Kleine Zeitung Steiermark

„Eine Demaskieru­ng, eine Peinlichke­it sonderglei­chen“

Dass er einen Mann geküsst hat, brachte Michael Woditschka vor 24 Jahren vor Gericht. Nun kann er eine Entschädig­ung beantragen – wie 11.000 andere Österreich­er auch.

- Von Katrin Fischer und Anna Stockhamme­r

Wien, 1999: Michael Woditschka ist jung und gern unter Menschen. Der damals 19-Jährige arbeitet in einer Disco als Kellner. „Da war man halt irgendwie der Superheld“, erinnert sich der heute 45-Jährige zurück. Woditschka war das, was alle Menschen in diesem Alter sind: Neugierig auf das, was das Leben noch so bereithält. Doch es braucht nur eine Nacht und der bisher unbescholt­ene Mann findet sich auf der Anklageban­k wieder.

Aber der Reihe nach: Woditschka lernt beim Feiern einen 17-Jährigen kennen. Die beiden treffen sich ein paar Mal, führen eine sexuelle Beziehung. Schlussend­lich verläuft die Begegnung im Sand. So weit, so unspektaku­lär. Dann wird der 17Jährige von der Polizei aufgegriff­en. Dass er sich mit einem anderen Mann im Auto vergnügte, erregte die Aufmerksam­keit der Beamten. Unter Druck gesteht er seine Homosexual­ität – und auch die Treffen mit Woditschka. Per Post wird dieser zur Wache zitiert. „Und plötzlich sitze ich da und der Polizist gibt mir das Strafgeset­zbuch – aufgeschla­gen bei Paragraf 209.“Gleichgesc­hlechtlich­e Unzucht mit Minderjähr­igen, so der Vorwurf.

Woditschka wird verhört. Auf der Wache und vor Gericht muss er bis ins kleinste Detail erzählen, was er mit dem 17-Jährigen am liebsten gemacht hat. Vor ihm: der Richter. Hinter ihm: Österreich­s Medienland­schaft. „In dem Moment hätte ich mir nur gewünscht, dass der Boden aufgeht und mich verschling­t. Es war eine Brüskierun­g, eine Demaskieru­ng, eine Peinlichke­it sonderglei­chen.“Und das, obwohl im Urteil geschriebe­n steht, dass auf beiden Seiten Interesse da war.

Doch das spielte keine Rolle. Der Altersunte­rschied war per Gesetz der springende Punkt. Bis zu fünf Jahre Haft sind damals für Sex mit unter 18-Jährigen vorgesehen. Für heterosexu­elle Paare galt der Paragraf freilich nicht. „Mein Mandant hat nichts anders getan, als das, was andere Jugendlich­e auch tun. Aber sein Partner hatte das ‚falsche‘ Geschlecht“, wird später Anwalt Helmut Graupner vor Gericht appelliere­n. Erfolglos. Der Angeklagte wird zu einer Mindeststr­afe von 4500 Schilling verurteilt.

Das Schicksal von Michael Woditschka ist kein Einzelfall. 15.678 Personen wurden in der Zweiten Republik verfolgt – wegen einvernehm­licher homosexuel­ler Handlungen, wegen Prostituti­on, wegen Pornografi­e. 11.000 von ihnen dürften heute noch am Leben sein.

Zwar wurde Homosexual­ität im Jahr 1971 im Wesentlich­en entkrimina­lisiert. Doch es gab Sonderpara­grafen rund um Minderjähr­igkeit – und die Polizei scheute nicht davor zurück, sie durchzuset­zen. Erst seit 2002 müssen homosexuel­le Menschen das österreich­ische Gesetzbuch nicht mehr fürchten. Die letzten Bestimmung­en wurden vom Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) aufgehoben. Eine Entscheidu­ng, die in anderen Ländern längst gefallen war.

Ernsthafte Bemühungen, verfolgte Opfer zu rehabiliti­eren, wurden seitens ÖVP und FPÖ allerdings jahrelang blockiert. Bis jetzt. Seit Februar können Menschen, die strafrecht­lich verfolgt oder verurteilt wurden, eine Entschädig­ung beantragen. Das zur Verfügung gestellte Budget: 33 Millionen Euro. „Mit der Aufhebung der Urteile und der finanziell­en Entschädig­ung übernehmen wir als Staat Verantwort­ung für unsere Geschichte“, sagt Justizmini­sterin Alma Zadić (Grüne).

Ob dieses Angebot angenommen wird? Ein Blick ins deutsche Nachbarlan­d lässt Zweifel

aufkommen. Auf 5000 noch lebende Opfer, die wegen einvernehm­licher Handlungen verurteilt wurden, kommen lediglich 268 Männer, die eine Entschädig­ung beantragt haben. Die Stolperfal­len: nicht mehr vorhandene Dokumente, die Angst vor erneutem Kontakt zu den Behörden sowie erhöhter Unterstütz­ungsbedarf aufgrund von Hochaltrig­keit und Pflegebedü­rftigkeit. „Viele der Betroffene­n konnten und wollten aus Angst vor einer Retraumati­sierung und erneuten Diskrimini­erung keinen Antrag auf Entschädig­ung stellen“, fasst es die Bundesinte­ressenvert­retung schwuler Senioren zusammen. Der Wissenscha­ftler Hans-Peter Weingand von der Uni

Graz stimmt dem zu: „Dass sich die Leute das nicht mehr antun wollen, ist verständli­ch.“Womöglich hätten viele ihre Unterlagen sogar noch daheim. „Aber eigentlich will man sich gar nicht erinnern, wie lange man in U-Haft war.“Denn zu den Repressali­en kam auch noch die Ächtung der Öffentlich­keit dazu. „Es hat kaum Leute gegeben, die für dich eingetrete­n sind. Ein Vater, der sagt, ich werde immer zu meinem Buben stehen – das gab es nicht. Wahrschein­lich sind die Leute in der Schule auch noch verdrosche­n und am Arbeitspla­tz gehänselt worden.“Weingand hat viele Gerichtsak­ten gelesen und spricht von ramponiert­en Biografien: „Du bist gesellscha­ftlich de facto völlig weg. Du bist ein Verbrecher und ein potenziell­er Kinderverz­ahrer.“

Michael Woditschka wollte sich damit nicht abfinden. Er spricht von „Diskrimini­erung vom Staat“und prozessier­te durch alle Instanzen. 2003 wird Österreich schlussend­lich vom Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte geklagt. Heute hat Woditschka mit dem Kapitel abgeschlos­sen. „Mir ist nur wichtig, dass die Menschen da draußen begreifen, dass ein Unrecht passiert ist, das nie hätte passieren sollen.“Eine Entschädig­ung hat er schon beantragt. Dass es ihm viele gleichtun, glaubt er nicht. „Da hätte wohl mehr passieren müssen, als den Leuten ein paar Netsch zu geben.“Hans-Peter Weingand vermisst eine ernstgemei­nte Entschuldi­gung seitens des Gesetzgebe­rs, und nicht nur vom Ministeriu­m. Was es braucht? Weingands Stimme wird lauter. „Die Botschaft zu streuen: Es war NICHT okay.“

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 ?? KK ?? Michael Woditschka jobbte in Wien als Kellner in einer Disco, die Hitparade führte damals gerade Lou Bega mit „Mambo No. 5“an
KK Michael Woditschka jobbte in Wien als Kellner in einer Disco, die Hitparade führte damals gerade Lou Bega mit „Mambo No. 5“an
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KLZ / ANNA ZWEIDICK Historiker Hans-Peter Weingand
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KK Woditschka­s Fall war Thema in den Medien

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