„Wir merken, dass viele Kinder aggressiver sind“
Judith Hintermeier warnt vor den Folgen, wenn schon kleine Kinder vor dem Smartphone „geparkt“werden. Eltern und Politik stehen in der Pflicht.
Sie haben eine Brandschrift verfasst, die auf Fehlentwicklungen bei Kindern hinweist. Mit drastischen Worten: „Die Kinder tragen den Keim des gesellschaftlichen Niedergangs in sich.“Was meinen Sie damit?
JUDITH HINTERMEIER: Ich meine damit, dass wir verantwortlich sind, dass wir uns zu wenig Zeit für die Kinder nehmen. Schnelllebigkeit, Stress und Druck im Arbeitsalltag, unterschiedliche Arbeitsbedingungen bringen uns dazu, dass wir die Kinder vor digitalen Geräten abstellen – weil es einfacher ist oder weil wir manchmal einfach nicht mehr die Kraft oder den Nerv haben, uns mit ihnen zu beschäftigen. Und ich möchte darauf hinweisen, wie wichtig diese gemeinsame Zeit ist, für die Kinder und für die Erwachsenen.
Was bedeutet „wir“? Eltern, Politik, Erwachsene allgemein? Erwachsene Menschen im Allgemeinen.
Wie äußert sich dieses „Abstellen“vor Handy und Co in der täglichen Arbeit im Kindergarten? Wir haben in den letzten Jahren vermehrt Kinder mit erhöhtem Förderbedarf. Kinder sind entwicklungsverzögert oder verhaltensauffällig. Das äußert sich etwa darin, dass viele Kinder mit drei, vier Jahren noch nicht sauber sind oder die Sprachentwicklung viel später einsetzt. Wir sehen auch, dass Kinder mit ihren Gefühlen nicht umgehen können, in Spielsituationen nicht teilen können, sich in das soziale Gefüge nicht einfügen können und dann auf unterschiedlichste Art und Weise nach Aufmerksamkeit suchen. Das kann sein, dass sie laut oder aggressiv werden. Gewisse Dinge sind normal, weil Kinder sich ausprobieren müssen. Aber wir merken, dass viele Kinder allgemein aggressiver sind, dass sie Dinge sagen oder tun, die sie zuvor im Fernsehen oder Internet gesehen haben. Die Gefahr ist, wenn man Kinder alles oder vieles unkontrolliert schauen lässt, dann fehlen die Aufklärungsarbeit und die Einordnung. Und das aufzuholen, ist schwierig.
Wie kann man dieser Entwicklung entgegenwirken? Grundsätzlich sind Kindergärten hier wichtig für Kinder, weil sie früh mit Gleichaltrigen zusammen sind, weil sie lernen, Regeln einzuhalten, weil sie sich ausprobieren können und gefördert werden. Eltern sollten diese Wichtigkeit sehen, gutes Einvernehmen mit den Elementarpädagoginnen ist notwendig, weil man dann gemeinsam schauen kann, was die Kinder brauchen und wie man sie fördern kann. Und das Zweite ist, sich Zeit für die Kinder zu nehmen.
Zeit spielt in Familien häufig eine Rolle, gerade unter der Woche. Was raten Sie Familien?
Ich weiß natürlich, dass es unterschiedliche Familienkonstellationen und Arbeitsbedingungen gibt. Aber es geht nicht um die reine Dauer, es geht auch um die Qualität der Zeit. Das kann schon reichen, wenn man am Abend gemeinsam ein Buch liest. Oder am Wochenende gemeinsam einkaufen geht und dann etwas kocht.
Wobei man nicht allein die Eltern in die Pflicht nehmen kann, vielerorts fehlt es auch an Angeboten für Kinderbetreuung.
Das ist richtig, in Kindergärten können oft nicht jene Dinge umgesetzt werden, die wir gerne