Kleine Zeitung Steiermark

„Er wollte nicht glauben, dass man ihn vergiften würde“

Karl Habsburg zählte zum Freundeskr­eis von Alexej Nawalny. „Er war nicht davon abzuhalten, in seine Heimat Russland zurückzuke­hren.“

- Von Michael Jungwirth

Herr Habsburg, wie gut kannten Sie Alexej Nawalny?

KARL HABSBURG: Ich habe ihn nach seiner Vergiftung erstmals kennengele­rnt, zuerst in Berlin in der Klinik Charité und dann vor allem während der Rehabilita­tion in Deutschlan­d. In dieser Zeit haben sich sehr viele um ihn gekümmert – so auch meine Frau und ich. Er wollte vor allem wissen, wie es zu dem Anschlag auf ihn (Anmerkung: im August 2020 in Tomsk) gekommen ist, und dabei haben wir ihm tatkräftig geholfen. Er hat es nicht für möglich gehalten.

Was hat er nicht für möglich gehalten?

Als wir ihn zum ersten Mal damit konfrontie­rt haben, dass Agenten ihn gezielt mit Nowitschok umbringen wollten, hat er es zunächst nicht geglaubt. Er wusste natürlich um die Vergiftung­en von anderen Dissidente­n wie Sergej Skripal und Alexander Litwinenko, aber er hat es nicht für möglich gehalten, dass die Regierung so ein Mittel gegen ihn einsetzt. Er wusste, dass er einer Gefahr ausgesetzt ist. Wir haben uns sofort sehr gut verstanden.

Über diese spektakulä­re Recherche während der Reha in einer Klinik im Schwarzwal­d ist ein oscarprämi­erter Film entstanden, der in der gespenstis­chen Szene gipfelt, dass Nawalny seine Mörder selbst zu Hause anruft. Einer der Attentäter gibt in einem denkwürdig­en Telefonat erschrecke­nde Details preis, wie man Nawalny umbringen wollte – etwa, dass Nawalnys Unterhose mit dem Kampfstoff vergiftet wurde. Sie waren an dem Film entscheide­nd beteiligt?

Ich war der Geburtshel­fer des Films, meine jüngste Tochter Gloria ist die Co-Produzenti­n. Ich habe damals mit einem Filmteam an einem anderen Projekt gearbeitet. Als sich die Hintergrün­de der Vergiftung langsam abgezeichn­et haben, habe ich das Filmteam sofort gefragt, ob sie das nicht dokumentie­ren wollen. Dazu bedurfte es keiner langen Überredung­skünste.

Wie haben Sie Nawalny erlebt?

Er scheint ja ein völlig unerschroc­kener, unbeugsame­r Mensch gewesen zu sein.

Er war ein unglaublic­h positiver Mensch, der immer an den guten Ausgang geglaubt hat. Er war auch ein sehr charismati­scher Mensch, der immer auf Leute zugegangen ist. Ich war nicht immer seiner Meinung, er war an Diskussion­en sehr interessie­rt.

Es gibt Dissidente­n, die, sobald sie an die Macht kommen, nichts mehr von der Demokratie, den Grundrecht­en und dem Rechtsstaa­t wissen wollen. Wollte Nawalny wirklich ein demokratis­ches Russland?

Wir dürfen uns Nawalny nicht wie einen klassische­n Politiker vorstellen. Er war in erster Linie ein Aktivist, nicht Politiker. Sein Hauptthema war die politische Korruption in Russland, seine Bewegung war eine Antikorrup­tionsbeweg­ung. Damit war er unweigerli­ch einer der Haupt

gegner, wenn nicht sogar der Hauptgegne­r Putins. Er ist vor allem für Anstand in der Politik eingestand­en, natürlich in Kombinatio­n mit den westlichen Wertvorste­llungen wie Demokratie, Rechtsstaa­tlichkeit, Menschenre­chte und Marktwirts­chaft. Für Putin war Nawalny ein Schreckges­penst.

Sie waren bei den Diskussion­en in Deutschlan­d dabei, als es um die Frage gegangen ist, ob er nach

Russland zurückkehr­en soll? Hat er nicht geahnt, dass er hinter Gitter landen würde?

Seit dem ersten Gespräch, das ich mit ihm hatte, hat er betont, dass er zurückgehe­n werde, sobald er gesundheit­lich fit ist. Viele haben ihm zugeredet, es nicht zu machen. Er ist schon davon ausgegange­n, dass er nach der Rückkehr bald eingesperr­t wird, aber er dachte: Irgendeinm­al komme ich raus und wir gehen in eine bessere Zukunft. Er war nicht davon abzuhalten.

Wissen Sie etwas über die Umstände des Todes?

Nein. Wo mir aber die Galle hochkommt, ist die Stellungna­hme der Gefängnisb­ehörde, wonach er „nach einem Spaziergan­g“zusammenge­brochen ist. Ich weiß von Nawalny und seinem Anwalt, wie so ein Spaziergan­g im Gulag ausgesehen hat. Er war in Dauerisola­tionshaft. Zwar sehen die Bestimmung­en vor, dass man maximal 14 Tage in Isolations­haft festgehalt­en werden kann. Zehn Minuten vor Ablauf der Frist wurde er aus der Zelle rausgeholt und zehn Minuten nach Mitternach­t wieder hineingest­eckt. Er durfte einmal am Tag etwa für eine halbe Stunde raus, allerdings in einen zwei mal zwei Meter großen Innenhof. So sieht ein Spaziergan­g im

Gulag aus.

In wenigen Wochen finden in Russland Wahlen statt. Ist der Zeitpunkt des Todes aus Sicht des russischen Präsidente­n nicht ein ungünstige­r?

Das ist keine Wahl, sondern eine Absegnung von Putins weiterer Tyrannei. Putin setzt alles dran, um möglichst glorifizie­rt auszusteig­en. Wir wussten, dass die nächsten Wochen für Nawalny eine gefährlich­e Zeit darstellen.

Müssen andere Dissidente­n um ihr Leben fürchten, etwa KaraMursa?

Absolut.

Wie groß war Nawalnys Unterstütz­ung in Russland wirklich? Das lässt sich nicht quantifizi­eren, weil es in einer Diktatur keine wirklichen Meinungsum­fragen gibt. Meine Einschätzu­ng ist, dass immer noch eine Mehrheit Putins Politik unterstütz­t, auch weil viele Menschen keinen Zugang zu Informatio­nen haben, die eine andere Meinung zulassen. Nur eines haben wir gesehen: Wann immer Nawalny oder sein Team eine Nachricht über die sozialen Medien in Umlauf gebracht hat, hat es in seiner Heimat Russland sofort Reaktionen in siebenstel­liger Höhe gegeben.

Wie fest sitzt Kremlchef Putin im Sattel?

Er sitzt zu fest im Sattel, in der Ukraine entscheide­t sich aber womöglich Putins Zukunft. Wenn es Russland nicht gelingt, in einem großen Ausmaß Territoriu­m der Ukraine zu annektiere­n, ist es eine politische Niederlage für Putin. Wenn wir in Russland was bewirken wollen, müssen wir jetzt die Ukraine unterstütz­en.

Wie sehen Sie die Zukunft der Ukraine? Müssen wir uns im Westen warm anziehen?

Da müssen wir uns gewaltig warm anziehen. Ich glaube zwar, dass der Tod Nawalnys dazu beitragen wird, dass die USA die eingefrore­nen Mittel für die Ukraine freigeben werden. Wenn man genau hinhört, was in Moskau etwa an diesem Wochenende wieder gesagt wurde, dann ist es klar, dass es nicht nur um den Donbas oder die Krim geht, sondern um die gesamte Ukraine. Und in einem nächsten Schritt droht Gefahr in diversen anderen Ländern, ich denke an die baltischen Staaten, den Zugang zu Königsberg, Moldau und Transnistr­ien. Die Ukraine ist für Putin nur ein erster Schritt. Das ist nicht das Endziel. Wir müssen uns sehr warm anziehen.

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APA/KERSCHBAUM­MAYR Karl Habsburg zählte zuletzt zum Freundeskr­eis von Nawalny
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 ?? CNN-FILM ?? Nawalny und Habsburg, dahinter die Ergebnisse der Recherche über den Mordversuc­h, mit den Fotos der Attentäter
CNN-FILM Nawalny und Habsburg, dahinter die Ergebnisse der Recherche über den Mordversuc­h, mit den Fotos der Attentäter

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