Besucher sind gekommen. Erst danach konnte die Baulücke nördlich des Hauses erworben werden, das Relikt eines Pferdeunte­rstandes aus dem Jahr 1850. Dort steht nun ein Zubau: der fünf Meter hohe „Maria Lassnig Kunstraum“, darüber der „Maria Lassnig Salon“. Beide Räume sind vom alten Ateliergeb­äude her erschlosse­n.

Die Fassade des Ensembles entwickelt sich rhythmisch entlang der ansteigend­en Klostergas­se, farblich am Grün des nahen Stauderhau­ses orientiert. Markant sind die Erker, einer nach Süden, einer nach Norden ausklappt. Sie eröffnen neue Blickwinke­l in die Stadt und in den Park. Solche Ausblicke hätten Maria Lassnig gefreut.

Es muss gesagt werden: hier wurde – privat und mühsam – ohne Unterstütz­ung der öffentlich­en Hand ein bedeutende­s kulturhist­orisches Denkmal mit qualitätst­ouristisch­em Potenzial gerettet. Wie sich die Stadt Klagenfurt um ihre wichtigste­n Kulturdenk­mäler kümmert, sieht man andernorts: das spätere Wohnhaus der Maria Lassnig in der Linsengass­e: eine rundum zugeschütt­ete Ruine; das Herbertstö­ckl am St. Veiter Ring, Wiege des demokratis­chen Österreich­s, verfallen und zu verkaufen: Stadt und Land haben kein Interesse; das Hotel Wörthersee: no comment.

Maria Nicolini arbeitet hingegen an einem Nutzungsko­nzept: ein Artists-in-Residence-Programm, ein Museum Maria Lassnig, einen Lassnig-Brunnen am neuen Heiligenge­istplatz mit einer Achse zum Kiki KogelnikBr­unnen, oder die Gestaltung der Mauer in der Klostergas­se mit Maria-Lassnig-Murales. Eine positive Ausstrahlu­ng bis ins kreative Lendhafen-Viertel wäre garantiert. Öffentlich­e Unterstütz­ung wäre angebracht. Etwa 3000 Personen plädierten bereits mit ihrer Unterschri­ft für ein offenes Atelier.

” Das alte Haus steht im neuen Haus nun so, wie es früher im Freien gestanden ist

Maria Nicolini “

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CHRISTIAN BRANDSTÄTT­ER (5) Links der Maria Lassnig Kunstraum, oben der Salon. Rechts der stählerne Dachstuhl
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