Vergessenes österliches Kunsthandwerk
Nur noch drei Menschen in der Steiermark stellen Haussegen mit der Hand her, Andrea Liebmann aus Köflach ist eine von ihnen.
Bis heute hat sich eine Besonderheit im weststeirischen Bergland um Pack und Hirschegg erhalten: Die kunstvoll handgeschnitzten Tischkreuze, auch „Haussegen“genannt. Allerdings verstehen es nur mehr wenige Menschen, diese Kunstwerke der Volkskultur herzustellen. Einer davon ist Angela Liebmann aus Köflach. „Ich bin eine gebürtige Hirscheggerin“, erzählt die 78-jährige Pensionistin. „Das Schnitzen der Tischkreuze habe ich von meinem Vater, dem Michael Pöschl, abgeschaut.“
Pöschl, so erzählt Liebmann, hatte gemeinsam mit dem „Roabauern“eine Hausmühle an der Teigitsch betrieben. Dort mussten die beiden immer wieder längere Zeit warten, bis Korn zum Mahlen angeliefert wurde. Also vertrieb man sich die Zeit mit Schnitzen. „Zuerst waren es einfache Kreuze, dann immer kunstvollere“, berichtet Liebmann. „Auch mein Gatte Siegfried ließ sich von meinem Vater in das Fertigen der Haussegen einführen. Ich benutze jetzt noch das Werkzeug meines
Mannes, der leider vor zehn Jahren verstorben ist.“
Die gebürtige Hirscheggerin fertigt heute noch diese aufwendig hergestellten Kunstwerke für das Steirische Heimatwerk an. „Für einen solchen Haussegen benötige ich etwa drei Tage“, erzählt Liebmann an ihrem „Schnitztisch“. Als Unterlage dient ein großes Schneidebrett aus Hartholz, als Werkzeug finden unter anderem Taschenund Stanleymesser, feine Laubsäge, eine kleine Zwinge, Holzleim und ein Zollstab Verwendung. Das Grundgerüst, ein dreidimensionales Kreuz, wird aus Haselnussholz hergestellt, die übrigen Teile aus der Zitterpappel. Über die vier Seiten der Kreuzbalken wird ein Holzbogen gespannt und angeleimt. Für jeden Bogen werden je nach Größe 15 bis 25 feine Fächer gefertigt und dort eingebohrt. Eine Arbeit, die nicht nur ein gutes Auge und eine ruhige Hand, sondern auch viel Geduld erfordert. Dann werden sowohl Jesus‘ „Marterwerkzeuge“, wie Hammer und Nägel, als auch eine hölzerne „Heiligengeist-Taube“geschnitzt und befestigt.
Der Haussegen wurde seinerzeit alljährlich neu und meist in der Fastenzeit geschnitzt. Jedes Jahr neu deshalb, weil der Haussegen in der „,Ruaß-Kuchl‘, also in der Ruß-Küche“über dem Tisch aufgehängt wurde. Durch den Rauch, den Ruß und den Küchendunst wurde das Schnitzwerk im Laufe des Jahres schmutzig und unansehnlich. Das neue Kreuz wurde am Ostersonntagmorgen, nachdem es zur Fleischweihe mitgetragen wurde, vor dem Essen der gesegneten Osterspeisen aufgehängt.
Das alte Kreuz nahm man am Karfreitag ab, es wurde dann auf die Felder gebracht, wo es reiche Ernte bringen sollte.
Nun scheint das Wissen um das Kulturgut aus der weststeirischen Bergregion in Vergessenheit zu geraten. Nur noch drei Personen verstehen es, den Haussegen nach althergebrachter Weise zu fertigen. Neben Angela Liebmann ist es Franz Burgstaller in Bärnbach und, wie Liebmann weiß, auch Friedolin Reif in Hirschegg. „Wenn sich Interessenten finden, die diesen alten Volksbrauch weiterhin pflegen wollen, so bin ich gerne bereit, mein Wissen und meine Erfahrung weiterzugeben. Interessierte können sich im Heimatwerk oder in der Volkskultur melden.“
Für einen solchen Haussegen benötige ich etwa drei Tage.
Andrea Liebmann