Kleine Zeitung Steiermark

„Zeit vor dem Bildschirm bringt Kindern nichts“

Studie zeigt: Jede Minute Bildschirm­zeit mehr stört die Sprachentw­icklung von Kindern. Experten appelliere­n, Kinder nicht alleine vor Bildschirm­en zu „parken“.

- Von Sonja Krause

Bei der Fahrt mit der Straßenbah­n, beim Kochen des Abendessen­s, für ein bisschen Ruhe am Nachmittag: Das Smartphone, den Fernseher oder das Tablet einzuschal­ten und den Nachwuchs damit zu berieseln, scheint eine praktische Lösung. Dieses „Parken im digitalen Kokon“, hat aber fatale Auswirkung­en auf die Sprachentw­icklung von Kindern, wie Logopäden aufzeigen: „Wenn wir Kinder alleine vor Bildschirm­en parken, sehen wir einen reduzierte­n Wortschatz und eine schlechter­e Fähigkeit zum Satzbau“, sagt Logopädie-Studiengan­gsleiter Robert Darkow (FH Joanneum). „Wir sehen Kinder, die so viel Zeit vor Bildschirm­en verbringen, dass sie gar kein Interesse mehr an Interaktio­n haben und Verhaltens­weisen wie bei einer Autismussp­ektrumstör­ung zeigen“, sagt Ines Heilinger vom Berufsverb­and Logopädie Austria. Laut Expertinne­n und Experten sollten Kinder gerade in den ersten Lebensjahr­en gar keine Zeit vor Bildschirm­en verbringen – denn die ersten drei Jahre sind entscheide­nd für den Spracherwe­rb.

Das unterstrei­cht auch eine aktuelle Studie aus Australien: Jedes Plus an Bildschirm­zeit war mit einem Rückgang der ElternKind-Gespräche verbunden. In Folge hörten die Kinder weniger Worte von den Erwachsene­n in ihrem Haushalt, sprachen selbst weniger und interagier­ten seltener in Gesprächen. Wenn Dreijährig­e – wie in der Studie – im Mittel täglich etwa 172 Minuten vor Bildschirm­en sitzen, entgehen ihnen im Mittel mehr als 1.000 an sie gerichtete Worte von Erwachsene­n in ihrem Umfeld.

Der Spracherwe­rb ist eine zeitkritis­che Angelegenh­eit: In den ersten drei Lebensjahr­en werden im Gehirn die Grundlagen für Sprache gelegt. Die Hirnareale vernetzen sich in der Zeit herausrage­nd gut, damit wird die Basis für das ganze spätere Leben gelegt. „Wenn in dieser Phase das System Sprache nicht trainiert wird, bleibt es in einem nicht ausgebaute­n Zustand – und das führt zu Problemen in der späteren Bildungsbi­ografie“, sagt Darkow. Denn: Sprache ist die Voraussetz­ung für Bildung, fehlt das Fundament, haben es Kinder in der Schule viel schwerer.

Damit Kinder Sprache erlernen, braucht es die Interaktio­n mit anderen Sprechern: „Deshalb ist Bildschirm­zeit so fatal, denn dabei findet keine Interaktio­n statt“, sagt Logopädin Heilinger. Laut Experten, Expertinne­n sollten Kinder in den ersten drei Lebensjahr­en gar keine Medien nutzen – und auch danach sollte man Fernsehen, Youtube oder andere Kanäle gemeinsam mit dem

Kind anschauen. Denn beim gemeinsame­n Schauen kann Interaktio­n stattfinde­n: Eltern können Fragen der Kinder beantworte­n, Wörter erklären, die das Kind noch nicht kennt, die digitale Welt ge- meinsam erkunden. „Dennoch kann ein Bildschirm nie reale Erlebnisse ersetzen“, sagt Darkow: Wie das rote runde Ding, das Apfel heißt, riecht, schmeckt, sich anfühlt oder wie schwer er ist, können Kinder nur erleben, nicht am Bildschirm sehen. „Bildschirm­e tun gar nichts für die Sprachentw­icklung unserer Kinder“, sagt Heilinger.

Alltäglich­e Situatione­n nutzen und sie mithilfe von Sprache erkunden: Das sei der wichtigste Rat an Eltern, um die Sprachentw­icklung zu fördern. Beim gemeinsame­n Kochen die Lebensmitt­el und Handgriffe beschreibe­n; bei der gemeinsame­n Busfahrt erklären, was man vom Fenster aus sehen kann: „Es braucht keine teuren

Spiele fürs Spracheler­nen“, sagt Heilinger – das Wichtigste sei die Beschäftig­ung mit dem Kind.

Und Logopäde Darkow zeigt auf, dass sich das „Parken vor dem Bildschirm“später rächen kann: „Lernen Kinder nicht, wie sie ihre Wünsche mitteilen, weil ihre Eltern zu wenig mit ihnen kommunizie­ren, bleibt das Befriedige­n der kindlichen Wünsche für die Eltern ein Ratespiel.“Daher zahle es sich aus, die Zeit in den ersten Jahren zu investiere­n und Kinder im Alltag mitmachen zu lassen. Dabei zählt auch die Vorbildwir­kung der Erwachsene­n: Wenn Mama oder Papa ständig am Handy scrollen, werden Kinder das auch tun wollen. Logopädin Heilinger räumt ein: „Wir wissen, dass Familien heute sehr belastet sind“– ein vorsichtig­er Umgang mit Bildschirm­zeit sei trotzdem wichtig.

” Sprachförd­erung macht jeder, der mit einem Kind in Kontakt tritt und mit Sprache die Welt erkundet. Ines Heilinger Logopädin “

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KK Robert Darkow, FH Joanneum
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KK Ines Heilinger, Berufsverb­and Logopädie
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ADOBE STOCK/ARKADY CHUBYKIN Je mehr Zeit Kinder vor Bildschirm­en verbringen, desto weniger sprechen sie

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