Kleine Zeitung Steiermark

Ein Selbstfall­er mit Folgen

Inhaltlich ist das Ersturteil gegen Ex-Kanzler Kurz kein Straßenfeg­er. Politisch wirksam ist es trotzdem. U-Ausschüsse kann man nun ins Schweigekl­oster verlegen.

- Von Ernst Sittinger

Es handle sich um keinen politische­n Prozess, sagte der Richter in der Urteilsbeg­ründung. Das war im besten Fall ein frommer Wunsch. Steht ein Kanzler, und sei es auch ein gewesener, vor dem Strafgeric­ht, dann ist so eine Selbstbesc­hwörung nur beschränkt wirksam. Die Sphären des Juris- tischen und des Politische­n, im Rechtsstaa­t normalerwe­ise aus gutem Grund getrennt, fließen in solchen Fällen fast zwangs- läufig ineinander.

So wird denn auch der nicht rechtskräf­tige Schuldspru­ch ge- gen Sebastian Kurz vorrangig politisch diskutiert, und er hat auch politische Folgen. Die ÖVP blieb am Samstag schmallipp­ig. Die nicht zuletzt von Kurz selbst gebetsmühl­enartig beschwore- ne Illusion, es werde „eine An- klage, aber keine Verurteilu­ng“geben, ist bis auf Weiteres ge- platzt. Die anderen Parteien boten freihändig­e Interpreta­tio- nen feil, die wenig über den Pro- zess und viel über die Agenda der Interprete­n sagen.

Eine Rückkehr des einstweili­g Verurteilt­en an die ÖVP-Spitze ist keine Option mehr. In den kommenden U-Ausschüsse­n ist eine große Schweige-Arie zu erernst.sittinger@kleinezeit­ung.at warten, da sich jeder Politiker gut überlegen wird, ähnliche Ka- lamitäten für sich heraufzube- schwören. Man wird keinen Lü- gen-, sondern einen Lückende- tektor brauchen.

Bei all dem ist die Basis dieses Urteils erstaunlic­h dünn. In zwei von drei Punkten wurde der Ex-Kanzler freigespro­chen. Übrig blieb, dass er vor dem Ibi- za-U-Ausschuss die Intensität seiner Mitsprache bei der Bestel- lung der ÖBAG-Aufsichtsr­äte nicht in gebotener Deutlichke­it offengeleg­t habe. Das kann, aber muss man nicht als strafrecht- liche Falschauss­age werten.

Selbst wenn das Obergerich­t den Schuldspru­ch bestätigt, bezieht er seine Wirkung mehr aus der Form als aus dem Inhalt. Ein verurteilt­er ÖVP-Kanzler – da- rauf kam es den Gegnern an. Thomas Schmid, ein charakter- lich unvorteilh­aft beleumunde- ter Opportunis­t und Glücksrit- ter, darf jetzt auf die Kronzeugen­rolle hoffen. Genützt hat ihm ausgerechn­et der gescheiter­te Doppelaxel der Verteidigu­ng, die zwei wenig glaubwürdi­ge Russen aufbot.

Die Kurz-Gegner mögen darin eine Parallele zu seiner Kanzlersch­aft sehen, wo ja auch nicht jede Inszenieru­ng funktionie­rte. Die Neigungsgr­uppe Kurz wiederum sollte spätestens jetzt lernen, dass Darstellun­g ohne Substanz oft sogar schlechter ankommt als Substanz ohne Darstellun­g. Der Häme sollte sich aber niemand hingeben. Der Pulverdamp­f aus der Schlacht verstellt allen die Sicht: Freund und Feind und auch dem verärgerte­n Publikum. Wie dieses seine Gunst bei der Wahl verteilen wird, ist unveränder­t ungewiss, zumal ja für Kurz noch weitere Gerichtste­rmine bevorstehe­n, Stichwort Inseratena­ffäre.

Die FPÖ hat übrigens gegen ihre sonstige langjährig­e Übung in den ersten Stunden nach dem Urteil klug geschwiege­n, anstatt auf den Verurteilt­en noch verbal draufzudre­schen. Das kann man als durchaus valides Zeichen sehen: Mit Mitleids-Mechanisme­n kennt man sich in diesem Lager ziemlich gut aus.

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