Kleine Zeitung Steiermark

„Mädchen, bleib lieber daheim!“

Die „Nachtigall von Gorenjska“widersteht den Verlockung­en der großen, weiten Welt. Ein heiteres, volkstümli­ches Werk aus Slowenien wird in Graz für den deutschspr­achigen Raum entdeckt.

- Von Martin Gasser

Es zeugt von einer gewissen Art von Arroganz des deutschspr­achigen Raums gegenüber seinen Nachbarn, dass ein Stück wie „Die Nachtigall von Gorenjska“nicht bloß unbekannt ist, sondern de facto nicht vorhanden: Nicht einmal umfangreic­he Nachschlag­werke, die Tausende Opern verzeichne­n, erwähnen die „Nachtigall“mit einer Zeile. Der Fehler, dass das offenbar als slowenisch­e Nationalop­er geltende Stück des in Böhmen geborenen Komponiste­n Anton Foerster (1837–1926) hierzuland­e noch nie aufgeführt worden ist, ist jetzt von der Grazer Oper korrigiert worden.

„Nationalop­ern“sind im Regelfall pathostrie­fende Dramen, in denen die Volkskultu­r und -musik gegen einen äußeren oder inneren Feind in Stellung gebracht werden. In „Halka“von Stanisław Moniuszko (1858) gegen die polnische Oberschich­t, in „Hunyadi László“von Ferenc Erkel (1844) gegen die habsburgis­che Herrschaft in Ungarn, in „Ein Leben für den Zaren“von Michail Glinka (1836) gegen den Versuch Polens, die Herrschaft in Russland zu erlangen. Und in Deutschlan­d bedurfte es natürlich eine Übersteige­rung ins Metaphysis­che, im „Freischütz“von Weber (1821) ringt man mit dem Teufel höchstpers­önlich.

In der „Nachtigall von Gorenjska“ist der Feind weder ein brutaler Despot noch der Leibhaftig­e, sondern ein französisc­her Gesangsleh­rer. Der blasierte Impresario mit dem hochorigin­ellen Namen Chansonett­e, dem Markus Butter wunderbar Gestalt und Stimme gibt, möchte die begabte Sängerin Minka mit nach Frankreich nehmen. Wegen ihrer finanziell­en Notlage willigt Minka ein, doch ein

paar Winkelzüge später kann sie der Heimat doch erhalten bleiben. Die Verlockung­en des kulturell Verfeinert­en unterliege­n gegen die Verwurzelu­ng in die Scholle, sie wird ihre Naturstimm­e behalten.

Regisseur Janusz Kica verlegt die Handlung, die sicher nicht zufällig an „Die verkaufte Braut“erinnert, in einen brutalisti­schen Betonblock, setzt Abstraktio­n gegen die Heimatroma­ntik. Er misstraut den Wendungen, zeigt, dass Minka vielleicht doch lieber Karriere machen

würde. Die Visitenkar­te Chansonett­es bewahrt sie zur Sicherheit auf. Sieglinde Feldhofer als Minka und Roman Pichler als ihr Verlobter Franjo sind das Paar, das seine nicht ganz unbeschwer­te Liebe im Schatten des Triglav mit lyrischen, frischen Stimmen auslebt. Weil Wilfried Zelinka den leicht vertrottel­ten Verwalter gibt und Martin Fournier dessen Handlager Rajdelj singt, wird diese Aufführung­sserie einer slowenisch­en Oper gleich von fünf Künstlern aus der Steiermark getragen (der Südtiroler Pichler ist Beutesteir­er)

– auch ein schönes Symbol.

Dass das mit der Nation sowieso nicht mehr so einfach ist (bzw. überhaupt nie war) zeigt Kica mit einem Trachtenpä­rchen, das das Happy End distanzier­t aufnimmt. Im Schlusscho­r werden Foersters Anleihen an der Volksmusik überdeutli­ch, bzw. imitiert er dort ländliche Musikprakt­iken. Der Grazer Opernchor macht dieses Finale zum Höhepunkt des leichtgäng­igen, melodienre­ichen Werks, das von Marko Hribernik mit Schwung dirigiert wird, und das ob seiner Machart sicher noch mehr klangliche Differenzi­erung und Zuspitzung vertrüge, um packender zu wirken. Trotz des dünnen Librettos ist die Oberkraine­r Nachtigall ein reizendes Stück Operngesch­ichte, vielleicht angestaubt, das aber Operettenf­reunde, Nostalgike­r, Raritätenj­äger, Entdecker und Melomanen gleicherma­ßen anspricht.

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OPER GRAZ/KMETITSCH Die Bauernmädc­hen drehen dem Impresario (Markus Butter) eine lange Nase

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