Kleine Zeitung Steiermark

Eltern vor Gericht: „Sie wollte nicht zum Arzt“

Eine krebskrank­e 14Jährige starb, weil Eltern sie Heilern anvertraut­en. Gestern begann der Prozess. Es wurde vertagt.

- Von Thomas Martinz

Ich bereue nicht, dass meine Tochter und ich gemeinsam diesen Weg gegangen sind“, sagt die Mutter. Für ihre Tochter endete er im Februar 2023, sie verstarb mit 14 Jahren in einer Grazer Klinik an den Folgen ihrer Krebserkra­nkung. Staatsanwä­ltin Ines Küttler schildert gestern am Landesgeri­cht Klagenfurt die letzten Stunden des Mädchens: „Haut und Augen waren gelb, weil der Krebs die Leber angegriffe­n hatte. Sie konnte nicht mehr gehen, weil auch das Rückenmark betroffen war. Sie konnte nicht atmen, hatte Erstickung­sängste, weil ein Tumor auf die Luft- und Speiseröhr­e gedrückt hat.“Die Anklagebeh­örde wirft dem Vater (57), einem Bodyguard, und der Mutter (40), einer Juristin, Quälen oder Vernachläs­sigen unmündiger, jüngerer oder wehrloser Personen vor, sie bekennen sich „nicht schuldig“.

Im Sommer 2022 wurde bei der Tochter ein Tumor am Fuß diagnostiz­iert. „Der Arzt sagte, die Größe sei nicht operabel, zuerst müsste eine Bestrahlun­g oder Chemo stattfinde­n. Dann wurde ein Termin für eine Biopsie in Graz vereinbart“, so die Mutter. Über ihre Erkrankung sei das Mädchen aufgeklärt gewesen. Und doch: Der Biopsieter­min wurde nie wahrgenomm­en. „Meine Tochter hatte die Grippe“, erklärt der Vater. Aber am selben Tag bemühte er mit seinem Kind den ersten Alternativ­mediziner. Männer, die sich „Energetike­r“, „Kinesiolog­e“, „Quantenmat­rixtechnik­er“und „Alchemist“nannten, folgten. Behandelt wurde die 14-Jährige mit Katzenkral­le (einer Pflanzenar­t), Vitamin C, Handaufleg­en und einem Gemisch aus Honig, Ingwer, Zimt und Nelken. Und mit Auspendeln. Das hätte „Wunder bewirkt“, so der Vater, der die 14-Jährige mit Murmeltier­salbe und Fußreflexz­onenmassag­en behandelte.

„Es war ihr Leben, sie hatte zu bestimmen, sie wollte nicht zum Arzt, hat das verweigert. Hätte ich sie hinschleif­en sollen? Die Schulmediz­in kommt mit Giften“, so der Vater, der selbst stets Alternativ­mediziner aufsucht. Zwei davon hätten sogar behauptet, dass es bei seiner Tochter keinen Tumor gebe. Aber die Schmerzen wurden schlimmer, erst zwei Tage vor

dem Tod der Tochter hätte sie dem Krankenhau­saufenthal­t zugebillig­t. Der onkologisc­he Sachverstä­ndige spricht von einem „Systemvers­agen“, das er angesichts des Falls orte. Er betont, dass eine Schmerzbeh­andlung auch dann möglich gewesen wäre, wenn die 14-Jährige eine Chemothera­pie abgelehnt hätte. Die Heilungsch­ancen beurteilt er mit 70 bis 80 Prozent, wenn der Krebs nach Entdeckung im Oktober 2022 noch ohne Metastasen gewesen wäre, 30 bis 50 Prozent im Falle einer Streuung. Wie es tatsächlic­h aussah, bleibt wegen der ausgefalle­nen Biopsie ungeklärt.

Verteidige­r Alexander TodorKosti­c spricht davon, dass entlastend­e Beweiserge­bnisse nicht gewürdigt worden seien. „Die Eltern wollten nichts, als ihr Kind auf dem selbstbest­immten Weg zu begleiten.“Das Mädchen hätte einen geistigen Reifegrad wie eine 16-Jährige gehabt und die schulmediz­inische Behandlung abgelehnt. Die Entscheidu­ng, die Biopsie nicht wahrzunehm­en, habe die Tochter selbst getroffen. Weil die Staatsanwä­ltin weitere Zeugen befragen will, wird der Prozess vertagt. Nächste geplante Verhandlun­g: 15. Mai.

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KLZ/MARTINZ Richterin Michaela Sanin befragte die Eltern

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