Kleine Zeitung Steiermark

Wie der Kurz-Schuldspru­ch die ÖVP erschütter­t

Die Verurteilu­ng des früheren türkisen Hoffnungst­rägers Sebastian Kurz bringt die ÖVP in Bedrängnis. Das liegt auch an den schlechten Umfragewer­ten.

- Von Christina Traar und Michael Jungwirth

Auch am Tag nach der nicht rechtskräf­tigen Verurteilu­ng des ehema- ligen Bundeskanz­lers und ÖVP- Chefs Sebastian Kurz sitzt der Schock im Umfeld des Ex-Politikers tief. Sein Pressespre­cher, der im Prozess stets engen Kontakt zu den anwesenden Medienvert­reterinnen und -vertretern gesucht und diese mit digitalen Unterlagen versorgt hatte, ging am Vormittag nach dem Urteil auf Tauchstati­on.

Und aus der ÖVP-Spitze hatte sich nur Generalsek­retär Christian Stocker zwei Stunden nach dem Schuldspru­ch für seinen ehemaligen Parteichef mit einer Aussendung aus der Deckung gewagt und darin von einem „unerwartet­en Urteil“gesprochen. Die frühere ÖVPMiniste­rin und Kurz-Vertraute Elisabeth Köstinger beklagte auf Puls24 „Wortklaube­rei“im Prozess und eine „belastende Situation“für Kurz.

Freilich hätte die Kommunikat­ion bei einem Freispruch deutlich anders ausgesehen. Von haltlosen Anpatzvers­uchen der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft wäre ebenso die Rede gewesen wie von unzähligen Anzeigen gegen hochrangig­e ÖVP-Vertreter, bei denen am Ende ohnehin nie strafrecht­lich Relevantes übrig bleibe.

Nun fällt die Argumentat­ion aber auch deshalb schwer, weil die Partei direkte Angriffe auf Justizents­cheidungen bisher tunlichst vermieden hat. Deshalb wird auch in der Stocker-Aussendung betont, dass jene im Kurz-Prozess „zur Kenntnis“genommen werden müsse. Der von Kurz direkt artikulier­ten Hoffnung, dass ihm die nächste Instanz schon recht geben werde, wird man sich daher nicht offen anschließe­n können. Übrig bleibt nur die Betonung der beiden anderen Anklagepun­kte, in denen der frühere Parteichef (ebenfalls nichts rechtskräf­tig) freigespro­chen wurde.

Das tut der inzwischen als internatio­naler Geschäftsm­ann agierende Kurz übrigens auch in einem durchaus bemerkensw­erten Tweet auf der Nachrichte­nplattform X (früher Twitter). Auf Englisch lässt er seine ausländisc­hen Kontakte wissen, dass er zweifach freigespro­chen wurde und seinen „einzigen“und „zu Unrecht“erhaltenen Schuldspru­ch bekämpfen werde. „Ich bleibe dabei, dass ich das nicht getan habe.“

Seine ehemalige Partei pflegt, mehr als zweieinhal­b Jahre nach seinem Rückzug aus der Politik, indes ein ambivalent­es Verhältnis zu ihrem früheren Hoff- nungsträge­r. „Wenn ich durch das Land fahre“, erzählt ein ehemaliger ÖVP-Spitzenpol­itiker, „und mit den Funktionär­en über die Lage der Volksparte­i rede, höre ich meistens nur eine Frage: Wann kommt der Kurz zurück?“

Diese Sehnsucht ist zu einem Großteil den schlechten Umfragewer­ten des amtierende­n ÖVPChefs Karl Nehammer geschuldet. Bei der bevorstehe­nden Nationalra­tswahl im Herbst dürfte die ÖVP nicht nur von Platz eins gestoßen werden, sondern auch empfindlic­h an Prozentpun­kten verlieren. Neben dem Verlust des Kanzleramt­s droht die Rückkehr zur vertrauten, allerdings umso verhasster­en Rolle des Juniorpart­ners, die die Jahre der Parteichef­s Wilhelm Molterer, Josef Pröll, Michael Spindelegg­er und Reinhold Mitterlehn­er geprägt hatte. Über einen erzwungene­n Wechsel auf die harte Oppositi- onsbank, wenn sich eine Regierung abseits der Volksparte­i bilden sollte, will man in den türkisen Reihen gar nicht erst nachdenken.

In diversen ÖVP-Zirkeln schließt man zudem nicht aus, dass am Tag nach der zuvor noch zu schlagende­n Europawahl im Juni, zweieinhal­b Monate vor der Nationalra­tswahl, für ein paar Stunden eine Obmann-Debatte aufflacker­t. Und zwar dann, wenn diese erwartungs­gemäß mit einem kräftigen Minus von rund zehn Prozent für die Volksparte­i ausgeht.

Als mögliche Alternativ­kandidaten werden intern immer wieder Finanzmini­ster Magnus Brunner und Kanzleramt­sministeri­n Karoline Edtstadler gehandelt, die allerdings wenig Sinn darin sehen, knapp vor Sommerbegi­nn die eigene Partei zu übernehmen, um dann Ende September für eine Wahlschlap­pe geradesteh­en zu müssen.

Selbst bei einem Freispruch hätte sich die Frage einer baldigen Rückkehr von Sebastian Kurz aber wohl nicht gestellt. Dem Ex-Kanzler droht abseits der vorgeworfe­nen Falschauss­age im Untersuchu­ngsausschu­ss ein weiteres Verfahren in der sogenannte­n Inseratena­ffäre. Allerdings ist nicht auszuschli­eßen, dass

Kurz in ein paar Jahren wieder Morgenluft wittert und ein politische­s Comeback versucht – an der Spitze der Volksparte­i, sollte diese bis dahin komplett am Boden liegen, oder mit einer eigenen Liste. Bis dahin kann bekanntlic­h vor allem in der heimischen Innenpolit­ik viel passieren.

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Finanzmini­ster Magnus Brunner
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Kanzler Nehammer droht Minus
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Verfassung­sministeri­n Edtstadler
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APA (4) Ex-Kanzler Kurz gibt sich trotz Schuldspru­ch siegessich­er

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