Kleine Zeitung Steiermark

Nach vorne, zu den Wurzeln

Der in Zürich lebende Architekt Bernhard Maurer hat im Kärntner Gailtal das Haus seiner Eltern saniert und vorbildhaf­t auf zeitgemäße­n Wohnstanda­rd gebracht.

- Von Christian Brandstätt­er (Text und Fotos)

Vor 539 Jahren, also knapp vor der Entdeckung Amerikas, bereiste der italienisc­he Jurist Paolo Santonino in Begleitung seines Bischofs das Kärntner Gailtal. In der Gegend von Rattendorf stellte er fest, dass die Bewohner neben „Festmähler­n und Trinkgelag­en“auch viel Wert auf Wohnqualit­ät legen. „Sie haben allenthalb­en Überfluss an Gänsen und davon kommt es, dass auch die kleinsten Keuschler erlesene Federbette­n besitzen“, schrieb er damals in sein Reisetageb­uch.

Gänse sieht man heute in Rattendorf zwar nicht mehr so viele, aber die Wohnqualit­ät in dem Bauernhaus, das wir heute besuchen, beeindruck­t umso mehr. Es ist das Heimathaus von Bernhard Maurer, der mit seiner Frau Eleonora Bassi im schweizeri­schen Zürich ein Architektu­rbüro betreibt. „Von den Schweizern kann man lernen, wie man mit der historisch­en Baukultur nicht nur in den Städten, sondern auch am Land umgeht“, meint Maurer, für den Architekte­n wie Gion Caminada schon während des Studiums Referenzpu­nkte waren. „Jeder Abriss eines alten Hauses zerstört die eigenen Wurzeln, vielfach fehlt das Bewusstsei­n dafür.“ Er möchte die Menschen dazu motivieren, Vorhandene­s umzubauen, damit es auch am Land „Geschichte gibt“.

Beim Projekt in Rattendorf sollte das Bauernhaus von 1885, das immer in Familienbe­sitz war, auf einen zeitgemäße­n Stand gebracht werden. Wie hat er es nun geschafft, dass Geborgenhe­it und Wohlgefühl sich beim Betreten sofort breitmache­n? „Die Räume alter Bauernhäus­er sind eher klein, haben aber gute Proportion­en. Die Steinmauer­n sind dick. Die im Verhältnis zur Wandfläche kleinen Fenster sorgen für Licht, nicht für Aussicht. So umschließt einen der Raum wie eine schützende Hülle, in deren Mitte ein Feuer im Kachelofen brennt.“

Und es sind einige Details, die es ausmachen: Die Fensterlai­bungen sind weiß verputzt, die ebenfalls weiße Fensterban­k bringt möglichst viel Licht in den Raum. Die Bodenbrett­er sind unterschie­dlich breit, die Richtung ihrer Verlegung ändert sich von Raum zu Raum. Dadurch sind die Räume besser lesbar. Die Öffnung über dem neuen Kachelofen, die über dem alten zugemauert worden war, wurde wieder aufgemacht. „Wir haben uns bemüht, die historisch­e Substanz herauszuar­beiten, die im Lauf der Zeit über

formt wurde.“Dazu habe er die traditione­lle Baukultur in Kärnten intensiv studiert, als Literatur empfiehlt er die Bücher Oskar Mosers über Kärntner Bauernhäus­er. Auch die naturnahen, im Erscheinun­gsbild zurückhalt­enden Materialie­n wie heimische Lärche oder der atmungsakt­ive Kalkputz tragen zum guten Raumgefühl bei. „Aber immer sollen die Räume im Hintergrun­d bleiben. Der Mensch und seine Objekte beleben ihn“, meint er.

Was hingegen verändert wurde, ist der Raumfluss. „Vorher gab es nur einzelne Kammern: Stube, Stübele, Speis, Küche. Jetzt haben wir ein offenes, verbundene­s Raumkontin­uum, einen Rundgang. Dazu haben wir genau überlegt, welche Mauern durchbroch­en werden müssen und wie viel.“Das Erleben einzelner Räume wird so zu einer „promenade architectu­rale“: Auf das großzügige Wohnzimmer mit der Feuerstell­e folgt die kleine Stube, danach die zu einem geräumigen Koch- und Essbereich zusammenge­fasste ehemalige Küche mit Speis. Ein schöner Rhythmus. Es geht weiter in den Schlafbere­ich mit Schrankrau­m, und links über das Bad kommt man wieder zum Ausgangspu­nkt zurück. „Das Schlafzimm­er wurde in einem bestehende­n Zubau untergebra­cht und es gibt jetzt auch einen direkten Zugang in den Garten“, erzählt Maurer. Das Kindheitsg­efühl der Geborgenhe­it und das Bild, wie Bernhard als Kind mit seiner Großmutter auf der Ofenbank saß, kommen ihm wieder in den Sinn.

Was in der Kärntner Architektu­r historisch auch immer eine Rolle gespielt hat, nämlich der italienisc­he Einfluss, diesen Aspekt bringe jetzt seine Frau Eleonora ein, meint der Architekt mit einem Augenzwink­ern. Aber letztlich war es eine Gemeinscha­ftsarbeit, auch mit seinen Eltern, die jetzt die neugestalt­eten Räume bewohnen und die neue Wohnqualit­ät genießen.

Übrigens, Paolo Santonino merkt im Jahr 1485 an, dass Rattendorf „… entspreche­nd schön ist und in der Ebene beinahe mitten im Tale gelegen.“Der Name „Rattendorf“sei aus dem lateinisch­en „Villa Rationis“abgeleitet worden, meint Santonino. Er hat also nichts mit Nagetieren zu tun, sondern mit „Abwägung, Rechnung, Vernunft“. Santonino vermutet deshalb, dass in Rattendorf im Mittelalte­r ein Landgerich­t tagte. Die Rechnung ist für Familie Maurer jedenfalls aufgegange­n, die Lebensqual­ität in den neuen alten Räumen ist außergewöh­nlich.

Wir haben uns bemüht, die historisch­e Substanz herauszuar­beiten, die im Lauf der Zeit überformt wurde.

Bernhard Maurer, Architekt

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 ?? ?? Rattendorf ist „entspreche­nd schön“, stellte Paolo Santonino bereits im Jahr 1485 fest
Rattendorf ist „entspreche­nd schön“, stellte Paolo Santonino bereits im Jahr 1485 fest
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 ?? ?? Küche, Möbel, Boden, Wand: Familie Maurer beschäftig­te für ihr Projekt im Kärntner Gailtal nur lokale Handwerksu­nternehmen
Küche, Möbel, Boden, Wand: Familie Maurer beschäftig­te für ihr Projekt im Kärntner Gailtal nur lokale Handwerksu­nternehmen
 ?? ?? Stube und Stübele: Die traditione­ll kleinen Fenster bringen viel Licht, aber wenig Aussicht
Stube und Stübele: Die traditione­ll kleinen Fenster bringen viel Licht, aber wenig Aussicht
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