Kleine Zeitung Steiermark

„Ein Ausbau der A 9 ist kein Allheilmit­tel“

Braucht die A 9 eine dritte Spur? Wir baten Klimaökono­m Karl Steininger und Wirtschaft­svertreter Gerhard Haas zum Streitgesp­räch.

- Von Günter Pilch und Gerald Winter-Pölsler

Herr Steininger, auf der A 9 südlich von Graz ist Verkehrsüb­erlastung regelmäßig­e Realität. Betriebe und Gemeinden leiden darunter. Wäre es nicht Zeit für einen Ausbau?

Es ist ganz klar Zeit für Maßnahmen – nicht nur auf der Autobahn, auch auf den Begleitstr­aßen, auf die zunehmend ausgewiche­n wird. Es geht darum, als Gesellscha­ft darauf zu schauen, wo wir hinwollen, wie wir in Zukunft Mobilität organisier­t haben wollen. Was sind Maßnahmen, die uns dorthin bringen? Und ist der Bau eines dritten Fahrstreif­ens für das hilfreich oder kontraprod­uktiv?

Sie meinen, kontraprod­uktiv?

STEININGER: Mir ist wichtig klarzumach­en, dass es Alternativ­en gibt, wenn das Ziel ist, die Landgemein­den zu entlasten und die Stau-Situation auf der Autobahn zu entschärfe­n. Einen dritten Streifen zu bauen, ist nicht die einzige Möglichkei­t. Die Steiermark bemüht sich bisher um einen anderen Weg: Die Koralmbahn, das ausgebaute Busnetz und andere Maßnahmen bewirken, dass der Anteil des öffentlich­en Verkehrs im Süden von Graz von 20 auf 25 Prozent steigt. Wir haben im Gütertermi­nal Werndorf in den nächsten zwei Jahren eine Verdoppelu­ng

der Umschlagsk­apazität auf die Bahn. Wir müssen uns bewusst sein: Wenn wir einen dritten Fahrstreif­en an der A 9 machen, konterkari­eren wir jene Initiative­n in der Steiermark, die wir mit Millionena­ufwand in eine andere Richtung gesetzt haben

Herr Haas, kann man angesichts der wachsenden Bodenversi­egelung und der Klimaziele wirklich mehr Beton für die Autobahn fordern?

GERHARD HAAS: Ich darf zuerst einmal bestätigen: Die Verkehrsüb­erlastung ist da und viele Leute weichen der A 9 bereits aus. Ich selbst bin aus Lannach und fahre jeden Tag zur Arbeit nach Kalsdorf. Mehrheitli­ch wähle ich die Route über Dobl und Premstätte­n, um dem Verkehr auf der A 9 zu entgehen. Im Güternahve­rkehr sind wir mit unserem Unternehme­n die Leidtragen­den. Die einzige Möglichkei­t, die Waren an die Kunden zuzustelle­n und sie dort abzuholen, ist für uns die A 9. In den letzten Jahren haben wir festgestel­lt, dass wir bei den Fahrten nicht mehr die ursprüngli­che Auslastung zustande bringen.

Warum?

HAAS: Weil wir heute wegen der Staus vier Prozent mehr Lkw-Laderaum brauchen, um die gleiche Leistung wie früher zu erbringen. Das klingt nach wenig, bedeutet aber: Statt der sonst durchschni­ttlich 60 Lkw, mit denen wir täglich auf die A 9 fahren, müssen wir für dieselbe Leistung 62 Lkw einsetzen. Ein Lkw kostet in Summe rund 500 Euro täglich. Im Jahr fallen so 250.000 Euro an Mehrkosten an. Wenn es so weitergeht, wird der Wettbewerb­snachteil sehr groß. Wir haben uns 2014 dazu entschiede­n, in Kalsdorf neu zu bauen – in der Annahme, dass das eine ideale Lage ist. Jetzt wird die A 9 zunehmend ein Nadelöhr.

Wie kann man das lösen? Im Grazer Norden, Osten und Westen sind die Autobahnen dreispurig, nur im Süden bisher nicht.

STEININGER: Wir brauchen einen Gesamtblic­k. Einerseits muss man festhalten, dass die Verkehrsbe­lastung an den umliegende­n Landesstra­ßen laut der vom Land beauftragt­en Studie zum A 9-Ausbau auch mit einer dritten Spur hinaufgeht. Es gibt in der Studie aber auch ein anderes Maßnahmenp­aket, das unter anderem 30er-Zonen in den Orten vorsieht, mit dem die Verkehrsme­nge in den Gemeinden sinkt. Allerdings nur, wenn der dritte Fahrstreif­en nicht gebaut wird. Für den nahen, lokalen Lkw-Verkehr brauchen wir die Autobahn. Den Langlauf aber, grob gesagt alles, was über 200 Kilometer fährt, den müssen wir auf die Schiene bringen.

HAAS: Es sind die Anforderun­gen des Kunden, die das Verkehrsmi­ttel definieren. Wenn es die Möglichkei­t gibt und das Angebot passt – also die Zeitschien­e, die logistisch­en Abläufe, die Kosten – und die Bahn da

zu in der Lage ist, das zu liefern, dann sind wir als Logistikdi­enstleiste­r die ersten, die das machen. Wir als Unternehme­n setzen auf ganze Züge, etwa zwischen Vorarlberg und Wien. Wo es aber um einzelne Waggons geht, da ist die Bahn nicht konkurrenz­fähig zum Lkw.

Was braucht es, damit sich das ändert?

STEININGER: Waggons mit Taschen, in denen die Sattelaufl­eger mitgeführt werden, zum Beispiel. Die Terminals werden in Wien wie in Graz gerade ausgebaut. Und vor allem Bewusstsei­n.

HAAS: Ja, alles, was Herr Steininger sagt. Die Bahn bewegt sich, aber noch langsam. Die Logistikbr­anche ist ja bereit, zu investiere­n. Wir gehen in die Richtung, wo wir die Zukunft sehen. Wir als Unternehme­n testen in der Schweiz Wasserstof­f-Lkw, wir in Österreich haben acht ElektroLkw bestellt, in Kalsdorf erzeugen wir den Strom auf unserem Dach – wenn es eine interessan­te Möglichkei­t mit der Bahn gibt, machen wir das alles. Uns ist es egal, ob mit Flugzeug, Schiff, Lkw oder Bahn.

Laut der erwähnten A 9-Studie wären die Folgen eines A 9-Ausbaus etwa für Graz überschaub­ar.

STEININGER: Ein Punkt, der mir in der sonst exzellente­n Studie fehlt, ist der indirekt induzierte Verkehr. Mit der dritten Fahrspur werden sich mehr Menschen, etwa aus Graz kommend, dort in der Nähe ansiedeln, weil es ja leichter ist, über die Autobahn zu fahren. Es werden sich

auch mehr Unternehme­n an der Autobahn ansiedeln. Und damit habe ich mehr Verkehr. Wir haben das mit den Autoren der Verkehrspr­ognose Österreich diskutiert und kommen auf zehn bis 15 Prozent mehr Verkehr durch diese Effekte, zusätzlich zu dem Mehrverkeh­r, den die Studie jetzt nennt. Nicht wenige dürften sich nach einem Ausbau eben fragen: Wenn es jetzt eh eine dritte Spur gibt, dann fahr ich auch wieder mit dem Auto.

HAAS: Aber mit einer dritten Spur entschärfe ich erst einmal die Probleme durch den Transit. Wenn das geschieht, gibt mir das Luft, mich mit meinen Lkw in der Nahversorg­ung bewegen zu können. In diesem Industrieg­ebiet entlang der Autobahn wird ja noch viel an Ausbau passieren, das wird einfach kommen. Das führt automatisc­h zu einer höheren Frequenz auf der Autobahn. Das lässt sich nicht mehr vermeiden, weil es einfach schon zu weit gediehen ist.

Aber droht man dann nicht trotz eines Ausbaus in 15 Jahren wieder vor demselben Problem zu stehen?

HAAS: Ein Ausbau der A 9 ist natürlich kein Allheilmit­tel. Ich glaube, dass auch die anderen Maßnahmen, die Sie, Herr Steininger, eingebrach­t haben, erforderli­ch sind, auch die unpopuläre­n. Nur unmittelba­r, denke ich, kommen wir um den Ausbau nicht mehr herum.

Weil alternativ­e Konzepte nicht schnell genug greifen?

HAAS: Wenn mir jemand gegenübers­itzt, der mir verspricht: Wir machen jetzt die lenkenden Maßnahmen und die greifen auch im erhofften Ausmaß und ich komme dann problemlos auf die A 9 – kein Problem. Offenbar ist es ja so, dass auch der Bau eines dritten Fahrstreif­ens bis 2032 dauern würde. Wichtig wäre halt einmal eine Entscheidu­ng. Als Wissenscha­ftler sind Sie in der angenehmen Lage, etwas erforschen und bewerten zu können, als Unternehme­r muss ich aber Entscheidu­ngen treffen und planen.

STEININGER: Das stimmt, umso wichtiger ist es, dass die anderen, lenkenden Maßnahmen fixiert und umgesetzt werden.

HAAS: Absolut, da sind wir einer Meinung.

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STEFAN PAJMAN Gerhard Haas (Gebrüder Weiss) und Karl Steininger (Uni Graz) im Streitgesp­räch über Für und Wider eines Autobahnau­sbaus
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KLZ/GERNOT EDER Die zweispurig­e A 9 südlich von Graz ist regelmäßig überlastet

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