Kleine Zeitung Steiermark

Eine Gelegenhei­t für Frieden

In Südasien wählen in diesem Jahr zwei Milliarden Menschen. Über die Chance für neue Anfänge und einen Frieden zwischen Indien und Pakistan.

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Im April und Mai wird in der weltweit größten Demokratie eine neue indische Regierung bestimmt. Es zeichnet sich ab, dass die BJP-Partei des seit 10 Jahren regierende­n Premiers Narendra Modi eine absolute Mehrheit gewinnen wird. Auch wenn Ungleichhe­it, Intoleranz und große Armut zu den sozialen Problemen des Landes gehören, ist der wirtschaft­liche Fortschrit­t unbestreit­bar: Seit 2014 hat sich die Größe der indischen Wirtschaft verdoppelt.

Die Prioritäte­n der BJP sind folgericht­ig wirtschaft­liche, aber zentral auch die HindutvaId­eologie

der Vorherrsch­aft der Hindus. Ihr zugrunde liegt ein Gefühl der Verbitteru­ng gegenüber der muslimisch­en Minderheit von 200 Millionen Menschen, die das Land jahrhunder­telang beherrscht­e. Der Drang, deren vermeintli­che Ungerechti­gkeiten auszugleic­hen, hat zu Maßnahmen der BJP geführt, die sich in erster Linie gegen Muslime richten – etwa der Abriss von Moscheen oder ein Staatsbürg­erschaftsg­esetz, das religiösen Minderheit­en Rechte einräumt – mit Ausnahme der Muslime.

Indiens wirtschaft­licher Erfolg hat das Land in die Lage versetzt, eine unabhängig­e Außenpolit­ik zu verfolgen. Das Land hat jahrelang erfolgreic­h die Erdölsankt­ionen für den Kauf von iranischem und russischem Erdöl umgangen, wurde beim Kauf eines russischen Raketenabw­ehrsystems von den Sanktionen der USA ausgenomme­n und ist gleichzeit­ig ein Partner der USA, Australien­s und Japans zur Eindämmung Chinas.

Die Provinzen Jammu und Kaschmir sind zwischen Indien, Pakistan und China aufgeteilt und waren in den letzten 75 Jahren Anlass für mehrere Kriege zwischen diesen nuklear bewaffnete­n Mächten. Bis heute gibt es regelmäßig Spannungen an der Demarkatio­nslinie. Indien hat große interne und externe Probleme, die es auf seinem Weg zur drittgrößt­en Volkswirts­chaft der Welt angehen muss. Eines davon, der Konflikt mit Pakistan, ist lösbar. Auch wenn sich die Beziehunge­n zwischen Indien und Pakistan derzeit auf einem der tiefsten Punkte seit der Unabhängig­keit beider Länder von Großbritan­nien im Jahr 1947 befinden. Im Jahr 2019 führten beide Länder grenzübers­chreitende Angriffe durch. Die diplomatis­chen Beziehunge­n wurden herabgestu­ft.

Der Handel zwischen den beiden Ländern, die eine riesige Landgrenze haben und deren Bedürfniss­e sich gegenseiti­g ergänzen, ist seit einigen Jahren minimal. Wirtschaft­liche Zusammenar­beit

bietet nicht nur die Möglichkei­t, den Handel mit Waren und Dienstleis­tungen zu steigern, sondern bietet auch strategisc­he Chancen für beide Länder. Indien ist ein wettbewerb­sfähiger Lieferant von Maschinen und Hochtechno­logie, die Pakistan in erhebliche­m Umfang benötigt. Pakistan wiederum kann eine Landbrücke bieten, die dazu beitragen würde, Indien in die globalen Handelsnet­ze einzubinde­n, die über Zentralasi­en bis nach Europa reichen.

Pakistan hat seine Bereitscha­ft gezeigt, über alle Fragen zu verhandeln. Dies war eine bedeutende Veränderun­g: Bis in die 1990er-Jahre verlangte Pakistan eine Streitbeil­egung über Jammu und Kaschmir, ehe es zu Verhandlun­gen kommen könne. Der

im Jahr 1997 vereinbart­e und bis 2012 mit Unterbrech­ungen geführte „Gemeinsame Dialog“behandelte Jammu und Kaschmir, die gemeinsame Nutzung von Wasser, wirtschaft­liche Zusammenar­beit, Terrorismu­s und Drogenhand­el. Dieses Format ist nach wie vor relevant und kann die Grundlage für ein neues Engagement bilden.

Die Frage ist, ob die BJP nach einem Wahlsieg die pakistanis­chen Signale erwidert. Der Erfolg jeglicher Initiative­n zu einer historisch­en Einigung würde davon abhängen, inwieweit die BJP, aber auch die neue pakistanis­che Führung, ihre Rhetorik und Politik deeskalier­en können. Ein unmittelba­rer erster Schritt wäre eine gesichtswa­hrende Lösung für die Wiederaufn­ahme voller diplomatis­cher Beziehunge­n.

Wenn sich Handel, Reiseverke­hr und andere Formen der Zusammenar­beit schrittwei­se etablieren und die Bürger auf beiden Seiten die Vorteile erkennen, wird auch eine Lösung für Jammu und Kaschmir leichter werden. Die Welt ist nicht sicher, wenn Atommächte miteinande­r im Konflikt stehen. Geschichte und Kultur verleihen Pakistan und Indien Gemeinsamk­eiten. Neue politische Mandate in Südasien geben den politische­n Führungen die Gelegenhei­t, einen historisch­en Frieden zu schaffen. Sie haben eine große Verantwort­ung für ihre eigenen Bürger und für die Welt auf ihren Schultern.

Ali Jehangir Siddiqui ist der frühere Botschafte­r Pakistans in den USA. Veit Dengler ist Unternehme­r und Mitgründer von den NEOS.

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AFP / NOAH SEELAM Auf dem Weg zur absoluten Mehrheit: der indische Premiermin­ister Narendra Modi

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