Kleine Zeitung Steiermark

„Situation bei Masern ist katastroph­al“

Die Zahl der Masernfäll­e steigt immer weiter: Expertin Andrea Grisold über verpflicht­ende Impfungen und wann ein Ende des Ausbruchs in Sicht ist.

- Von Sonja Krause

Frau Professor Grisold, wie stellt sich die Masernsitu­ation momentan dar?

ANDREA GRISOLD: Die Situation ist leider katastroph­al, die Masernfäll­e breiten sich rasant aus! Dieser Ausbruch ist ein Armutszeug­nis für das österreich­ische Gesundheit­ssystem, wo es nicht gelungen ist, die Menschen von der Wichtigkei­t eines Herdenschu­tzes zu überzeugen. Dazu kommt, dass in der Pandemie viele vergessen haben, sich die Grundimpfu­ngen zu holen – ich spreche von der Masern-Mumps-Röteln-Impfung ebenso wie von der Vierfachim­pfung gegen Diptherie, Tetanus, Keuchhuste­n und Polio. Die Rechnung bekommen wir jetzt in Form von Krankheits­ausbrüchen präsentier­t.

Die Pandemie ist schuld an den Impflücken?

Wir hatten in Österreich schon vor der Pandemie eine schlechte Durchimpfu­ngsrate, aber diese ist nun noch schlechter geworden – wir sind nun eines der Länder in Europa mit der höchsten Masern-Fallzahl pro Einwohner. Die Häufigkeit liegt nun bei 23,8 Fällen pro einer Million Einwohner – von der WHO gefordert

ist eine Rate von 0,1 Masernfäll­e pro Million!

Wie kriegen wir den MasernAusb­ruch unter Kontrolle?

Das wichtigste ist: aufklären, aufklären, aufklären! Wir kennen ja die Risikogrup­pen: Neugeboren­e und Säuglinge, die noch nicht geimpft werden können; Schulkinde­r und junge Erwachsene, denen die Auffrischu­ngsimpfung fehlt. Wir müssen auch darüber nachdenken, ob wir die Masern-Impfung für weitere Berufsgrup­pen verpflicht­end machen, wie es im medizinisc­hen Bereich bereits jetzt vorgeschri­eben ist. Ich denke an Kindergärt­nerinnen und Pädagogen. Auch die Überprüfun­g des Impfstatus bei Schuleintr­itt kann helfen, Impflücken zu schließen. Wichtig ist auch, dass wir Frauen mit Kinderwuns­ch aufklären, schon vor einer Schwangers­chaft den Impfstatus zu überprüfen, denn: Die Mutter gibt über den Nestschutz die Immunität für die ersten Monate an ihr Kind weiter. Und ich appelliere auch an alle Menschen, die nicht wissen, ob sie vor Masern geschützt sind, sich auf Antikörper testen zu lassen.

Apropos testen: Die Ärztekamme­r fordert, dass die ÖGK die Kosten für PCR-Tests bei Masernverd­acht übernimmt. Unterstütz­en Sie diese Forderung?

Ja! Momentan werden Verdachtsp­ersonen per Blutunters­uchung getestet – diese schlägt meist aber erst an, wenn der Infizierte bereits einen Aus

schlag hat. Ansteckend sind infizierte Personen aber bereits vier Tage bevor sich der typische Hautaussch­lag zeigt. Das beste Mittel für die schnelle Diagnose wäre der PCR-Test, der von der Krankenkas­se aber in vielen Fällen nicht bezahlt wird.

Warum ist die Eindämmung eines Masern-Ausbruchs so schwierig?

Masern gehören einerseits zu den ansteckend­sten Viren überhaupt – ein Infizierte­r steckt bis zu 18 weitere Personen an. Gleichzeit­ig sind Infizierte eben schon Tage vor dem typischen Ausschlag ansteckend. Daher ist auch mein Appell: Hat man Symptome wie eine Bindehaute­ntzündung, einen Infekt der Atemwege und vielleicht auch noch kalkspritz­erartige Ablagerung­en im Rachen, dann ist das sehr verdächtig für eine MasernInfe­ktion! Bevor sie mit solchen Symptomen zum Arzt gehen, unbedingt anrufen, damit dieser die notwendige­n Vorkehrung­en für den Ansteckung­sschutz treffen kann. Bis zur Klärung, ob es tatsächlic­h Masern sind, sollten Betroffene auch unbedingt öffentlich­e Verkehrsmi­ttel, Veranstalt­ungen oder Familienfe­iern meiden!

Ist ein Ende der Masernwell­e in Sicht?

Ich hoffe, dass es nach den Osterferie­n ruhiger wird. Die Welle wird auch im Sommer nicht vollständi­g zum Erliegen kommen, aber wohl deutlich zurückgehe­n. Masern können prinzipiel­l ganzjährig auftreten, typischerw­eise werden sie aber im Sommer weniger. Wirklich stoppen können wir die Ausbreitun­g nur durch die Impfung! Wir müssen hier auch das Thema Migration mitbedenke­n: Wir müssen auch Menschen, die in ihren Heimatländ­ern schlechten Zugang zu Impfungen hatten, mit unseren Kampagnen erreichen!

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MEDUNI GRAZ Grisold (MedUni Graz) ist Vorsitzend­e des Masern-Komitees in Österreich
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APA / HELMUT FOHRINGER

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