„Die Zufriedenheit des Mörders hat mich interessiert“
Der neue Roman „Zitronen“von Valerie Fritsch ist eine emotionale Dystopie und eine intensive Beschäftigung mit den unzähligen Spielarten von Gewalt.
Ihr neuer Roman „Zitronen“ist eine emotionale Dystopie ohne Hoffnung und Erlösung. Warum so düster?
VALERIE FRITSCH: Ich glaube nicht, dass es nur ein dunkler Roman ist. Das Leben ist nicht linear. Natürlich handelt es sich bei Gewalt um etwas Düsteres, aber dennoch ist sie allgegenwärtig. Trotzdem geht es in diesem Roman auch viel um Zärtlichkeit. Aber es stimmt schon, es ist sicher ein Buch der Unbarmherzigkeit. Die Rettungsversuche münden immer ins nächste Unglück.
Die Zärtlichkeit, die Sie ansprechen, ist deformiert und mündet ebenfalls in Gewalt. August Drach, die Hauptfigur, wächst mit einem prügelnden Vater auf und mit einer Mutter, die am Münchhausen-Stellvertretersyndrom leidet. Es geht ihr nur gut und sie kann ihren Sohn nur dann lieben, wenn es ihm schlecht geht – also macht sie ihn buchstäblich krank. Nur dann fühlt sie sich als „gute Mutter“. Was hat Sie an diesem Stoff gereizt?
Es ist mir klar geworden, wie fern ich mich von Gewalt fühle, wie fremd mir diese Welt hinter der Welt ist und wie unverständlich mir diese vielen Formen von Gewalt sind. Der Reiz an diesem Stoff entstand also aus einer Distanz heraus, ich wollte mich dem Phänomen Gewalt annähern und die innere Logik verstehen.
Verstehen Sie die Logik der Gewalt jetzt besser?
Ja, ich glaube schon, auch wenn ich nach wie vor kein Verständnis dafür habe. Ich habe für dieses Buch viele Gespräche mit Gewalttätern, auch Mördern, geführt. Da kommt es auch zu großer Nähe, wenn man mit Menschen auf Täter- und Opferseite über ihre schlimmsten Fehler, ihre schlimmste Tat, ihren größten Schmerz spricht. Ich habe festgestellt, dass für viele Menschen Gewalt eine äußerst konkrete, praktische Lösung eines konkreten, unpraktischen Problems darstellt, eine Ermächtigung sozusagen, eine letzte Handlungsfähigkeit. Diese Täter sehen sich selbst als Opfer, die durch eine gewalttätige Aktion eine berechtigte Reaktion auf etwas setzen. Wenn man diesen Menschen zuhört, ist das nicht leicht zu ertragen.
Sie haben sicher auch Täter getroffen, die ihre Tat bereuen.
Ja, aber der Ausgangspunkt meines Interesses waren eher Menschen, die ihre Taten nicht bereuen. Täter, die sagen, dass sie die richtige Entscheidung getroffen haben. Ich habe mich also eher für die Zufriedenheit eines Mörders interessiert.
Weil ich das noch weniger nachvollziehen konnte, Bereuen liegt eher in unserem Vorstellungshorizont. Aber zu sagen, ich bin für den Tod eines Menschen verantwortlich und was ich getan habe, war richtig – so etwas zu hören, das ist hart. Ich habe einen Mann getroffen, der seine Ex-Frau umgebracht hat, regelrecht hingerichtet. Und er hat mir gesagt, dass er sich mit so etwas wie Bedauern nicht herumschlagen möchte. Vielmehr sei er zufrieden, dass er dieses Problem gelöst hat.
Diese Pragmatik der Gewalt zieht sich auch durch den Roman, der mörderisch endet, mehr sei nicht verraten.
Genau. Ich habe festgestellt, dass es so etwas wie das Glück der schlechten Tat gibt; die Zufriedenheit mit dem objektiv Falschen, aber subjektiv Richtigen.
Sie sind also eingetaucht in das Reich der Gewalt. Hatte das Auswirkungen auf Sie selbst?
Ja, es war tatsächlich ein tiefer Tauchgang. Im Zuge der Recherchen habe ich auch viele Gespräche mit Freunden und Bekann
ten zum Thema Gewalt geführt. Und da musste ich feststellen, wie weit verbreitet Frauenfeindlichkeit und auch Frauenhass bei aufgeklärten, liberalen, linken, liebevollen, mir gut bekannten Menschen ist. Es herrscht offenbar eine große Akzeptanz dafür, dass man Frauen, die nervig sind, schon einmal die Treppe runterstößt. Das auch im eigenen Biotop zu hören, hat mich ausgesprochen zornig gemacht.
Gab es auch positive Begegnungen im Zuge der Recherchen?
Ich habe ein Gewaltopfer getroffen, das einen Mordversuch überlebt hat. Diese Frau, Renate, ist ein großzügiger, offener, herzlicher Mensch, der bereit war, dieses große Zerbrechen, das ihr passiert ist, mit mir zu teilen.
Hatten Sie eigentlich Mitleid mit Ihrer Figur des August Drach, die so hoffnungslos verloren ist?
Mein Mitgefühl besteht darin, besonders präzise die ganze Bandbreite von jemanden zu beschreiben. Das ist die größte Aufmerksamkeit, die man einem Menschen zukommen lassen kann, ihn in seiner Vollständigkeit zu erfassen. Egal, ob es um dunkle oder helle Seiten geht. Das ist eine Art von Respekt, die nichts verschwinden lässt – und ohne große moralische Wertungen auskommt. Aber ich möchte noch einmal betonen: Der Roman „Zitronen“ist nicht nur eine Apokalypse und Dystopie. August Drach ist zwar seit Kindesbeinen der Liebe seiner Mutter und den Schlägen seines Vaters ausgesetzt, immer wird über ihn verfügt, er lebt in einer vollkommenen Fremdbestimmung. Dennoch gibt es die Hoffnung auf das Bessere, den Wunsch zu leben. Und es gibt winzig kleine und auch große Schönheiten und ganz viel Sehnsucht in dieser Figur.
„Zitronen“. Wie kam der Roman eigentlich zu diesem Titel?
Zitronen sind für mich ein Symbol des Südens und eine Form von Lebensfreude, die es auch gibt inmitten der unzähligen Spielarten von Gewalt.
Wie steht es mit Ihrer eigenen Disposition zu Gewalt?
Es wäre hochmütig zu sagen, dass ich mich in jedem Fall gegen jede Form von Gewalt immun wähne, denn wenn man in einer existentiellen Ausnahmesituation ist, kann man nie wissen. Ich habe schon vor den Recherchen zu diesem Roman gewusst, dass es nichts gibt, das es nicht gibt. Jetzt bin ich mir noch sicherer, dass das so ist. Im Positiven wie im Negativen.