Wie Frauen Gewalt bei der Geburt erleben
Hebamme Eva Placzek setzt sich für eine gewaltfreie Geburt ein und erklärt, welches Wissen werdende Mütter brauchen, um gut vorbereitet zu sein.
Warum sind Sie Hebamme geworden? EVA PLACZEK: Der Wunsch kam, als meine Mama mich aufgeklärt hat. Sie hat mir dann auch von meiner Geburt und der Hebamme erzählt. Und ich dachte mir: Wow, was für ein cooler Beruf, es gibt Frauen, die auf andere Frauen während der Geburt aufpassen und sie beschützen.
Sie schreiben im Untertitel Ihres Buches von „Gewalt im Kreißsaal“, was meinen Sie damit? Gewalt im Kreißsaal hat viele Facetten. Das kann zum einen systemisch sein und hier ähneln sich die Probleme in Deutschland und Österreich. Das ist der akute Hebammenmangel und dass die Geburtshilfe fast ausschließlich in Kliniken abläuft. Hebammen können die Arbeit kaum mehr stemmen. Frauen haben aus diesem Grund entweder keine oder nur sehr wenige Termine bei einer Hebamme. Das führt dazu, dass werdende Mütter oft nicht wissen, was auf sie zukommt. Bei der Geburt zieht sich das fort, es wird nicht erklärt, etwa wenn es Richtung Einleitung geht, welche Alternativen es geben würde. Es gibt kaum noch Eins-zuEins-Betreuung, Frauen werden alleine gelassen. Vaginale Untersuchungen werden zu häufig und ohne Vorwarnung durchgeführt. Frauen werden angeschrien oder grob angegriffen bzw. herumgerissen.
Wie kann man diesen Missständen begegnen?
Es braucht mehr Kommunikation und Zeit für die werdenden Mütter. Wir müssen uns wieder ins Bewusstsein rufen, dass wir mit Menschen arbeiten. Diese Frauen sind auf unser Wissen angewiesen. Sie verlassen sich darauf. Dieses Bewusstsein ist in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen.
Wenn ich als werdende Mutter in einer Situation bin, in der ich mich unwohl fühle, in der etwas mit mir passiert, das ich nicht möchte – was kann ich tun? Meiner Ansicht nach fängt das schon in der Schwangerschaft an. Frauen sollten sich Gedanken machen, was möchte ich, was nicht? Was brauche ich, um mich sicher zu fühlen? Das alles sollte man mit der Begleitperson besprechen. Bei der Geburt sollte die Begleitperson den Mut haben, Stopp zu sagen. Und eine Begründung oder eine Erklärung einfordern, für eine bestimmte Situation oder eine Handlung. Es hilft auch, sich die Einrichtung, in der man das Kind auf die Welt bringen möchte, im Vorfeld anzuschauen.
Um solche Situationen zu verhindern, wie sollten sich Frauen auf die Geburt vorbereiten?
Um Fragen stellen zu können, um Situationen abschätzen zu können, braucht es Grundwissen. Eine gute Vorbereitung bedingt, dass man sich mit sich selbst auseinandersetzt, sich fragt, was wichtig ist. Wo möchte ich mein Kind auf die Welt bringen? In einer Klinik, einem Sanatorium, einem Geburtshaus? Ich habe das Gefühl, dass viele Frauen die Verantwortung auf uns Fachkräfte abgeben, weil sie denken, sie müssen das. Aber eigentlich sollten wir Fachkräfte für die Frauen da sein, so weit, dass diese Entscheidungen treffen können, die für sie und das Kind gut sind. Das hat viel mit Selbstbestimmung zu tun. Und wenn man in der Schwangerschaft daran arbeitet, ist das meiner Ansicht nach die beste Vorbereitung.
Welche Rolle spielen Notfälle, da geht es um rasche Entscheidungen?
Grundsätzlich können wir das, darauf sind wir geschult. Aber oft fehlt es an der Kommunikation. Wenn etwa die Frau angeschrien wird, sie solle sich sofort umdrehen, weil sie sonst selbst schuld sei, wenn ihr Kind stirbt. Oder wenn vaginal untersucht wird, ohne das vorher anzukün
digen. Das geht nicht, das sollte nicht sein. Stattdessen kann man sagen: Ich werde sie jetzt untersuchen, das wird unangenehm, aber das ist jetzt wichtig. Selbst im Notfall sollte man mit der Frau menschlich umgehen. Beleidigungen sind nicht notwendig, um einer Frau klarzumachen, dass man schnell reagieren muss.
Sehen Sie eine Bewusstseins änderung bei Kollegen?
Ich bemerke in meiner Umgebung, dass immer mehr Frauen schon vor der Geburt auf mich zukommen. Das macht mich stolz. Aber wenn ich meine Blase verlasse, wenn ich mit Schülern, mit Politikerinnen oder via soziale Medien kommuniziere, merke ich immer wieder, wie wenig der weibliche Körper thematisiert wird, wie wenig Wissen in der breiten Bevölkerung über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett vorhanden ist. Was viele wissen, ist, was in Film und Fernsehen gezeigt wird und das ist nicht die Realität.