Kleine Zeitung Steiermark

„Ich erwarte nicht, dass Putin den Krieg beendet“

Schanna Nemzowa, Journalist­in und Tochter des ermordeten Regimekrit­ikers Boris Nemzow, über Krieg und Zukunft.

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Snicht ie haben gesagt, Sie möchten

über Alexei Nawalny sprechen. Warum?

Im Grunde wurde schon alles gesagt, viel mehr bleibt nicht. Alles, was mit Alexei passiert ist, bedauere ich zutiefst.

Glauben Sie, Julia Nawalnaja kann das politische Erbe ihres Mannes antreten?

Das ist es, was sie versproche­n hat. Ich habe Julia das erste Mal 2019 kennengele­rnt, damals hat sie bei einer politische­n Diskussion an der Stanford-Universitä­t teilgenomm­en. Ich glaube, sie will den Kampf ihres Mannes fortsetzen, und ich denke, dass sie alle Voraussetz­ungen dafür erfüllt. Sie ist klug, sie ist erfahren, sie versteht das politische System in Russland. Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Frau eine politische Führungspo­sition übernimmt. Gleichzeit­ig brauchen wir uns nichts vormachen: Der Weg wird schwer und in erster Linie gefährlich. Aber Julia ist die Richtige dafür.

Wie schätzen Sie die aktuelle Lage in Russland ein?

Wenn es um die Situation in Russland geht, gibt es nur eine Meinung: Es ist ein immer brutaler werdendes, autoritäre­s Regime. Putin wird die Repression­en weiter verschärfe­n, weil er zu Recht befürchtet, sonst seine Macht zu verlieren. Er wird sicherlich sein Präsidente­namt behalten. Daran besteht kein Zweifel. Ich glaube, dass wir uns in einer sehr dunklen Phase unserer Geschichte befinden. Ich erwarte nicht, dass Putin den Krieg beendet. Experten nennen es den Krieg der Erschöpfun­g. Ich denke, der Kampf wird andauern. Umso wichtiger ist es, dass die Ukraine militärisc­h und wirtschaft­lich unterstütz­t wird.

Damit meinen Sie den Westen? Ich möchte nicht über den Westen sprechen. Der Westen, die Europäisch­e Union, sind nicht ein Land. Jedes Land ist anders und hat eine andere Sichtweise auf Russland. Es gibt keine kollektive Grenze zwischen dem Westen und Russland, auch wenn Russland das womöglich denkt.

Müssen die westlichen Länder stärker zusammenha­lten?

Ja, Putin spürt die Schwäche in der politische­n Führung in Europa und den USA und nutzt das für sich. In Österreich stehen Wahlen bevor, in ganz Europa gewinnen rechtsextr­eme

Parteien immer mehr an Macht dazu. Putin weiß, dass rechtsextr­eme Politikeri­nnen und Politiker dazu neigen, Russland zu unterstütz­en. Diese Entwicklun­g ist sehr gefährlich. Die Menschen in Europa nehmen Putin nicht als unmittelba­re Bedrohung wahr, weil der Großteil über die Inflation und weniger über die Bedrohung der Sicherheit des eigenen Landes nachdenkt. Aber er ist und bleibt gefährlich. Wenn er nicht gestoppt wird, schreitet er weiter voran.

Gibt es eine Zukunft für Russland?

Alexei Nawalny strebte das „schöne Russland von morgen“an und musste sterben. Mein Vater wurde vor neun Jahren ermordet. Beide Taten haben einen anderen Kontext, aber sie sind Beispiele für politische Morde an Putins Gegnern. Politik beruht laut einigen Experten auf zwei Dingen: Angst und Hoffnung. Putin verlässt sich auf die Angst, Julia und andere einflussre­iche Stimmen müssen auf die Hoffnung setzen. Denn das, was Putin Russland nicht bieten kann, ist eine Zukunft. Daniela Breščakovi­ć

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PICTUREDES­K Putin biete keine Zukunft, sagt Nemzowa

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