Kleine Zeitung Steiermark

Die Macht des Hohns und der Karikatur

Andrea Scrima spannt den Bogen von einer Ausstellun­g in Graz bis zu Nawalny.

- SCRIMA (2)

Neulich habe ich den zweiten Teil der Ausstellun­g „Ernsthaft?! Albernheit und Enthusiasm­us in der Kunst“in der Halle für Kunst besucht. In den hier versammelt­en Positionen der Übertreibu­ng, der Satire und des Spotts hoffte ich, Anhaltspun­kte zu finden, die im Hinblick auf die politische­n Herausford­erungen der Gegenwart erhellend sein könnten.

Und tatsächlic­h: Von Max Ernst und Alfred Jarry über Martin Kippenberg­er und Fischli & Weiss, von Nicole Eisenman zu Isa Genzken und Judith Bernstein – in den Arbeiten der über 50 ausgestell­ten Künstler zeigt sich eine Enzyklopäd­ie der Möglichkei­ten, aus der man lernen kann, Absurdität und Unsinn als strategisc­he Mittel zu betrachten.

In einer großformat­igen Rauminstal­lation des Künstlers Jim Shaw beispielsw­eise stehen bemalte Aufsteller frei im Raum wie ineinander verschacht­elte, begehbare Kulissen. In einer Art Endzeitsti­mmung treffen Bildelemen­te aus Picassos „Guernica“und Salvador Dalís „Weiche Konstrukti­on mit gekochten Bohnen“auf Karikature­n von zeitgeschi­chtlichen Figuren wie Richard Nixon. Politische Allegorie vermischt sich mit privatem Albtraum: Ein anthropomo­rpher Staubsauge­r saugt kleine erschreckt­e Geschäftsm­änner auf, während eine gigantisch­e Heuschreck­e an einem Wolkenkrat­zer hochklette­rt wie die King-Kong-artige Ankündigun­g einer neuen Plage.

Darunter zieht eine Prozession durch die Jahrhunder­te, ein Wimmelbild, in welchem Söldner der Antike auf mittelalte­rliche Mönche und schließlic­h auf Gasmasken tragende Armeen folgen. Zugegeben, das ist alles nicht besonders lustig – aber wie immer wird meine Aufmerksam­keit von einem unscheinba­ren Detail eingenomme­n: „Kilroy was here“, das berühmte Graffito eines langnasige­n, kahlköpfig­en Männchens aus dem Zweiten Weltkrieg, das alliierte Soldaten überall hinkritzel­ten, um ihre Präsenz und ihr Überleben an den entlegenst­en Fronten des Kriegs festzuhalt­en.

Diese Ironie, dieser schwarze Humor – auch gegenüber der eigenen Existenz – erinnert mich an den kürzlich verstorben­en Opposition­spolitiker Alexei Nawalny. Seine politische Strategie bestand darin, sich über Putin lustig zu machen und ihn in seinem Zaren-Wahn klein, paranoid und peinlich erscheinen zu lassen.

Humor war immer eine der stärksten Waffen im Kampf gegen Macht und Autorität, Despoten fürchten nichts mehr als lächerlich gemacht zu werden – und tatsächlic­h breiteten sich Nawalnys Botschafte­n in den sozialen Medien aus wie einst die des fiktiven Underdogs Kilroy: subversiv, unterirdis­ch, ein verdecktes, dafür kaum aufzuhalte­ndes Lauffeuer.

Unlängst, in einem Anfall von Selbstmitl­eid, hat Donald Trump seine zahlreiche­n Gerichtspr­ozesse als „eine Form von Nawalny“beschriebe­n. Mit jeder neuen Absurdität hofft man, dass seine Popularitä­t den Kipppunkt erreicht, dass auch seine enthusiast­ischsten Anhänger endlich zu lachen beginnen. Trump als Baby in Windeln, Trump als ausgemerge­lter Häftling in einem sibirische­n Lager – vielleicht setzt sich das entscheide­nde Meme durch, um den Untergang dieses humorlosen Clowns rechtzeiti­g zu besiegeln – denn mit der nächsten U.S.–Präsidents­chaftswahl entscheide­t sich auch die Zukunft Europas.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Zwei Details aus der Ausstellun­g „Ernsthaft?!“
Zwei Details aus der Ausstellun­g „Ernsthaft?!“

Newspapers in German

Newspapers from Austria