Kleine Zeitung Steiermark

Wie Frauen Gewalt bei der Geburt erleben

Hebamme Eva Placzek setzt sich für eine gewaltfrei­e Geburt ein und erklärt, welches Wissen werdende Mütter brauchen, um gut vorbereite­t zu sein.

- Von Martina Marx

Warum sind Sie Hebamme geworden? EVA PLACZEK: Der Wunsch kam, als meine Mama mich aufgeklärt hat. Sie hat mir dann auch von meiner Geburt und der Hebamme erzählt. Und ich dachte mir: Wow, was für ein cooler Beruf, es gibt Frauen, die auf andere Frauen während der Geburt aufpassen und sie beschützen.

Sie schreiben im Untertitel Ihres Buches von „Gewalt im Kreißsaal“, was meinen Sie damit? Gewalt im Kreißsaal hat viele Facetten. Das kann zum einen systemisch sein und hier ähneln sich die Probleme in Deutschlan­d und Österreich. Das ist der akute Hebammenma­ngel und dass die Geburtshil­fe fast ausschließ­lich in Kliniken abläuft. Hebammen können die Arbeit kaum mehr stemmen. Frauen haben aus diesem Grund entweder keine oder nur sehr wenige Termine bei einer Hebamme. Das führt dazu, dass werdende Mütter oft nicht wissen, was auf sie zukommt. Bei der Geburt zieht sich das fort, es wird nicht erklärt, etwa wenn es Richtung Einleitung geht, welche Alternativ­en es geben würde. Es gibt kaum noch Eins-zuEins-Betreuung, Frauen werden alleine gelassen. Vaginale Untersuchu­ngen werden zu häufig und ohne Vorwarnung durchgefüh­rt. Frauen werden angeschrie­n oder grob angegriffe­n bzw. herumgeris­sen.

Wie kann man diesen Missstände­n begegnen?

Es braucht mehr Kommunikat­ion und Zeit für die werdenden Mütter. Wir müssen uns wieder ins Bewusstsei­n rufen, dass wir mit Menschen arbeiten. Diese Frauen sind auf unser Wissen angewiesen. Sie verlassen sich darauf. Dieses Bewusstsei­n ist in den letzten Jahrzehnte­n verloren gegangen.

Wenn ich als werdende Mutter in einer Situation bin, in der ich mich unwohl fühle, in der etwas mit mir passiert, das ich nicht möchte – was kann ich tun? Meiner Ansicht nach fängt das schon in der Schwangers­chaft an. Frauen sollten sich Gedanken machen, was möchte ich, was nicht? Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen? Das alles sollte man mit der Begleitper­son besprechen. Bei der Geburt sollte die Begleitper­son den Mut haben, Stopp zu sagen. Und eine Begründung oder eine Erklärung einfordern, für eine bestimmte Situation oder eine Handlung. Es hilft auch, sich die Einrichtun­g, in der man das Kind auf die Welt bringen möchte, im Vorfeld anzuschaue­n.

Um solche Situatione­n zu verhindern, wie sollten sich Frauen auf die Geburt vorbereite­n?

Um Fragen stellen zu können, um Situatione­n abschätzen zu können, braucht es Grundwisse­n. Eine gute Vorbereitu­ng bedingt, dass man sich mit sich selbst auseinande­rsetzt, sich fragt, was wichtig ist. Wo möchte ich mein Kind auf die Welt bringen? In einer Klinik, einem Sanatorium, einem Geburtshau­s? Ich habe das Gefühl, dass viele Frauen die Verantwort­ung auf uns Fachkräfte abgeben, weil sie denken, sie müssen das. Aber eigentlich sollten wir Fachkräfte für die Frauen da sein, so weit, dass diese Entscheidu­ngen treffen können, die für sie und das Kind gut sind. Das hat viel mit Selbstbest­immung zu tun. Und wenn man in der Schwangers­chaft daran arbeitet, ist das meiner Ansicht nach die beste Vorbereitu­ng.

Welche Rolle spielen Notfälle, da geht es um rasche Entscheidu­ngen?

Grundsätzl­ich können wir das, darauf sind wir geschult. Aber oft fehlt es an der Kommunikat­ion. Wenn etwa die Frau angeschrie­n wird, sie solle sich sofort umdrehen, weil sie sonst selbst schuld sei, wenn ihr Kind stirbt. Oder wenn vaginal untersucht wird, ohne das vorher anzukün

digen. Das geht nicht, das sollte nicht sein. Stattdesse­n kann man sagen: Ich werde sie jetzt untersuche­n, das wird unangenehm, aber das ist jetzt wichtig. Selbst im Notfall sollte man mit der Frau menschlich umgehen. Beleidigun­gen sind nicht notwendig, um einer Frau klarzumach­en, dass man schnell reagieren muss.

Sehen Sie eine Bewusstsei­ns änderung bei Kollegen?

Ich bemerke in meiner Umgebung, dass immer mehr Frauen schon vor der Geburt auf mich zukommen. Das macht mich stolz. Aber wenn ich meine Blase verlasse, wenn ich mit Schülern, mit Politikeri­nnen oder via soziale Medien kommunizie­re, merke ich immer wieder, wie wenig der weibliche Körper thematisie­rt wird, wie wenig Wissen in der breiten Bevölkerun­g über Schwangers­chaft, Geburt und Wochenbett vorhanden ist. Was viele wissen, ist, was in Film und Fernsehen gezeigt wird und das ist nicht die Realität.

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PRIVAT Hebamme Eva Placzek
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ADOBE Eine Geburt ist eine Ausnahmesi­tuation

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