Kleine Zeitung Steiermark

„Gewalt an Frauen ist ekelhaft!“

Marco schlägt seine Freundin, er landet im Gefängnis. Angesichts der aktuellen Frauenmord­e appelliert er an andere Männer, sich Hilfe zu holen, bevor es zu spät ist.

- Von Verena Schaupp

Er steckt sich die Kopfhörer ins Ohr, nimmt eine Marlboro Rot in die eine, ein Red Bull in die andere Hand. Wenn der Deutsch-Rap erklingt und Marco* die Mischung aus Rauch und Engerydrin­k in seinem Mund schmeckt, beruhigt er sich. So beschreibt der Grazer, Anfang 20, mittlerwei­le seine Strategie, wenn er merkt, wie die Wut in ihm aufsteigt. Er kennt den Tiefpunkt und will nicht zurück. Marco war letzten Sommer „im Knast“, wie er sagt, „weiter unten geht nicht“.

Begonnen hat alles in der früheren Beziehung, ständig gab es Streit. Er habe seine Freundin geliebt, beteuert der junge Mann im Gespräch. Nie hätte er sich vorstellen können, einer Frau Gewalt anzutun – bis zum ersten Mal. Ein „paar Watschn waren’s“, sagt er fast verharmlos­end. Genauer wird die Schilderun­g nicht. „Im ersten Moment empfindest du Erleichter­ung. Ich hab mich einfach so provoziert gefühlt.“Ob er auch Macht verspürt habe? Ein langer Seufzer. „Nein.“Aber der Respekt, der war in dem Moment weg.

Über 15.000 Betretungs­verbote wurden vergangene­s Jahr in Österreich ausgesproc­hen und 26 Frauen – elf davon in der Steiermark

– von einem Mann ermordet. Seit Jahresbegi­nn wurden schon wieder sieben Frauen in Österreich von Männern getötet, alleine fünf in der vergangene­n Woche. „Das hätte mir auch passieren können, ich hätte nur einen falschen Handgriff machen müssen“, sagt Marco. Dann schweigt er einen Augenblick.

Der Grazer wächst ohne Gewalt in der Familie auf, Schlägerei­en beim Fortgehen mit seinen Kumpels sind für ihn aber schnell normal. Dass er seine ExFreundin damals geschlagen habe, das kommt ihm schwer über die Lippen. Doch eine Verharmlos­ung gelingt genauso wenig.

Seine Ex-Freundin zeigt ihn an. Die Polizei spricht ein zweiwöchig­es Betretungs- und Annäherung­sverbot gegen Marco aus, er muss sich beim Verein Neustart melden. Seit

2021 müssen Gefährder sechs verpflicht­ende Beratungss­tunden absolviere­n. Doch noch währenddes­sen findet Marco wieder mit seiner ExFreundin zusammen, Marco schlägt erneut zu. Seine Erklärung: „Sie hat mein Auto zerkratzt, ich bin explodiert.“Die Vorfälle häufen sich, bis Marco im Gefängnis aufwacht.

Es ist August 2023. „Die Polizei stand vor der Tür, sechs Stunden Vernehmung, dann Untersuchu­ngshaft. Du liegst da im Gefängnis, vor dir die Gitterstäb­e, du kannst nicht raus, keine Tschick, ich war nervös, wütend, es war schlimm.“Im Knast, da habe man nur seine Gedanken, sonst nichts. Die Schuldgefü­hle steigen auf.

Heute sagt Marco: „Gewalt gegen Frauen ist ekelhaft, wirklich. Auch wenn du dich provoziert fühlst, als Mann solltest du nie die Hand erheben! Ich war kein Mann in dem Moment.“

Februar 2024. Marco hat seine Stunden beim Verein Neustart mittlerwei­le alle absolviert. Diesmal hat er die Unterstütz­ung angenommen, das Ampelsyste­m hilft ihm zum Beispiel: „Bei Grün ist alles gut, bei Gelb überlege ich, wie ich runterkomm­e, damit ich innerlich gar nicht erst auf Rot schalte“, sagt er.

1715 Steirer wurden vergangene­n Jahr polizeilic­h von zu Hause weggewiese­n, 90 Prozent davon sind Männer. „Ob Einheimisc­her, Migrant, jung, alt, Bauarbeite­r oder der Herr Doktor, bei

uns kommen sie quer durch in die Beratungen. Gewalt hat kein Mascherl“, sagt Anneliese Pieber, Abteilungs­leiterin von Neustart. Leider würden sich immer noch gerade Männer viel zu selten Hilfe holen, weiß Pieber.

Marco will anderen Ge- fährdern Mut machen, sich bei einer Gewaltpräv­entionsber­atung anzu- melden – und zwar recht- zeitig: „Man muss an sich arbeiten.“Er selbst ver- sucht es. Inzwischen hat der junge Mann wieder einen Job und sogar eine neue Beziehung gefunden. Gewalt will er einer Frau nie wieder zufügen. Wenn er jetzt merkt, dass die Wut in ihm aufkeimt, verlässt er ein Gespräch und setzt sich auf die nächste Parkbank. Seine Beruhigung­smittel – Musik, eine Packung Marlboro und eine Dose Red Bull – immer griffberei­t.

*Name von der

Redaktion geändert

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KLZ/PAJMAN (2) „Meine Eltern waren sehr enttäuscht“, sagt Marco im Gespräch mit der Kleinen Zeitung
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Anneliese Pieber von Neustart
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