„Ich bin fertig und danke“
Olympiasieger und Fünffach-Weltmeister Benjamin Karl hat sich (nach einer Absage) vorzeitig zum Gesamtweltcupsieger gekürt.
Es gibt nur wenige Sportler, die sich tatsächlich mit Aussagen aus dem Fenster lehnen, wie Sie beispielsweise vor Ihrem Olympiasieg. Heuer haben Sie quasi die große Kristallkugel angekündigt und jetzt sind Sie nach zwölf Jahren wieder Gesamtweltcupsieger. BENJAMIN KARL: Es entspannt sich alles so, als würde ein irrsinniger Krampf nachlassen. So fühlt es sich an.
Wie haben Sie die Entscheidung erfahren?
Ich wollte nach einem stressigen Tag nur auf die Couch, mir eine Serie ansehen und dann kam diese offizielle Meldung.
Was war Ihr erster Gedanke? Sie waren dieser großen Kugel ja schon sehr nahe.
Es war fast nicht mehr möglich, mich einzuholen, aber unmöglich ist nichts. Das, was ich für mich für möglich halte, traue ich aber auch anderen zu, zu schaffen. Aber ich muss gestehen, dass die Emotionen derzeit völlig fehlen. Es ist noch komisch. Du weißt erst, dass dir diese Kugel gehört, wenn du aus dem Pokal Bier trinkst. Richtig realisieren werde ich es am Sonntag in einer Woche, wenn ich die Kugel, mit der ich so viel verbinde, überreicht bekomme.
Stimmt es, dass auf Ihrem Visionboard draufsteht: „Ich werde Gesamtweltcupsieger“?
Ja, stimmt. Dieses Ziel habe ich mir gleich nach dem Olympiasieg gesetzt. Letztes Jahr habe ich probiert, ob es möglich ist, aber da waren wir von der Entwicklung her noch zu weit weg. Aber heuer war es so weit.
Wie wesentlich ist in solchen Karrierephasen auch die persönliche Einstellung?
Die ist sowieso Grundvoraussetzung! Du musst dir Ziele setzen, definieren und diese vehement verfolgen, sonst kommst du nicht voran und brauchst gar nicht erst aufzustehen.
Aber ich gehe davon aus, dass Sie mit Ihren Plänen noch nicht am Ende sind?
Natürlich nicht. Ich bin ja wie eine Firma. Wenn die einen neuen Rekordumsatz erzielt, sperrt sie auch nicht zu, sondern will weitere Steigerungen erwirken. So geht es mir auch.
Was steht 2024/25 auf dem Visionboard?
Da steht der Slalom im Fokus. Mir fehlt die Slalomkristallkugel, ein Slalomsieg wäre nett und ich will mich so entwickeln, dass ich im Slalom gleich stark bin, wie im Riesentorlauf.
Und der sechste WM-Titel?
Ja, das ist sowieso klar (lacht).
Sie hatten 2024 ein Mammutprogramm. Spüren Sie momentan die Folgen?
Mir kommt die Saison aus irgendeinem Grund ziemlich lange vor. Es war zuletzt sehr kräftezehrend. Ich habe unheimlich viel mentale Energie in den Gesamtsieg und in einzelne Rennen gesteckt. Das spüre ich. Wenn es nach mir ginge, müsste ich nichts mehr fahren. Ich bin fertig und Danke. Und da ich die Kugel eben noch nicht in der Hand hatte, ist auch noch nichts abgefallen.
Ihre Stärken sind ja offensichtlich, doch verraten Sie uns einmal Ihre Schwachstelle?
Für mich ist es immer diese Angst vor der Zukunft. Dieser Gedanke motiviert mich so sehr, alles bestmöglich zu machen, damit es meiner Familie und mir auch in Zukunft gut geht. Das ist mein Motivator und unvermeidlich.
Was haben Sie, was andere vielleicht nicht haben?
Ich glaube, dass es wenige gibt, die so erbarmungslos an einer Sache arbeiten, mit so einem laserscharfen Fokus wie ich ihn habe. Bei mir gibt es keine Ausreden und kein Sudern.
Sie polarisieren als Typ, was Sie keineswegs stört. Aber macht man sich Gedanken über Skeptiker?
Das ist mir wirklich komplett egal. Ich habe zuletzt einen genialen Satz gelesen: Je mehr fake du bist, desto mehr Freunde hast du. Je ehrlicher du bist, desto weniger hast du. Das trifft vielleicht echt zu.
Wie hat eigentlich Ihre Frau Nina reagiert?
Mein Schatzi hat sich riesig gefreut und gemeint, dass ich der absolut geilste Typ für sie bin. Ich hoffe, sie erinnert sich länger daran.