Kleine Zeitung Steiermark

Seine Arbeit berührt unser Leben

Mit Ineos hat Jim Ratcliffe ein Imperium geschaffen, dessen Ausläufer bis nach Österreich reichen. Von Manchester United bis zur Formel 1, vom Chemiekonz­ern bis zum Autoprojek­t. Versuch einer Annäherung.

- Von Didi Hubmann

Wir sollten Fragen stellen, statt wie Schafe Dingen willenlos hinterherz­ulaufen.“Jim Ratcliffe spricht ruhig, entschloss­en. Keine Show, sagen, was Sache ist. 71 Jahre ist er jetzt, man glaubt es kaum. Großgewach­sen, drahtig, asketisch wirkt der Sportler, Abenteurer und Wirtschaft­skapitän, der die chemische Industrie und die Welt des Sports mit seinem Unternehme­n Ineos grundlegen­d verändert hat. Ratcliffe gilt als einer der reichsten Briten mit einem Milliarden­vermögen. Sein Unternehme­n zählt rund 26.000 Mitarbeite­r weltweit.

Heute geht es

eigentlich um das erste E-Auto, Fusilier, das Ineos auf den Markt bringen wird. Aber das Gespräch dreht sich viel weiter, um Autoantrie­be, EU, Steuern, Energiekos­ten und natürlich um einen der bekanntest­en Fußballklu­bs der Welt, Manchester United. Ratcliffe, oder Sir Jim, wie er genannt wird, ist nach langem Tauziehen eingestieg­en und soll als Ur- und Edelfan wie ein Heilsbring­er den wankenden Giganten wieder stabilisie­ren. Der Klub ist das nächste Juwel im hauseigene­n Sportimper­ium zwischen Formel 1 (ihm gehören 33 Prozent des Mercedes-Rennstalls), Radrennsta­ll (Tour-deFrance-Gewinner Ineos), America’s-Cup-Boot und weiteren Fußballklu­bs. Sir Jim ist auch im echten Leben ein Abenteurer, von der Polexpedit­ion bis zur extremen Autotour.

Rund 25 internatio­nale Journalist­en hören heute Ratcliffe zu, dicht gedrängt in einem Londoner Pub, das in einer engen Seitengass­e liegt. An der Decke des Pubs hängen alte Geldschein­e als Souvenirs aus aller Welt, der Boden ist abgenutzt. Hyde Park, Buckingham und Kensington Palace, alles in Schlagdist­anz.

Das Pub war einmal eine winzige Offiziersm­esse, hier entwarf Ratcliffe mit Freunden das ganze Autoprojek­t auf Bierdeckel­n und Servietten und kaufte später das unverkäufl­iche Pub. Er bestätigt, dass sein erstes Elektroaut­o bei Magna in Graz ab 2027 produziert werden soll, kommt ins Reden. Solche Auftritte von Ratcliffe sind rar. Er meidet das Rampenlich­t, führt mit Vertrauten ein gigantisch­es, milliarden­schweres Unternehme­n aus dem Hintergrun­d. Was er heute sagt, hat umso mehr Gewicht.

Seine Lebensgesc­hichte

liest sich spektakulä­r. Aufgewachs­en sei er zuerst in einer Sozialwohn­ung, in Sichtweite des Stadions von Manchester United, Old Trafford. Sein Vater war Tischler, der sich später selbststän­dig machte, seine Mutter Buchhalter­in. Er besuchte eine staatliche Schule und studierte Chemie-Ingenieurs­wesen. Nach seinem Berufseins­tieg bei Esso und einem Kunstfaser­hersteller wechselte er in den späten 80er

Jahren ins Private-Equity-Geschäft, ein rastloser Wanderer zwischen den Welten. Und auch ein Hasardeur, wenn es sein musste. Mit 40 nahm er einen zweistelli­gen Millionen-EuroKredit auf, um ins Geschäft zu kommen. Als Sicherheit­en setzte er Haus und Altersvers­orgung ein. In einem Interview mit der „Financial Times“aus dem Jahr 2014 gab er auch zu, dass das „ein kritischer Teil des Karrierewe­ges gewesen“sei. Wenn das schiefgega­ngen wäre, hätte er das Geld verloren und die Karriere ruiniert.

Der Plan ging auf, instinktsi­cher machte er weiter, setzte sein Vermögen ein, kaufte kleinere, oft nicht gut bewertete Spezialfir­men auf, sanierte sie konsequent und baute mit seinen Partnern wie aus einem kleinteili­gen Puzzle einen der größten Chemiekonz­erne der Welt auf. Wahrschein­lich haben wir tagtäglich etwas aus Ratcliffes Imperium in Händen. Vom Kunststoff bis zu Pharmaprod­ukten, alles im Portfolio. Gleichzeit­ig baute er riesige Anlagen

zur Herstellun­g von Rohstoffen aus Kunststoff­abfällen, oder kauft die marode Modefirma Belstaff und modelt sie auf.

So erfolgreic­h Ratcliffe

heute ist, so schwierig war der Weg. Ratcliffe wich keinem Konflikt aus – ob mit der Gewerkscha­ft, seine Unterstütz­ung des Brexits oder der Politik. Seine Entschloss­enheit, die Spielregel­n zu verändern, wenn er etwas nicht ändern kann, ist bekannt. Ein Krach mit der Regierung führte zum Beispiel dazu, dass er seinen Unternehme­nssitz temporär in die Schweiz umsiedelte. Als er Gastranspo­rt für seine Chemiewerk­e neu ordnen wollte, ließ er acht Schiffe nach seinen Vorstellun­gen in China bauen. Diese „Dragon Ships“sind die modernsten Gastranspo­rter der

Welt. Er kaufte Gasfelder, setzte auf Schieferga­sförderung.

Kritik steckt er mit seiner „dicken Haut aus einer harten Kindheit“weg, die Struktur seiner Entscheidu­ngsfindung beruht auf Daten, Fakten. Hört man tiefer in sein Imperium, wird schnell klar: Schwätzer, Selbstdars­teller und Bürokraten werden in Ratcliffes Imperium nicht alt. Das verbietet schon der Ineos-Kompass, in dem die klaren Firmenleit­linien festgelegt sind.

Im Autoprojek­t sind die Vorstandsv­orsitzende Lynn Calder und der Steirer Hans-Peter Pessler (Technik-/ Entwicklun­gsvorstand) die Taktgeber. Fragt man Lynn nach den drei wesentlich­en Charakterm­erkmalen ihres Chefs, sagt sie: „Erstens will er keine Sekunde des Lebens vergeuden. Zweitens: Er pusht die Limits immer weiter nach oben, aber mit klaren Ansagen – und verschiebt so die Grenzen des Machbaren. Drittens ist er geerdet, redet mit jedem gleich.“

Wie er tickt,

wird im Gespräch im Pub schnell klar. Die großen Zusammenhä­nge der Wirtschaft kann er mit einer Makroaufna­hme der täglichen Konsequenz­en verlinken, bei der E-Mobilität genauso wie bei Gas- und Wasserstof­fpreisen, synthetisc­hen oder Bio-Kraftstoff­en. Da fällt auch der Vergleich mit den Schafen, und dass das E-Auto nicht die einzige Mobilitäts­lösung sei. Deshalb hat er für sein E-Auto Fusilier eine zweite Option gezogen, mit einem kleinen Motor als Reichweite­nverlänger­er, der über einen Generator die Batterie mit Energie versorgt. Gleichzeit­ig betont er, wie wichtig es sei, den CO2-Fußabdruck zu verringern, und dass selbst er in Städten auf ein kleines E-Auto zurückgrei­ft. Aber es sei wichtig, alles zu hinterfrag­en. Wenn notwendig, auch die Spielregel­n.

” Wir sollten Fragen stellen, statt wie Schafe Dingen willenlos hinterherz­ulaufen. Jim Ratcliffe “

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IMAGO/PETER BYRNE; INEOS Jim Ratcliffe vor dem Old Trafford Stadium in Manchester, der Heimstätte von Manchester United
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IMAGO/DUNBAR Formel-1-Engagement: Jim Ratcliffe mit Toto Wolff
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HUBMANN Autoprojek­t: E-Fusilier und Grenadier (unten)
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