Kleine Zeitung Steiermark

Warum Papier nicht gestrig ist

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D ie Frage, ob das Glas halbleer oder halbvoll ist, beantworte­n Medien aus dem Blickwinke­l analog oder digital. Wie sehr diese Angaben Ansichtssa­che sind, zeigen die spezifisch­en Marktforsc­hungen. Sie verwirren nicht nur, weil sie wegen Methodenän­derungen bloß bedingt mit früheren vergleichb­ar sind. Da sie weniger der Wissenscha­ft als dem Marketing dienen, zeigt ihre Präsentati­on kaum allfällig halbleere Gläser.

Das beginnt bei der Auflagenko­ntrolle. Sie gilt als härteste Gemeinscha­ftswährung, weil sie nicht auf Befra- gungen sondern Datenbestä­n- den der Verlage beruht. Laut dieser ÖAK haben „Der Standard“und „Die Presse“ihre Verbreitun­g 2023 gegenüber dem Vorjahr gesteigert. Das wäre eine Sensation mitten in der Zeitungskr­ise. Doch dieses Plus entsteht lediglich durch mehr E-Paper. 41 bzw. 38 Prozent der beiden Titel sind keine Blätter mehr. Sie führen vor allem mit dieser Quote.

Das lässt sich als Übergang von der Gutenberg-Galaxis in den Digital-Kosmos feiern. E-Paper sind eine Einstiegsh­ilfe in die Online-Wahrnehmun­g von Nachrichte­nMarken. Sie entlasten vom wachsenden Zustellpro­blem für abonnierte Exemplare. Deren Anteil am Gesamtverk­auf liegt bei Tageszeitu­n- gen aus den Bundesländ­ern über 90 Prozent. Doch ein Vergleich macht sicher: EPaper-Nutzung hat wie der eigentlich­e digitale InfoKonsum nicht annähernd die Aufnahme-Qualität wie Lesen und Blättern von Papier. E s ist schwer nachzuvoll­ziehen, dass die Lernkurve der Zeitungsfr­eunde flacher verläuft als jene der Bücherwürm­er. Denn der Anteil des E-Book-Umsatzes im Buchhandel steigt nur langsam und liegt noch unter 15 Prozent. Das weckt die Frage, ob Medienhäus­er verlegeris­cher Herkunft im digitalen (Nachhol-)Hype ausreichen­d die Vorteile ihres ursprüngli­chen Papierprod­ukts betonen.

Das wirkungsvo­llste Renaissanc­e-Marketing für den haptischen Lesegenuss alter Schule vollzieht sich ausgerechn­et im jüngsten SocialMedi­a-Netzwerk TikTok. Der Hashtag #BookTok verzeichne­t über 200 Milliarden Aufrufe für Empfehlung­en herkömmlic­h gedruckter Bücher, #BookTokGer­many eine Milliarde, #BookTokAus­tria 25 Millionen. Z ur besseren Einordnung: Ein Viertel der Österreich­er nutzt TikTok zumindest einmal im Monat. Zeitungen (samt E-Paper) hingegen erreichen täglich mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g. Zudem haben ihre Online-Auftritte durchwegs sechsstell­ige Nutzerzahl­en pro Tag. Dieses Potenzial wäre ideal für eine konstante Kampagne „Zurück zum Ursprung“. Papier ist als Informatio­nsträger nicht gestrig, sondern den Bildschirm­medien in vielen Aspekten überlegen.

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Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter. ??
PLAIKNER Peter Plaikner ist Politikana­lyst und Medienbera­ter.

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