Verdammte Pflicht zu impfen
Angesichts steigender Maserninfektionen wird wieder um eine Impfpflicht debattiert. Vergessen werden die Betroffenen: Kinder, die sich nicht selbst schützen können.
Vier Jahre nach Ausbruch der Coronapandemie und 702 Millionen bestätigten Infektionen sowie 6,9 Millionen Tote später ist Sars-CoV-2 aktuell gezähmt. Dank umfangreicher, den persönlichen Lebens- raum und damit die Freiheit einschränkenden Maßnahmen ei- nerseits und dank hochwirksamer, innovativer Impfstoffe andererseits. Doch plötzlich ist sie wieder da, die unerwünschte Nebenwirkung: die Allergie vor einer möglichen Impfpflicht.
In einer unsäglichen, weit außerhalb der Faktenlage stehen- den Debatte geht es diesmal um die Impfpflicht angesichts der epidemischen Zunahme von Maserninfektionen in weiten Teilen Europas. Obwohl die Fak- ten klar auf dem Tisch liegen: Masern zählen zu den anste- ckendsten Erkrankungen über- haupt. Bei einem Fünftel aller Infektionen treten Komplika- tionen auf, darunter in einzel- nen Fällen Entzündungen des Gehirns, die in bis zu 40 Prozent der Fälle das Nervensystem dau- erhaft schädigen und bei denen jeder fünfte Betroffene stirbt.
Eine Sonderform der Entzündung, bei der das Gehirn schritt
weise zerfällt, trifft besonders Kinder. Je jünger sie sind, desto größer ist die Infektionsgefahr. Erkranken Säuglinge innerhalb der ersten zwölf Lebensmonate, ist jede Therapie zwecklos. In diesen Fällen enden Masern im- mer tödlich.
Das alles wird vielerorts von sonst schlauen Mitmenschen und nie schlauen Verschwörungsschwurblern wie zuletzt bei Covid negiert oder wegdisku- tiert. Soziale Medien und rechts- rechte Populisten dienen wieder einmal als Brandbeschleuniger. Schul-, Wahl-, Helm-, Melde- pflicht oder Tempo 30: Ja, wir sind von sehr vielen Pflichten umzingelt, doch fast alles davon hat uns ein besseres Leben mit mehr Freiheiten ermöglicht. Auch jenen, die nun die Gift- spritze im Kampf gegen eine mögliche Masern-Pflichtimp- fung aufziehen.
Vielleicht unterfüttert die oft- mals überbordende Regulierungswut der Europäischen Union eine latente Abneigung gegen „von oben“verordnete Pflichten. In Brüssel wurden bekanntlich recht skurrile Gesetze und Richtlinien zu Krümmungsgraden von Gurken und Bananen oder Durchmessern von Äpfeln und der idealen Pizza Napoletana diskutiert, erlassen und wieder verworfen. Aber wegen dieser kabaretthaften Politik Menschenleben aufs Spiel setzen? Und dabei vergessen, dass schon in zahlreichen Fällen Impfungen Pandemien ausgerottet haben?
Der große Unterschied zu Corona: Bei der Maserninfektion geht es um keine freiheitsberaubenden Lockdowns, sondern nur um einen kleinen, kostenlosen, seit Jahrzehnten erprobten Stich ohne nennenswerte Nebenwirkungen. Der entscheidende Unterschied: Die Impfung schützt Säuglinge und Kinder, die wehrlos sind. Sie hilft jenen, die noch nicht selbst entscheiden können und deren Leben von der Entscheidung eines Erwachsenen abhängen kann.
Wir haben die verdammte Pflicht, die Kleinen zu schützen. Mit oder ohne Impfpflicht.