Gute Karten auch in der Zukunft
Heiliger Piatnik! Seit 200 Jahren sorgt der Wiener Spielepionier für launige Abende. Just in einer digitalen Zeit entpuppt sich das analoge Spiel als Wachstumsmagnet.
Woran erkennt man, welches Spiel das Potenzial zum Klassiker hat? „Das weiß man vorher nie genau“, sagt Dieter Strehl, Geschäftsführer von Piatnik – und Ururenkel des Pioniers Ferdinand Piatnik. In 200 Jahren – ja, so lange gibt es den Spieleverlag mit Sitz in der Wiener Hütteldorferstraße bereits – hat das Familienunternehmen in unzähligen Haushalten für spaßige Aktivitäten gesorgt. Im wörtlichen Sinn, denn 1990 erfunden, steht „Activity“bis heute nicht nur für einen Partyklassiker, sondern für einen wirtschaftlichen Erfolg. Der Longseller wurde mehr als elf Millionen Mal verkauft, in 13 Sprachen übersetzt und zählt, so Piatnik stolz, global zu den erfolgreichsten Brettspielen aller Zeiten.
Neue Ideen zu finden sei nicht die Schwierigkeit, sondern die richtigen auszusuchen, betont Strehl. Eingeschlagen auf dem Spielemarkt hat ab 1993 auch „Tick Tack Bumm“(Spiel des Jahres in mehreren Ländern) und das vergleichsweise sehr junge Quiz „Smart 10“. Der Evergreen „DKT“– erfunden 1936, seit 2008 erscheint es bei Piatnik – und der Klassiker „Rummikub“ machen die Top-5-Brettspiele Piatniks komplett.
Ferdinand Piatnik, der Namensgeber, hatte nicht nur Glück im Spiel, sondern auch in der Liebe. Nach dem Tod seines Chefs Anton Moser heiratete der Kartenmaler kurzerhand dessen Witwe und benannte den Betrieb in „Ferdinand Piatnik in Wien“um. Höchst erfolgreich entwickelte er Spielkartenmotive wie die Doppeldeutschen, das österreichische Tarockblatt, Joker
und Rummykarten. Die Generationen nach ihm sorgten für Expansion, und der Name fand mit dem Appell „Heiliger Piatnik!“sogar Einzug in den Sprachgebrauch leidenschaftlicher Kartendippler. „Am Anfang war ein Ass“, sagt es Strehl in einem Satz. „Seitdem haben wir gute Karten.“
Nicht nur. Brettspiele kamen 1956 hinzu und die dritte Säule des Unternehmens, Puzzles, 1966. Ab und zu wendete sich das Blatt. „Wir haben etliche Spiele abgelehnt, die später gut liefen“, gibt Strehl zu. Die Gründe für die „Krisen dieser Tage“wiederum sieht der Piatnik-Chef ganz und gar nicht als hausgemacht an. „Der Blick in Europa in die Zukunft ist sorgenvoll, aber ich habe keine Zweifel, dass analoge Unterhaltung für die Menschen relevant bleibt.“
Analog ist ein Stichwort. Wie begegnet ein klassischer Spieleverlag der Online- und Videospielkonkurrenz in den Kinderzimmern? „Gar nicht“, antwortet Strehl selbstbewusst. „Es gibt nur wenig Berührungspunkte. Beide Spielkategorien haben sich in den letzten Jahren sehr dynamisch entwickelt. Vielleicht kann man das mit dem Sport vergleichen: Tennis in Wimbledon und e-Sport-Events nehmen einander auch nichts weg“, sagt Strehl zur Kleinen Zeitung (siehe Interview rechts).
Die gesamte Spielzeugbranche (digital und analog) zählte mit einem zweistelligen Nachfrageschub zu den großen Gewinnern der Pandemiezeit. 2022 und 2023 pendelte sich der Markt zwar wieder auf das Niveau von 2019 ein, einzelne Bereiche aber konnten selbst nach dem Coronahoch weiterwachsen. Piatnik etwa legte gegen den Trend im deutsch
sprachigen Raum auch 2023 um 15 Prozent zu.
Die Stärke analoger Spielewelten zeigt sich dieser Tage freilich nicht nur bei Piatniks Karten oder am DKT-Brett. Ganz oben bei den Spielwarenherstellern thront Lego, 1932 vom dänischen Tischlermeister Ole Kirk Christiansen gegründet. Das namensgebende Motto, „leg godt“– dänisch für „spiel gut“–, ist nach wie vor Programm. Die Nummer eins am globalen Markt schaffte 2023 mit fast neun Milliarden Euro gar einen historischen Umsatzrekord. Dass die Margen stimmen, zeigt auch ein Nettogewinn von 1,8 Milliarden Euro. Selbst Spielwaren, die man bereits auf dem absteigenden Ast wähnte, verspüren Aufwind. Wenngleich es bei Mattels Barbiepuppen zugegebenermaßen einen cineastischen Blockbuster brauchte, um wieder in die Wachstumsspur zu gelangen. Im Weihnachtsgeschäft verkaufte Mattel als Folge des Film-Erfolgs jedenfalls Puppen im Wert von 440 Millionen Euro. Im Jahresabstand ein sattes Plus von 27 Prozent. Da kann man es sich sogar leisten, englische Königinnen per BarbieEinzelanfertigung zu bedenken, die nie in den Handel kommen wird. „Sie haben mich etwa 50 Jahre jünger gemacht“, befand Camilla bei der Überreichung augenzwinkernd. Und traf damit irgendwie die Gefühlslage einer gesamten Industrie.