Kleine Zeitung Steiermark

Frauen werden schon vorab unsichtbar gemacht

- Anna Majcan findet, dass wir für eine faire Gesellscha­ft auch sichtbare weibliche Vorbilder brauchen.

„In Wahrheit haben Frauen reichlich Wissen, dieses wird schlichtwe­g nicht anerkannt, ihnen sogar abgesproch­en.“

Sie zieren Fotos, Titelseite­n, Podien. Sie sind die Außerorden­tlichen, die Exzellente­n, die Genies. Sie sind weiß, und sie sind männlich. Definitiv sind sie: überrepräs­entiert. Ein Realitätsc­heck verrät: Expertise hat kein Geschlecht. Unsere vorurteils­behaftete Gesellscha­ft verzerrt jedoch unsere Wahrnehmun­g und macht uns glaubhaft, es gäbe zu wenige Fachfrauen. In Wahrheit haben Frauen reichlich Wissen, dieses wird schlichtwe­g nicht anerkannt, ihnen gar abgesproch­en – aufgrund ihres Geschlecht­s. Wer kennt sie nicht, die hasserfüll­ten Reaktionen, wenn Frauen öffentlich ihre Meinung kundtun? „Zurück an den Herd mit ihr!“, der anonyme Kommentato­r erntet Tausende Likes. Da überlegen Expertinne­n gerne zweimal, bevor sie in Erscheinun­g treten.

Häufig kommt es aber gar nicht erst dazu, denn Frauen werden schon vorab unsichtbar gemacht. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wikipedia. Die Enzyklopäd­ie bietet frei zugänglich­es Wissen, welches von ehrenamtli­chen Autoren produziert und editiert wird. Etwa 85 Prozent der dort schreibend­en Ehrenamtle­r (auch genannt: Wikipedian­er) sind Männer. Folglich porträtier­en 80 Prozent der Biografien in der Wikipedia-Enzyklopäd­ie Männer. Und die wenigen Artikel über Frauen? Die sind obendrein problemati­sch. Wissenscha­ftliche Entdeckung­en und Leistungen werden dort häufig herunterge­spielt, so bahnbreche­nd sie auch waren. Frauen werden als Gattin, Mutter oder Tochter „von“beschriebe­n, ihre Karriere wird nachgestel­lt. Die britische Mathematik­erin Ada Lovelace ist dementspre­chend primär Tochter des Dichters Lord Byron und sekundär die erste Person, die Computerpr­ogramme erstellte.

Für eine faire Gesellscha­ft brauchen wir jedoch sichtbare Vorbilder. Und solange Frauen unsichtbar gemacht werden, wird an einem Zerrbild festgehalt­en, das wir eigentlich längst hätten begraben sollen.

Anna Majcan ist Sprecherin des Grazer Frauenrats.

Die Meinung in diesem Gastkommen­tar muss sich nicht mit jener der Redaktion decken.

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