Tuchel hat bei Bayern ein Ablaufdatum
Dem FC Bayern droht der zwölfte Meistertitel in Folge zu entgleiten. Warum Thomas Tuchel um seine Zukunft fürchten muss.
Es ist zu oft in den vergangenen Jahrzehnten passiert, als dass man den FC Bayern 13 Runden vor Ende der Deutschen Meisterschaft abschreiben sollte. Vor allem, wenn der Rückstand „nur“fünf Punkte beträgt. Allerdings schrillen aktuell wieder einmal die Alarmglocken an der Säbener Straße. Im Zentrum der Kritik steht klarerweise Trainer Thomas Tuchel. Der 50-Jährige hat es in seiner bald elfmonatigen Amtszeit noch nicht geschafft, Werbung in eigener Sache zu machen.
Dabei kam Tuchel mit reichlich Vorschusslorbeeren nach
München. Schon lange galt er als Wunschkandidat aller deutschen Trainer, von denen die Bayern bis auf Jürgen Klopp schon nahezu alle für sich gewinnen konnten. Für Tuchel spricht vor allem sein Champions-League-Triumph 2021 mit Chelsea, bei dem er im Finale Manchester City mit Trainer Pep Guardiola entzauberte. In München ist dieser Zauber verflogen. Unvergessliche Glanzpartien gibt es unter Tuchel nicht mehr zu sehen, was an sich nicht das große Problem wäre, würden die Ergebnisse passen. Das peinliche Cup-Aus bei Drittligist Saarbrücken (1:2) und die Pleiten in der Bundesliga in Frankfurt (1:5) und Leverkusen (0:3), bei denen die Bayern nicht den Hauch einer Chance hatten, sorgten aber dafür, dass die Bayern erstmals seit fünf Jahren nach 21 Spieltagen wieder auf Platz zwei stehen. Lustige Parallele: Auch 2018/19 gab es, wie aktuell auf Leverkusen, fünf Zähler Rückstand – damals auf Dortmund.
Sieht man vom historischen Unvermögen Leverkusens ab, den Titel endgültig einzufahren, spricht in dieser Saison nicht mehr viel für die Bayern. Klar haben die Bayern mit 50 Zählern heuer sieben Punkte mehr auf dem Konto als im Vorjahr unter Tuchels Vorgänger Julian Nagelsmann.
Da stand allerdings auch noch nicht 100-Millionen-Euro-Neuzugang Harry Kane im Kader, der bislang 24 Treffer beisteuerte. Im Vorjahr durfte sich Jamal Musiala, nachdem Robert Lewandowski im Sommer 2022 zu Barcelona gewechselt war, zu diesem Zeitpunkt mit zehn Toren als Bayerns Toptorjäger
bezeichnen. Trotz der zusätzlichen Neuzugänge in dieser Saison (u. a. Raphael Guerreiro, Konrad Laimer, Min-jae Kim, Sacha Boey, Eric Dier, Bryan Zaragoza) übt Tuchel regelmäßig öffentliche Kritik am eigenen Kader. Er spricht einstigen Leistungsträgern wie Matthijs de Ligt, Joshua Kimmich oder Leon Goretzka regelmäßig ihre Qualitäten ab – und das öffentlich. Der internen Stimmung förderlich ist das klarerweise nicht.
Statements, wonach die Mannschaft im Training viel besser performen würde und im Spiel nicht wiederzuerkennen sei, gibt es von Tuchel mittlerweile in Dauerschleife. Man hat den Eindruck,
dass der Mannschaft das Sieger-Gen, diese „Mia-sanmia“-Aura, abhandengekommen ist. In Leverkusen vollzog aber der Trainer einen Schritt, der für Kopfschütteln sorgte. Er versuchte, die 3-4-2-1-Formation des Tabellenführers zu spiegeln. An sich keine ungewöhnliche Herangehensweise eines Fußballklubs. Allerdings nicht für die Bayern, das Aushängeschild in Deutschland. Jener Verein, vor dem sich die anderen fürchten sollten. Vor allem, ohne das vorher in der Praxis ausprobiert zu haben.
Man mag sich gar nicht vorstellen, was Leverkusen-Trainer Xabi Alonso nach Anblick auf die Startaufstellung der Bayern dachte. Vielleicht hat der Spanier seiner Truppe solche oder so ähnliche Worte mitgegeben: „Jungs, die haben Angst vor uns.“Genau das strahlten die Bayern in den 90 Minuten auch aus. Der einstige Krösus ist blass geworden. Auch die fehlende Konkurrenz verhinderte in den vergangenen elf Jahren eine Zäsur. In dieser Saison könnte sich das ändern. Die Bayern hofften, mit Tuchel wieder ein Wort um den Champions-League-Triumph mitzureden. Aktuell sieht es sogar nach einer titellosen Saison aus. Ob Tuchel diese noch als Cheftrainer beenden wird, scheint mehr als fraglich. Seine Kritikresistenz hilft sicher nicht.