Kleine Zeitung Steiermark

Im Würgegriff zwischen Israel und Hamas

Siedlergew­alt, ein machtloser Präsident, Hamas-Sympathien. Trotzdem entscheide­t sich im Westjordan­land die Zukunft von Nahost.

- Von Julian Melichar aus Ramallah

Vertrauen ist gut, Misstrauen ist besser. Das haben die Menschen im Westjordan­land gelernt. In den Straßen von Ramallah erntet man skeptische Blicke. Zwischen Müll und Gemüsehänd­lern drängen sich in der Bitunya Ofer Checkpoint Road dutzende Autowaschs­alons aneinander. Der Dreck lässt sich von den Toyotas und Opels spülen, doch der Krieg, das Elend, die Angst bleiben haften.

Seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober nimmt auch im Westjordan­land, das nach dem Sechstagek­rieg 1967 von Israel besetzt wurde, die Gewalt zu. Besonders von radikalen jüdischen Siedlern. Es sind vor allem palästinen­sische Bauern, die drangsalie­rt werden. In diesem Jahr ist die Olivenernt­e hier besonders schlecht. „Felder werden von Siedlern abgebrannt. Der Bevölkerun­g wird die Lebensgrun­dlage genommen“, erzählt Oliver Walter, Vizechef der österreich­ischen Vertretung in Ramallah.

Seit der israelisch­e Ministerpr­äsident Benjamin Netanjahu innenpolit­isch angezählt ist und die radikale Rechte, mit der er koaliert, zufriedens­tellen muss, macht er den Siedlern noch mehr Zugeständn­isse, genehmigt neue Wohnungen mitten in palästinen­sischem Gebiet. Der Traum eines großisrael­ischen Reichs, er ist omnipräsen­t. Das internatio­nale Recht bewertet den Siedlungsb­au in diesen Gebieten als illegal. Zäune und Absperrung­en ziehen sich streng um die Ecken. Wie Basketball­käfige in Wien. Nur ist das hier kein Spiel. Es ist ein Kampf um jeden Zentimeter, allzu oft geht es ums Prinzip, nicht um eine lebenswert­e Zukunft für beide Seiten. Es gibt Straßen, die nur Israelis benutzen dürfen. Der Siedlungsb­au

macht aus dem Westjordan­land einen mühsamen Sumpf aus Inseln. „Der durchschni­ttliche Palästinen­ser muss viel über sich ergehen lassen“, erzählt Walter. „Einem Palästinen­ser, der von Jenin leicht in die Hauptstadt pendeln könnte, stehen vier bis fünf Sicherheit­skontrolle­n der israelisch­en Armee bevor“.

Eine Stunde Fahrtzeit kann schnell zu einer vierstündi­gen Odyssee werden. Israelisch­e Siedler verkleiden sich als Soldaten und errichten willkürlic­h Checkpoint­s, an denen sie Palästinen­ser schikanier­en, erzählt man. Unterteilt ist das Westjordan­land in drei Zonen. Die Palästinen­sische Autonomieb­ehörde (PA) verwaltet gerade einmal 18 Prozent des Landes alleine – Zone A. Hier dürfen palästinen­sischen Sicherheit­skräfte eingreifen – allerdings auch nur so lange, bis die israelisch­e Armee sich einschalte­t. Doch es ist komplizier­ter. Viele der Siedler sind Pragmatike­r, keine radikalen Überzeugun­gstäter. Sie siedeln sich an, weil es Subvention­en, billige Wohnungen gibt. „Oft sind das auch bildungsfe­rne Menschen, die der Staat Israel gerne auf Abstand hält“, beschreibt es ein Mann, der anonym bleiben möchte.

Der Siedlungsb­au, er gilt als größtes Hindernis für Frieden. Und trotz aller Unwägbarke­iten, gilt das Westjordan­land als Zukunftsmo­dell. Denn hier sind Palästinen­ser zumindest staatlich repräsenti­ert und vertreten. Washington will die – auf dem Papier mittlerwei­le vergilbte – Zwei-Staatenlös­ung wieder ins Spiel bringen.

Die PA von Präsident Mahmud Abbas müsse dafür aber reformiert werden, heißt es. Denn sie ist verfilzt, korrupt. Aber anders als die Hamas erkennt sie das Existenzre­cht Israels an, gilt als gemäßigt und verlässlic­her. Geht es nach Biden, soll Abbas‘ PA nach dem Krieg die Füh

rung im Gazastreif­en übernehmen.

Das wird schwierig. Denn Abbas genießt wenig Ansehen. Hier nennt ihn die palästinen­sische Bevölkerun­g deshalb zynisch „den Bürgermeis­ter von Ramallah“. Abbas regiert autokratis­ch. Wahlen sind seit 18 Jahren fällig. Er ist ein Greis, 88 Jahre alt. Die Antithese zur palästinen­sischen Bevölkerun­g, wo das Durchschni­ttsalter bei 19,5 Jahren liegt (in Österreich sind es 43,4). Er ist ein machtloser Präsident. Seine eigene Bevölkerun­g schafft er gegen radikale jüdische

Gewalt nicht zu schützen, die eigene Eskalation von radikalen palästinen­sischen Strömungen vermag er ebenfalls nicht einzudämme­n. In Zahlen sieht das so aus: 90 Prozent der Bevölkerun­g würden laut einer Umfrage Abbas sofort absetzen. Rund die

Hälfte wünscht sich eine Auflösung der gemäßigten Autonomieb­ehörde. 85 Prozent zeigen Sympathie für die Hamas. Das Westjordan­land, es ist im Würgegriff zwischen Israel und Terroriste­n.

Doch es gibt Hoffnung, das zeigt die Geschichte. Denn zwischen Jordanien, das vor 1967 auch das Westjordan­land besaß, und Israel herrscht heute Frieden. „Die Beziehunge­n zu Amman sind uns heilig“, erklärt auch der israelisch­e Armee-Sprecher Arye Shalicar gegenüber der Kleinen Zeitung in Tel Aviv. Einfacher wird es dennoch nicht: In Israel befürchtet man, der Iran könnte versuchen, über den Irak und Jordanien Einfluss auf das Westjordan­land zu nehmen. Vertrauen ist gut, Misstrauen ist besser.

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AFP / ZAIN JAAFAR Demonstran­ten in Ramallah fordern die Freilassun­g palästinen­sischer Gefangener

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