„Jeder gute Zweck kann überborden“
Antikorruptionsexperte Martin Kreutner über harte Grenzen und die vielfältigen Graubereiche der Schattenwirtschaft.
Transparency International und die Weltbank veröffentlichen Korruptionsindizes. Daneben gibt es auch Standortrankings, in die das Thema Korruption einfließt. Aber lässt sich die überhaupt gut messen?
MARTIN KREUTNER: Es ist eine Annäherung. Als der Index zur Korruptionswahrnehmung 1995 erstmals herauskam, war das bahnbrechend. Manchmal wird zwar gefordert, nur Verurteilungen oder Verfahren heranzuziehen, doch Korruption ist ein Dunkelfelddelikt. Im Umkehrschluss wären jene Länder oben, die nichts gegen Korruption unternehmen. Es gibt aber auch Kritikpunkte am TransparencyIndex, etwa weil seine Grundlage nur der öffentliche Sektor ist, es Korruption aber auch im Privatsektor gibt. Das ist nicht mehr Stand der Forschung.
Ist die Wahrnehmung von Korruption auch relevant für Investitionsentscheidungen?
Definitiv. Natürlich gibt es auch in Krisenländern Krisengewinnler. Aber Standortsicherheit inkludiert auch Rechtssicherheit, und diese ist ein ganz zentrales Beurteilungskriterium bei Betriebsansiedlungen. Seit der OECD-Konvention gegen Korruption 1999 können auch korruptive Handlungen eigener Staatsbürger im Ausland verfolgt werden. In Österreich konnten früher Bestechungsgelder sogar von der Steuer abgesetzt werden, das war mit dieser Konvention Geschichte.
Korruption ist ein weiter Begriff. Da fallen autokratische Machthaber, die sich Abermillionen zur Seite räumen, ebenso hinein wie eine Pflegekraft, die ein nicht mehr geringfügiges Geschenk annimmt. Wie lässt sich das differenzieren?
Es gibt, aus dem Englischen abgeleitet, Großkorruption und Alltagskorruption, Ad-hoc- oder strukturelle Korruption, auch passive und aktive Korruption – wer setzt den ersten Schritt? Und es gibt Korruption als soziologisches Phänomen. Zwischen Illegalität und Illegitimität besteht ein Unterschied. Nur Ersteres ist klar definiert, in der Regel im Strafrecht.
Ist die Illegitimität ein Kind ihrer Zeit? Das Patronagesystem der Parteien, als man Wohnung und Job über die Partei bekam, war nicht umstritten. Heute ist es verpönte Parteibuchwirtschaft. Ja. Die Zugänge ändern sich, es ändert sich auch die Wahrnehmung und die Toleranz gegenüber diesen Mechanismen. Wenn Sie heute den Durchschnittsbürger fragen, gibt es für Derartiges relativ wenig Verständnis.
Sebastian Kurz ist erstinstanzlich verurteilt worden, im U-Ausschuss über seine Rolle bei der Einrichtung der ÖBAG falsch ausgesagt zu haben. Dabei wäre seine Einbindung legal gewesen. Wie bewerten Sie diese Causa?
Es handelt sich im inkriminierenden Faktum um die Besetzung von Aufsichtsräten. Juristisch ist für das Gericht nur marginal bedeutend, wie Kurz eingebunden war, sondern wie er dazu im U-Ausschuss ausgesagt hat. Laut erstinstanzlichem Urteil hat er dort trotz Wahrheitspflicht die Unwahrheit gesagt. Das ist strafbar. Das Funktionieren des Rechtsstaates ist ergo für eine vermeintliche „Staatsaffäre“nicht geeignet.
Ab wann wurde Parteibuchwirtschaft als potenziell korruptives Verhalten empfunden? Es war ein kontinuierlicher Prozess. Wie vieles in der Soziologie sind diese Schritte evolutionär und nicht revolutionär gewesen. Es hat natürlich auch größere Skandale gegeben, die ihren Beitrag geleistet haben, wie der AKH-Skandal, Noricum, Lucona. Letztendlich ist Parteibuchwirtschaft nichts anderes als politischer Tribalismus. In anderen Ländern lehnen wir Tribalismus ab und betrachten ihn von oben herab. Bei uns ist es ParteiStammeswirtschaft. Da ist mehr Selbstreflexion gefordert.
Sie haben lange die internationale Antikorruptionsakademie in Laxenburg bei Wien geleitet. Lassen sich identische ethische Regeln auf alle Gesellschaften anwenden?
Sie werden überrascht sein, das aus meinem Mund zu hören: