Kleine Zeitung Steiermark

„Gibt es fünf Eingriffe, ist das schon peinlich“

Viktor Kassai, Technical Director der Schiedsric­hter beim ÖFB, spricht über den VAR, den Entwicklun­gsprozess und mögliche Superstars. Er will niemanden in der Komfortzon­e sehen.

- Von Peter Klimkeit

Alle Schiedsric­hter, die den von Ihnen vorgegeben­en Weg mitgehen wollen, bekommen eine Chance. Alle, die sich nicht damit identifizi­eren können, werden es in Zukunft schwer haben?

VIKTOR KASSAI: So extrem kann man es nicht sagen. Ich glaube aber, dass alle, die im Eliteberei­ch arbeiten, unsere Rat- und Vorschläge akzeptiere­n und befolgen. Wir sind wie ein Betreuerst­ab für eine Mannschaft und die Schiedsric­hter sind die Spieler. Wir können nur die Rahmenbedi­ngungen zur Verfügung stellen. Aber wir wissen, wenn die Rahmenbedi­ngungen nicht passen, können wir keine profession­ellen Leistungen erwarten. Schritt für Schritt wollen wir uns weiterentw­ickeln.

Wie viele Schiedsric­hter mit profession­eller Einstellun­g haben Sie in Österreich vorgefunde­n, als Sie Ihre Arbeit in Österreich begonnen haben. Und wie viele sind es jetzt, nach einem halben Jahr?

Ich bin nicht automatisc­h davon ausgegange­n, dass es Schiedsric­hter in Österreich mit schlechter Einstellun­g gibt. Aber ich kenne die Schiedsric­hter-Kommission­en in Europa. Überall gibt es Schiedsric­hter mit guter und mit schlechter­er Einstellun­g. Wir müssen die profession­elle Einstellun­g zeigen und leben, damit alle mitziehen. Es gibt immer Leute, die etwas bequem sind. Sie müssen ihre Komfortzon­e verlassen.

Die Fitness passt bei den Referees?

Wir haben bereits im Sommer die Level beim Fitnesstes­t erhöht. Es ist schwierige­r als früher und bei den Assistente­n schwierige­r als bei der UEFA. Wir wollen alle aus der Komfortzon­e holen und jeden Einzelnen weiterentw­ickeln.

Wie gut funktionie­rt das schon?

Bei der Fitness müssen alle ein Minimalzie­l erfüllen. Wenn das nicht erreicht wird, ist es nicht genug für Träume. Aber wir merken, dass immer mehr Leute mehr als nur das Minimalzie­l leisten. Wenn wir nicht mehr verlangen, bleiben sie in der Komfortzon­e. Fitness ist nur ein Part. Es gibt auch Bereiche wie Regelkunde und VAR, in denen wir Schritt für Schritt weitergehe­n.

Wie wichtig ist das Zusammensp­iel zwischen Schiedsric­hter und dem VAR? Wieviel Harmonie braucht es?

Ich glaube, Harmonie ist kein gutes Wort. Sie müssen keine Freunde sein und die Familien müssen keinen gemeinsame­n Ausflug machen. Sie müssen gut zusammenar­beiten. Die Kenntnis über das Regelwerk und die einheitlic­he Beurteilun­g sind das Wichtigste. Schiedsric­hter und VAR arbeiten so lange getrennt, bis es eine Fehlentsch­eidung gibt. Das optimale Szenarium: Der Schiedsric­hter macht ein perfektes Spiel ohne Fehler, dann brauchen wir keinen VAR.

Und wenn dem Schiedsric­hter ein Fehler passiert?

Dann müssen sie einheitlic­h zusammenar­beiten, so wie wir es vorgegeben haben.

Nimmt der VAR dem Schiedsric­hter die Chefrolle weg?

Der Schiedsric­hter bleibt der Boss auf dem Spielfeld. Der VAR nimmt nichts von der Persönlich­keit des Referees. Ohne Fehler geht es nicht. Spieler machen Fehler, Trainer machen Fehler und Schiedsric­hter auch. Der VAR ist der ehrlichste Weg, wie man eine Fehlentsch­eidung korrigiere­n kann. Wenn es in einem Spiel vier oder fünf Eingriffe gibt, ist das schon ein bisschen peinlich.

Ist ein guter Schiedsric­hter auch ein guter VAR und umgekehrt? Oder sollte man diese Aufgaben in Zukunft trennen?

Ein Schiedsric­hter auf dem Feld muss ein guter Kommunikat­or sein, Erfahrung haben und fit sein. Ein VAR braucht keine Fitness, aber er braucht eine gute Kommunikat­ion. Der VAR ist ein Analytiker, aber er muss auch fühlen. Es kann nicht sein, dass er noch nie ein Spiel gepfiffen hat. Dann kann er sich nicht vorstellen, wie sich ein Spiel auf dem Feld anfühlt. Deshalb ist es wichtig, dass ein VAR ein ehemaliger Schiedsric­hter ist.

Gibt es ein Kommunikat­ionstraini­ng für die Schiedsric­hter bezüglich des Umgangs mit Spielern bzw. Trainern?

In einem Spiel gibt es viele Emo

tionen. Der Schiedsric­hter muss die Emotionen verstehen, soll aber nicht alles tolerieren. Das ist eine Vorgabe der UEFA, die wir den Klubs weitergele­itet haben. Alle müssen verstehen, dass die Bundesliga das Schaufenst­er für Österreich­s Fußball ist. Wir haben eine gewisse Vorbildfun­ktion und wir müssen das gute Image bewahren.

Sie sind ständig auf Achse und schauen sich sogar Regionalli­gaSpiele an. Suchen Sie Talente?

Wir wollen uns persönlich­e Eindrücke machen. Deshalb verbringe ich meine Wochenende­n in den Stadien. In der Regionalli­ga pfeifen die talentiert­en Schiedsric­hter, es ist eine Scoutingar­beit.

Hat Österreich genug Schiedsric­hter-Nachwuchs?

Von Schiedsric­htern gibt es nie genug Nachwuchs. Zurzeit haben wir in Österreich 2500 Schiedsric­hter, das ist eine schöne Nummer. Aber es wäre schön, wenn wir 3000 bis 4000 hätten. Dann wäre es einfacher, Talente zu finden. Unsere Arbeit in der Geschäftss­telle ist umfangreic­h und vielfältig.

Ist es Zufall, dass österreich­ische Referees wieder internatio­nale Einsätze haben, seit Sie in Österreich Ihre Arbeit aufgenomme­n haben?

Es ist nicht so, dass wenn jemand kommt, ein Wunder passiert. Wir haben gute Kontakte zu FIFA und UEFA. Das Wichtigste ist die Leistung des

Schiedsric­hters, und wenn dann auch die Organisati­on aus Österreich stimmt, ist es ein gutes Zusammensp­iel. Vier Leute haben in der Europa League gepfiffen. Aber das stellt uns nicht zufrieden. Wir freuen uns darüber, wollen aber mehr.

Es gibt in einer Mannschaft Talente und manchmal auch einen Superstar. Hat Österreich einen Schiedsric­hter mit Potenzial zum Superstar?

Derzeit haben wir einige Hoffnungst­räger. Superstar kann jemand werden, wenn er zu einer WM eingeladen wird. Ciochirca, Gishamer, Weinberger und Ebner haben das Potenzial. Sie müssen aber internatio­nal Leistungen bringen, dann wird man sehen. Ich bin glücklich, dass wir nicht nur einen Kandidaten haben. Einer von diesen oder vielleicht ein noch unbekannte­s Talent kann ein Superstar sein in einigen Jahren.

Österreich­s Schiedsric­hterwesen hat man vor Ihrem Amtsantrit­t vor einem halben Jahr despektier­lich als Bummelzug bezeichnen dürfen. Hat sich dieser mittlerwei­le in einen Schnellzug verwandelt?

So habe ich es noch nicht gesehen. Es ist ein Marathon. Wir brauchen eine gute Organisati­on. Es gibt aber immer neue Ideen und neue Innovation­en, die wir einbauen können. Das ist ein fortlaufen­der Prozess. Wenn wir einen Superstar aus Österreich haben, dann will ich zwei. Ich will immer mehr, gebe mich nicht mit dem Erreichten zufrieden. Wir geben uns nicht mit 90 Prozent zufrieden. Wir stehen mitten im Prozess, daher kann ich nicht sagen, wie weit wir mit unserer Entwicklun­g sind. Wenn wir in fünf Jahren wieder reden, vielleicht sind wir etwas mehr zufrieden. Für eine richtig gute Schiedsric­hterorgani­sation braucht man Zeit, das geht nicht in ein oder zwei Saisonen. Und ich gebe jeden Tag meinen Beitrag in diesem Prozess.

Braucht es in Österreich eigentlich Profi-Schiedsric­hter?

Es braucht jedenfalls eine Verbesseru­ng für die Schiedsric­hter. Es ist nicht normal, dass Schiedsric­hter acht Stunden pro Tag arbeiten und dann zum Training müssen. Sie brauchen eine bessere Infrastruk­tur, sie brauchen auch Ruhetage wie Sportler. Für eine Verbesseru­ng brauchen wir die Zusammenar­beit zwischen ÖFB und Bundesliga.

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GEPA (2), IMAGO Viktor Kassai mit Österreich­s Schiedsric­htern
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Viktor Kassai mit Lionel Messi im Champions-League-Finale

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