„Der Tod riecht nach russischem Parfum“
INTERVIEW. Die ukrainische Lyrikerin und Illustratorin Iryna Sazhynska ist Writer in Residence in Graz und spricht über den Krieg, den Geruch des Todes und wie die Kunst hilft, ihre Emotionen zu ventilieren.
Sie kommen aus der Stadt Saporischschja in der südlichen Ukraine, leben in Kiew und haben die letzten Monate als Writer in Residence in Graz verbracht. Wie geht es Ihnen zwei Jahre nach Kriegsausbruch?
Warum zwei Jahre? Für uns hat der Krieg vor zehn Jahren begonnen – mit der Annexion der Krim durch Russland 2014. Die Situation in meinem Land und hier in Österreich, das sind zwei Welten. Die Gefühle in mir sind größer als ich selbst. Weinen kann ich nicht mehr, weil ich bereits alle Tränen verbraucht habe. Ich lasse mich aber gerne mit einem Lächeln im Gesicht fotografieren, weil die Menschen sehen sollen, dass wir Ukrainerinnen und Ukrainer trotz allem Lebensfreude und Liebe in uns tragen. Die Realität in meinem Land sieht natürlich ganz anders aus. Meine Gefühle sind sehr gemischt. Da ist Trauer, Angst, aber auch Hass.
Hass auf Putin oder auch auf „die Russen“?
Auch auf die russische Bevölkerung, die diesen Krieg nicht wahrhaben will oder ihn befürwortet. Wir haben so viele Verbrechen gesehen, wie soll man da den Hass ausklammern können? Russland hat imperialistische Bestrebungen, das ist nicht zu leugnen. Daran hat auch die Bevölkerung ihren Anteil.
Dieser Krieg muss auch für Sie eine Zäsur gewesen sein, wie war Ihr Leben davor?
Ja, dieser Krieg hat mein Leben vor zehn Jahren auf den Kopf gestellt, in ein „Davor“und ein „Danach“geteilt. Ich bin jetzt 30 Jahre alt. Vor dem Krieg habe ich in meiner Geburtsstadt Saporischschja an der technischen Universität studiert, dann in verschiedenen Banken gearbeitet, 2019 zog ich nach Kiew, wo ich für einen Energiekonzern tätig bin. Auch als Künstlerin hatte ich ein interessantes, erfülltes Leben. Aber jetzt? Es ist sehr belastend, Gedichte zu schreiben oder Illustrationen zu zeichnen, wenn ständig Luftalarm gegeben wird und man in einen Schutzraum flüchten muss. Der Krieg verändert alles, auch die eigene Kreativität. Zwei meiner Freunde sind getötet worden. Wenn man Trauerkleidung trägt, ist es schwierig, gleichzeitig Gedichte zu schreiben – zumindest für mich.
Ihr Gedichte werden inzwischen ins Deutsche, Englische, Französische, Hebräische und auch Russische übersetzt. Wann haben Sie begonnen zu schreiben und zu zeichnen?
Ich war vier Jahre alt, als ich
meine erste Illustration gezeichnet habe, und mein erstes Gedicht habe ich im Alter von acht Jahren geschrieben, für meine Mutter. Meine Familie lebt noch in Saporischschja, ich telefoniere täglich mit meinen Eltern und Brüdern und hoffe jeden einzelnen Tag, dass es ihnen gut geht. Ich denke gerne an meine Kindheit und frühe Jugend zurück. Sie war nicht ohne Wolken, aber ohne Krieg.
Auch wenn es derzeit für Sie schwierig ist, Gedichte zu schreiben: Kann das Schreiben generell Ihren Schmerz, Ihre Trauer, Ihre
Natürlich! Kunst hilft mir, meine Emotionen zu ventilieren. Wobei ich derzeit mehr an Illustrationen arbeite, das ist wie eine Therapie für mich, es beruhigt. Ich möchte der Welt einige Tatsachen über diesen Krieg vor Augen halten – und diese Tatsachen kann ich über Illustrationen ausdrücken. Verlage in den USA und in Polen verwenden meine Zeichnungen, um die vielen hässlichen Gesichter des Krieges abzubilden.
Woran arbeiten Sie während Ihrer Zeit in Graz?
An Ilustrationen für einen Gedichtband von Ihor Mysiak. Er war ein Freund, der 2023 im Krieg, wo er als Soldat kämpfen musste, getötet wurde. Es ist wichtig, dass seine Gedichte über die Liebe, das Leben, seine Familie und seine Frau gelesen werden.
Sie haben ein Gedicht über den Geruch des Todes geschrieben. Darin heißt es, dass er nach dem Parfum „Rotes Moskau“riecht. Warum das?
Das ist das beliebteste Parfum in Russland und es riecht abscheulich. Für mich riecht es wie der Tod. Ich habe dieses Gedicht bereits 2019 geschrieben, also vor der großen Invasion 2022, jetzt ist es stinkende Realität.
Man hat mir erzählt, dass Sie und Freunde in Kiew den Film „Oppenheimer“gesehen haben und damit ein besonderes Erlebnis verbunden ist.
Wir gingen ins Kino, haben uns elegant gekleidet, im Stil der 40er-Jahre, und haben uns diesen Film über den „Vater der Atombombe“angesehen. Und gleichzeitig wussten wir: Es ist nicht ausgeschlossen, dass Putin im Krieg gegen unser Land Atomwaffen einsetzt. Aber das ist die absurde, grausame Realität, in der wir leben.