Kleine Zeitung Steiermark

„Viele Tränen, nicht so viele Worte“

Die Hamas-Geiseln Luis Har und Fernando Merman wurden nach 129 Tagen lebend in einem Versteck in Rafah in Gaza gefunden.

- Von unserer Korrespond­entin

Große Freude in Israel: Zwei Geiseln wurden von der israelisch­en Armee (IDF) im südlichen Gazastreif­en befreit und sind bei guter Gesundheit. Luis Har (70) und Fernando Merman (60) waren 129 Tage in der Gewalt der Terrororga­nisation Hamas. Ministerpr­äsident Benjamin Netanyahu dankte den „tapferen Kämpfern für ihre mutige Aktion“und sprach auch hier vom „totalen Sieg“. Es ist sein Mantra geworden.

„Nach einem IDF-Angriff aus der Luft drangen die Spezialein­heiten um 1.49 Uhr in ein Gebäude in Rafah ein und fanden Merman und Har, bewacht von bewaffnete­n Terroriste­n“, so Armeesprec­her Daniel Hagari. Es sei zu einem Feuergefec­ht gekommen, bei dem Soldaten ihre Körper benutzt hätten, um die Geiseln zu schützen. „Die Luftwaffe sorgte für eine Deckung des Bodeneinsa­tzes, die es den Truppen ermöglicht­e, das Gebäude zu verlassen.“

Es war wie eine Bestätigun­g für den Regierungs­chef der rechtesten und religiöses­ten Koalition in der Geschichte des Landes. Immer wieder betont er, dass nur „anhaltende­r militärisc­her Druck bis zum völligen Sieg“zur Freilassun­g aller Geiseln führen könne. Experten und Angehörige der Verschlepp­ten bezweifeln das: Während der dramatisch­e Einsatz Erfolg hatte und die Männer lebend gerettet wurden, waren andere Rettungsmi­ssionen fehlgeschl­agen.

Die Befreiten seien in einem stabilen gesundheit­lichen Zustand, erklärte der Direktor des ShebaKrank­enhauses, Professor Arnon Afek, nach ersten Untersuchu­ngen. Doch der bedeutends­te Moment sei das Wiedersehe­n mit ihren Liebsten gewesen. „Monatelang hatten sie sich nicht gesehen. Es sind ein 70jähriger und ein 60-jähriger Mann, keine jungen Leute. Diese Menschen haben nichts getan, es sind Zivilisten. Wir sind so glücklich, dass sie bei uns sind und hoffen, dass wir noch viele solcher Momente erleben.“

Merman und Har wurden am 7. Oktober von Hamas-Terroriste­n aus ihrem Kibbutz Nir Yitzhak gekidnappt. Clara Merman, die Schwester von Fernando, sowie Luis‘ Schwester Gabriela mit ihrer 17-jährigen Tochter Mia wurden ebenfalls verschlepp­t. Die drei Frauen wurden bereits Ende November im Rahmen eines Geiseldeal­s befreit.

Angehörige der Männer berichtete­n, dass sie mitten in der Nacht überrasche­nd einen Anruf bekommen hätten, dass die Geiseln in israelisch­er Hand seien. Der Schwiegers­ohn von Luis Har, Idan Bejerano, sei vor Freude auf- und ab gesprungen und sofort zum Krankenhau­s gefahren. „Beim Wiedersehe­n gab es viele Umarmungen und Tränen, nicht so viele Worte.“Beide Befreiten seien blass und müde. Bejarano dankte der Armee, doch erinnerte an die 134 verbleiben­den Geiseln und bat die beteiligte­n Seiten, eine Vereinbaru­ng auszuhande­ln. „Israels Volk braucht so einen Deal.“

Erst jüngst hatte Netanyahu den Vorschlag der Hamas für eine Einigung abgelehnt. Er habe die IDF angewiesen, einen Plan vorzulegen, der die Evakuierun­g der Zivilbevöl­kerung aus der Stadt Rafah in Südgaza und die

Zerstörung der Terrorinfr­astruktur vorsehe. Der Angriff sei nötig für das Kriegsziel, die „Hamas vollständi­g zu zerschlage­n“. Ägypten und Saudi-Arabien äußerten indes scharfe Kritik an Israels geplanter Bodenoffen­sive in Rafah: Dorthin flüchtete ein Großteil der palästinen­sischen Zivilbevöl­kerung aus dem Norden und dem Zentrum der Enklave – insgesamt über eine Million Menschen. Dies könnte die nächste Eskalation­sstufe auslösen: Kairo droht mit der Aufkündigu­ng des Friedensve­rtrags mit Israel, sollten die Angriffe auf Rafah weiter ausgeweite­t werden.

Währenddes­sen reden Vermittler zwischen Israel und der Hamas weiter, um doch noch einen Geiseldeal auszuhande­ln.

Für viele Angehörige wird es jedenfalls keinen Moment der Freude mehr geben: Die IDF bestätigte, dass 32 – und möglicherw­eise mehr als 50 – der Menschen, die entführt wurden, tot seien, und verwies dabei auf „interne Einschätzu­ngen“.

„Sie alle wurden aufgegeben und werden nun im Namen leerer Slogans wie ‚totaler Sieg‘ geopfert. Zugunsten jener, die die Fortsetzun­g des Krieges, auch wenn er sinnlos wird, vor allem für das politische Überleben einer Person und einer Regierung brauchen“, kommentier­te Yossi Verter in der linksliber­alen Tageszeitu­ng „Haaretz“. „So traurig das auch ist, im Moment gibt es keine andere Wahrheit. Ohne es zuzugeben, hat Netanyahu seine Prioritäte­n festgelegt.“

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(70) und Fernando Simon Marman (60)
IMAGO Zurück bei Ihren Lieben: Louis Har (70) und Fernando Simon Marman (60)
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Sabine Brandes aus Israel
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