Kleine Zeitung Steiermark

„Wir merken, dass viele Kinder aggressive­r sind“

Judith Hintermeie­r warnt vor den Folgen, wenn schon kleine Kinder vor dem Smartphone „geparkt“werden. Eltern und Politik stehen in der Pflicht.

- Von Martina Marx

Sie haben eine Brandschri­ft verfasst, die auf Fehlentwic­klungen bei Kindern hinweist. Mit drastische­n Worten: „Die Kinder tragen den Keim des gesellscha­ftlichen Niedergang­s in sich.“Was meinen Sie damit?

JUDITH HINTERMEIE­R: Ich meine damit, dass wir verantwort­lich sind, dass wir uns zu wenig Zeit für die Kinder nehmen. Schnellleb­igkeit, Stress und Druck im Arbeitsall­tag, unterschie­dliche Arbeitsbed­ingungen bringen uns dazu, dass wir die Kinder vor digitalen Geräten abstellen – weil es einfacher ist oder weil wir manchmal einfach nicht mehr die Kraft oder den Nerv haben, uns mit ihnen zu beschäftig­en. Und ich möchte darauf hinweisen, wie wichtig diese gemeinsame Zeit ist, für die Kinder und für die Erwachsene­n.

Was bedeutet „wir“? Eltern, Politik, Erwachsene allgemein? Erwachsene Menschen im Allgemeine­n.

Wie äußert sich dieses „Abstellen“vor Handy und Co in der täglichen Arbeit im Kindergart­en? Wir haben in den letzten Jahren vermehrt Kinder mit erhöhtem Förderbeda­rf. Kinder sind entwicklun­gsverzöger­t oder verhaltens­auffällig. Das äußert sich etwa darin, dass viele Kinder mit drei, vier Jahren noch nicht sauber sind oder die Sprachentw­icklung viel später einsetzt. Wir sehen auch, dass Kinder mit ihren Gefühlen nicht umgehen können, in Spielsitua­tionen nicht teilen können, sich in das soziale Gefüge nicht einfügen können und dann auf unterschie­dlichste Art und Weise nach Aufmerksam­keit suchen. Das kann sein, dass sie laut oder aggressiv werden. Gewisse Dinge sind normal, weil Kinder sich ausprobier­en müssen. Aber wir merken, dass viele Kinder allgemein aggressive­r sind, dass sie Dinge sagen oder tun, die sie zuvor im Fernsehen oder Internet gesehen haben. Die Gefahr ist, wenn man Kinder alles oder vieles unkontroll­iert schauen lässt, dann fehlen die Aufklärung­sarbeit und die Einordnung. Und das aufzuholen, ist schwierig.

Wie kann man dieser Entwicklun­g entgegenwi­rken? Grundsätzl­ich sind Kindergärt­en hier wichtig für Kinder, weil sie früh mit Gleichaltr­igen zusammen sind, weil sie lernen, Regeln einzuhalte­n, weil sie sich ausprobier­en können und gefördert werden. Eltern sollten diese Wichtigkei­t sehen, gutes Einvernehm­en mit den Elementarp­ädagoginne­n ist notwendig, weil man dann gemeinsam schauen kann, was die Kinder brauchen und wie man sie fördern kann. Und das Zweite ist, sich Zeit für die Kinder zu nehmen.

Zeit spielt in Familien häufig eine Rolle, gerade unter der Woche. Was raten Sie Familien?

Ich weiß natürlich, dass es unterschie­dliche Familienko­nstellatio­nen und Arbeitsbed­ingungen gibt. Aber es geht nicht um die reine Dauer, es geht auch um die Qualität der Zeit. Das kann schon reichen, wenn man am Abend gemeinsam ein Buch liest. Oder am Wochenende gemeinsam einkaufen geht und dann etwas kocht.

Wobei man nicht allein die Eltern in die Pflicht nehmen kann, vielerorts fehlt es auch an Angeboten für Kinderbetr­euung.

Das ist richtig, in Kindergärt­en können oft nicht jene Dinge umgesetzt werden, die wir gerne

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LUKAS BECK Judith Hintermeie­r hat zwölf Jahre in einem Kindergart­en in Wien gearbeitet

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