Der (Un-)Wille des Volkes
Digitale Stimmabgabe und finanzieller Anreiz lassen die Zahl der Volksbegehren seit Jahren steigen, für mehr direkte Demokratie sorgen sie nicht. Das sollte sich ändern.
Volksbegehren ermöglichen es jeder Bürgerin und jedem Bürger, einen Agendapunkt auf die Tagesordnung des Nationalrates zu setzen. Vorausgesetzt freilich, es finden sich 100.000 Unterzeichner, die das genauso sehen. Gleich 14 solcher Volksbegehren lagen in der Vorwoche zur Unterschrift auf, so viele wie nie zuvor in einer Eintragungswoche. Über besag- te Hürde schafften es nur vier, das Parlament muss sich nun mit einer so artikulierten Ableh- nung zu weggeworfenem Essen, Glyphosat, einem Beitritt zur Nato und zu „Atomkraft-Green- washing“beschäftigen.
Seit einigen Jahren erlebt das schwächste, aber niederschwel- ligste Instrument der direkten Demokratie regen Zulauf. Wäh- rend früher ein Volksbegehren pro Jahr anstand, warteten al- lein im Vorjahr 19 auf Unter- zeichner. Die Folge des inflatio- nären Initiierens: weniger Über- sicht und politische wie mediale Aufmerksamkeit für die Anlie- gen. Zudem erringen wenig Be- gehren mehr als 200.000 Befür- worter. Gleichzeitig hat das In- strument dank Digitalisierung an Gewicht eingebüßt. Musste man sich früher für seine Unterschrift noch zum Gemeindeamt aufmachen, reicht heute die elektronische Signatur. Und auch die Motivation mancher Initiatoren dürfte von eher monetärer als gesellschaftspolitischer Natur sein. Wer mit sei- nem Begehren die 100.000-Mar- ke erreicht, dem winkt eine fünffache Kostenrückerstat- tung der Einbringungsgebühr und damit 17.000 Euro. Wohl auch deshalb standen in der Vorwoche hinter 8 der 14 Volks- begehren nur zwei Initiatoren.
Auch ausreichend Unterstüt- zer sind dabei kein Garant für politisches Gehör, die meisten Volksbegehren verschwinden umgehend in parlamentari- schen Schubladen. Die türkis- blaue Regierung dachte damals über einen Ausbau direkter De- mokratie nach und überlegte sich einen Automatismus, wo- nach 900.000 Unterschriften für ein Volksbegehren zur verbind- lichen Volksabstimmung führen sollten. Das Vorhaben wurde auf das reguläre Ende der Legislaturperiode verschoben, das bekanntlich nie kam. Türkis-Grün griff das Vorhaben nicht auf, arbeitet nun aber an einer Reform, wonach nur noch angefallene Kosten für ein Volksbegehren ersetzt werden sollen. Dafür bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Parlament.
Dass mehr Volksbegehren nicht für mehr direkte Demokratie sorgen, dürfte sich so schnell nicht ändern. Das liegt nicht nur an der Politik, der der Wille des eigenen Volkes suspekt ist, sondern auch am Volk selbst. Das Volksbegehren, das 2019 verpflichtende Volksabstimmungen gefordert hatte, gehört zu den erfolglosesten aller Zeiten. Herr und Frau Österreicher scheinen nicht bereit für mehr Mitsprache abseits der Wahl ihrer Vertreter zu sein. Die Politik sollte es ihnen dennoch schmackhaft machen. Transparenz und Mitsprache in der Gesetzgebung können wichtiges Gegenmittel für das steigende Misstrauen gegenüber „politischer Eliten“sein. Dafür muss man dem Volk genug zu- und vertrauen. Und davon scheint man weit entfernt.