„Graz hat kein Bikesharing, das ist schade“
Weiz hat eines, Klagenfurt auch: Nina Hampl, Professorin für aktive Mobilität, wünscht sich auf für Graz Leihräder.
Frau Professor Hampl, ganz grundsätzlich gefragt: Wofür braucht es einen Lehrstuhl für aktive Mobilität?
NINA HAMPL: Wir wollen in Österreich ja 2040 Klimaneutralität erreichen, auf EU-Ebene 2050. Um das zu schaffen, müssen wir neben der Stromwende, auf der bisher der Fokus lag, auch die Bereiche Mobilität und Wärme angehen. Wir müssen uns fragen: Sollen wir beim motorisierten Individualverkehr auf Elektromotoren umstellen und sonst alles lassen, wie es ist? Nein, das ist nicht die Lösung und das ist auch vielen bewusst. Es braucht eine grundsätzliche Transformation des Mobilitätssystems.
Mobilität ist etwas sehr persönliches. Da werden Debatten schnell als „Bevormundung“empfunden. Wie kann man das vermeiden?
Man muss beachten, dass es unterschiedliche Gruppen gibt. Die, die man nie gewinnen wird können; die, die bereits einen aktiven Lebensstil führen; und die Mitte, die offen ist für das Thema. Da ist die Frage: Wie passt das in ihre jeweilige Lebensrealität hinein? Ich kann nicht pauschal sagen, man darf gar kein Auto mehr fahren. Das Ziel muss sein, den Anteil der individuellen aktiven Mobilität zu erhöhen – und das spiegelt sich, wenn man dann alles zusammenzählt, im Großen wider.
Was können da Anreize sein? Das Radfahren steht oft im Zentrum, viel Potenzial liegt aber auch im Fußverkehr. Das lässt sich gut mit öffentlichem Verkehr kombinieren. Das Schöne an aktiver Mobilität ist ja, dass man nicht den inneren Schweinehund überwinden muss fürs Joggen oder das Fitnessstudio. Die Bewegung ist im Alltag integriert. Als Anreiz kann ich sagen, ich steige zwei Stationen vor meinem Ziel aus und gehe das letzte Stück. Wir beschäftigen uns auch mit digitalen Lösungen. Ich denke an Routenplaner, die anzeigen, wie sich meine Routenwahl auf das WHO-Ziel der 10.000 Schritte pro Tag auswirkt.
In Graz und Umgebung läuft die Radoffensive. Grob gesagt werden Autoparkplätze durch blaue Radstreifen ersetzt. Reicht das? Das ist ein Baustein, ja. Der Infrastrukturausbau für das Fahrrad hat natürlich Auswirkungen auf Pkw-Parkplätze. Das ist ein sehr emotionales Thema, aber der Platz in der Stadt ist endlich und es braucht diese
Kontroversen und mutige Entscheidungsträger. Wie überall gibt es Gewinner und Verlierer.
War bisher immer das Auto der Gewinner?
Ja, und jetzt dreht sich das langsam. Die Autodominanz ist auf das alte Ziel, den Motorisierungsgrad zu steigern, zurückzuführen. Das bricht langsam auf, es kommt aber auf den Kontext an: Reden wir vom städtischen Gebiet oder vom Land, wo der öffentliche Verkehr oft wirklich schlecht ausgebaut ist. Da bist du teils auf das Auto angewiesen. In der Stadt hingegen
braucht man gar kein Auto, wenn man ehrlich ist.
Höhere Parkgebühren für schwere SUV – ein tauglicher Anreiz, um Verhalten zu ändern?
Ich kann das nur allgemein beantworten. Es braucht beides, „carrots“und „sticks“. Die vielleicht bessere und radikalere Lösung wäre, einzelne Straßenabschnitte autofrei zu machen oder zumindest verkehrsberuhigt, anstatt sich eine Fahrzeugklasse herauszupicken. Da gibt es ja schöne Beispiele, die Mariahilfer Straße in Wien, in Graz die Zinzendorfgasse.
Lastenräder boomen, für manche sind sie aber ein rotes Tuch. Hm, ich kenne die Argumente gegen Lastenräder gar nicht. Es geht um die Frage nach dem Mobilitätsbedarf und mit welchem Verkehrsmittel ich den am besten bewältigen kann. Da ist das Lastenrad ein Baustein, etwa wenn es um Einkäufe geht. Und ja, es braucht mehr Platz, aber nicht so viel wie ein Auto.
Pendler sind meist mit dem Auto unterwegs. Wie kann man hier aktive Mobilität steigern?
Mit dem E-Bike bei Strecken bis 15 oder 20 Kilometer. Eine andere Möglichkeit ist, multimodale Wegeketten zu forcieren. Mit dem Auto zum Park and Ride an den Stadtrand und dort weiter mit dem Rad. Da finde ich es schade, dass es in Graz kein Bikesharing-System gibt. Wer nicht in Graz wohnt, hat damit kaum ein Radangebot. In anderen Städten wie Weiz oder in Klagenfurt ist Bikesharing gang und gäbe. Das hat ein großes Potenzial.