Kleine Zeitung Steiermark

Fiktive Geschichts­stunde mit „tasty schmaltz“

Emmerich Kálmáns vergessene Musical-Operette „Marinka“erlebte in Graz ihre späte Österreich-Premiere.

- OPER GRAZ/RENNER

Kronprinz Rudolf hat sich und Mary Vetsera nicht erschossen. Sein Vater Franz Joseph hat der Welt bloß einen Bären aufgebunde­n, damit die beiden in Amerika ungestört ein neues Leben führen können. Derart dreister alternativ­er Geschichts­schreibung bedient sich das „Romantic Musical in zwei Akten“„Marinka“von Emmerich Kálmán. Wien lag in Trümmern und die Atombombe in Vorbereitu­ng, als es am 18. Juli 1945 am Broadway in New York uraufgefüh­rt wurde. Trotz dieses „Timings“und gemischter Kritiken wurde das Stück ein Publikumsh­it. Dann verschwand es.

Nun erlebt „Marinka“seine österreich­ische Erstauffüh­rung. Im Wesentlich­en in der Produktion, die 2016 an der Komischen Oper Berlin stattgefun­den hatte. Sowohl das Dirigat durch Koen Schoots als auch die Hauptrolle­n, Ruth Brauer-Kvam als schnippisc­he Baronesse und Peter Bording als Urenkel von Rudolfs Leibfiaker Josef Bratfisch, blieben von damals. Dazu gesellten sich Matthias Koziorowsk­i in der Rolle des im Stück leicht belämmert konzipiert­en Kronprinze­n und Anna Brull als „sündige“Gräfin Landowska.

Auf eineinhalb Stunden gekürzt, auf vier Gesangsrol­len reduziert und von szenischen Brimborium befreit erweist sich „Marinka“– so der im Stück behauptete Spitzname Rudolfs für Vetsera – als amüsante musikalisc­he Zeitreise. Kálmán verquirlte schmissige Melodien aus bereits existieren­den Operetten mit Halbfertig­em aus einem nie realisiert­en Widerstand­smusical. Einzig den Ohrwurm „Only One Touch of Vienna“schrieb Kálmán extra für „Marinka“. Heraus kommt ein Gebräu aus Walzerseli­gkeit, Csárdás und angejazzte­n Broadway-Texturen. Das ist nicht unoriginel­l; man versteht aber, was die Kritiker einst mit „tasty schmaltz“gemeint haben dürften. Andreas Stangl Wiederholu­ng am 6. April. oper-graz.buehnen-graz.com

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Matthias Koziorowsk­i und Ruth BrauerKvam in „Marinka“

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